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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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pflegt sich hier dagegen entweder dadurch, daß man dem gefürchteten
Auge eine Hand mit ausgespreizten Fingern entgegenhält, oder dadurch
zu schützen, daß man ausspuckt oder den vom Neide eines Andern oder
des Schicksals Bedrohten auspeit. Das letztere Mittel hilft auch gegen
den giftigen Blick, bei welchen an keinen Neid gedacht wird. Derselbe heißt
hier 9>S't"^"5, d. i. Schwund, und zu völliger Entkräftung seines Zaubers wird
nach dem Spucken ^ rov P^t"^o^", d. i. "Pfui, pfui
auf den bösen Schwund" ausgerufen. Außerdem aber sichern vor seinem Gifte,
welches Bäume bis in die Wurzel hinab verdorren läßt, dreieckige Amulete,
die mit Salz, Kohle nud Knoblauch angefüllt find, und die man umhängt,
indem man die Formel ausspricht: "^xo^o"- ," "^"re rwv ^x^?"^ ^"s
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lst auch hier wie in den romanischen Ländern der alte Gebrauch uoch üblich,
die Wirkung des Augenzaubers durch obsevue Fingerstelluug zu vereiteln, und
zwar ist der Ausdruck dafür hier /et^o-"o?rc,i (von yst^-ve -- eunnus und xc!?rr",
schlagen).

Ganz ähnliche Vorstellungen herrschen uuter den Rumänen und unter
den slawischen Nationen, vorzüglich unter den Serben, Russen und Polen. In
Wvyeikis polnischen Volkssagen und Märchen wird von einem Edelmann erzählt, der
am Weichselstraude einsam und von allen Nachbaren geflohen wohnte, weil sein
Blick allen Menschen Siechthum und Tod brachte, die Herden sterben ließ
und die Scheunen in Brand steckte. Nur durch Ausehen eines welken Erbsen¬
büschels konnte er auf einige Zeit gebunden werden. Endlich in Liebe ent¬
brannt zur Tochter eines andern Edelmannes, welche die Wölfe gezwungen
haben, zu ihm ihre Zuflucht zu nehmen, vermählt er sich mit ihr; weil aber
sein Uebel anch sie und die Tochter, die sie ihm geboren, bedroht, reißt er sich
die Augen aus und vergrübt sie an der Gartenmauer. Er ist nun genesen,
aber die vergrabenen Augen behalten in der Erde ihre Kraft und tödten den
alten Diener, der früher allein bei seinem Herrn ausgehalten, als er sie aus
Neugier ausscharrt.

In U n g arn wird der Angenzauber mit den Worten: "s^einel^ imo^ vorm",
d- i. "mit den Augen schlagen", bezeichnet.

Am allgemeinsten unter allen Völkern Europas glauben die Türken an
den bösen Blick. Die Bootführer des Goldneu Hornes hängen in der Regel
einige Ringe von blauem Glase als Talisman gegen das bezaubernde Auge
am Vorder- und am Hintertheil ihres Fahrzeuges auf, und als feineres
Schutzmittel haben manche in einem Schranke des Bootes ein Stück Papier
unter Glas und Rahmen, auf dein eine von den neunundneunzig Eigenschaften
Allahs steht. Schon Noah soll seiner Arche auf Anweisung des Erzengels


pflegt sich hier dagegen entweder dadurch, daß man dem gefürchteten
Auge eine Hand mit ausgespreizten Fingern entgegenhält, oder dadurch
zu schützen, daß man ausspuckt oder den vom Neide eines Andern oder
des Schicksals Bedrohten auspeit. Das letztere Mittel hilft auch gegen
den giftigen Blick, bei welchen an keinen Neid gedacht wird. Derselbe heißt
hier 9>S't«^«5, d. i. Schwund, und zu völliger Entkräftung seines Zaubers wird
nach dem Spucken ^ rov P^t«^o^", d. i. „Pfui, pfui
auf den bösen Schwund" ausgerufen. Außerdem aber sichern vor seinem Gifte,
welches Bäume bis in die Wurzel hinab verdorren läßt, dreieckige Amulete,
die mit Salz, Kohle nud Knoblauch angefüllt find, und die man umhängt,
indem man die Formel ausspricht: „^xo^o»- ,» «^«re rwv ^x^?«^ ^«s
r« /u«?t«", d. i. „Knoblauch und Salz in die Augen unsrer Feinde!" Endlich
lst auch hier wie in den romanischen Ländern der alte Gebrauch uoch üblich,
die Wirkung des Augenzaubers durch obsevue Fingerstelluug zu vereiteln, und
zwar ist der Ausdruck dafür hier /et^o-«o?rc,i (von yst^-ve — eunnus und xc!?rr«,
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Ganz ähnliche Vorstellungen herrschen uuter den Rumänen und unter
den slawischen Nationen, vorzüglich unter den Serben, Russen und Polen. In
Wvyeikis polnischen Volkssagen und Märchen wird von einem Edelmann erzählt, der
am Weichselstraude einsam und von allen Nachbaren geflohen wohnte, weil sein
Blick allen Menschen Siechthum und Tod brachte, die Herden sterben ließ
und die Scheunen in Brand steckte. Nur durch Ausehen eines welken Erbsen¬
büschels konnte er auf einige Zeit gebunden werden. Endlich in Liebe ent¬
brannt zur Tochter eines andern Edelmannes, welche die Wölfe gezwungen
haben, zu ihm ihre Zuflucht zu nehmen, vermählt er sich mit ihr; weil aber
sein Uebel anch sie und die Tochter, die sie ihm geboren, bedroht, reißt er sich
die Augen aus und vergrübt sie an der Gartenmauer. Er ist nun genesen,
aber die vergrabenen Augen behalten in der Erde ihre Kraft und tödten den
alten Diener, der früher allein bei seinem Herrn ausgehalten, als er sie aus
Neugier ausscharrt.

In U n g arn wird der Angenzauber mit den Worten: „s^einel^ imo^ vorm",
d- i. „mit den Augen schlagen", bezeichnet.

Am allgemeinsten unter allen Völkern Europas glauben die Türken an
den bösen Blick. Die Bootführer des Goldneu Hornes hängen in der Regel
einige Ringe von blauem Glase als Talisman gegen das bezaubernde Auge
am Vorder- und am Hintertheil ihres Fahrzeuges auf, und als feineres
Schutzmittel haben manche in einem Schranke des Bootes ein Stück Papier
unter Glas und Rahmen, auf dein eine von den neunundneunzig Eigenschaften
Allahs steht. Schon Noah soll seiner Arche auf Anweisung des Erzengels


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[0055] pflegt sich hier dagegen entweder dadurch, daß man dem gefürchteten Auge eine Hand mit ausgespreizten Fingern entgegenhält, oder dadurch zu schützen, daß man ausspuckt oder den vom Neide eines Andern oder des Schicksals Bedrohten auspeit. Das letztere Mittel hilft auch gegen den giftigen Blick, bei welchen an keinen Neid gedacht wird. Derselbe heißt hier 9>S't«^«5, d. i. Schwund, und zu völliger Entkräftung seines Zaubers wird nach dem Spucken ^ rov P^t«^o^", d. i. „Pfui, pfui auf den bösen Schwund" ausgerufen. Außerdem aber sichern vor seinem Gifte, welches Bäume bis in die Wurzel hinab verdorren läßt, dreieckige Amulete, die mit Salz, Kohle nud Knoblauch angefüllt find, und die man umhängt, indem man die Formel ausspricht: „^xo^o»- ,» «^«re rwv ^x^?«^ ^«s r« /u«?t«", d. i. „Knoblauch und Salz in die Augen unsrer Feinde!" Endlich lst auch hier wie in den romanischen Ländern der alte Gebrauch uoch üblich, die Wirkung des Augenzaubers durch obsevue Fingerstelluug zu vereiteln, und zwar ist der Ausdruck dafür hier /et^o-«o?rc,i (von yst^-ve — eunnus und xc!?rr«, schlagen). Ganz ähnliche Vorstellungen herrschen uuter den Rumänen und unter den slawischen Nationen, vorzüglich unter den Serben, Russen und Polen. In Wvyeikis polnischen Volkssagen und Märchen wird von einem Edelmann erzählt, der am Weichselstraude einsam und von allen Nachbaren geflohen wohnte, weil sein Blick allen Menschen Siechthum und Tod brachte, die Herden sterben ließ und die Scheunen in Brand steckte. Nur durch Ausehen eines welken Erbsen¬ büschels konnte er auf einige Zeit gebunden werden. Endlich in Liebe ent¬ brannt zur Tochter eines andern Edelmannes, welche die Wölfe gezwungen haben, zu ihm ihre Zuflucht zu nehmen, vermählt er sich mit ihr; weil aber sein Uebel anch sie und die Tochter, die sie ihm geboren, bedroht, reißt er sich die Augen aus und vergrübt sie an der Gartenmauer. Er ist nun genesen, aber die vergrabenen Augen behalten in der Erde ihre Kraft und tödten den alten Diener, der früher allein bei seinem Herrn ausgehalten, als er sie aus Neugier ausscharrt. In U n g arn wird der Angenzauber mit den Worten: „s^einel^ imo^ vorm", d- i. „mit den Augen schlagen", bezeichnet. Am allgemeinsten unter allen Völkern Europas glauben die Türken an den bösen Blick. Die Bootführer des Goldneu Hornes hängen in der Regel einige Ringe von blauem Glase als Talisman gegen das bezaubernde Auge am Vorder- und am Hintertheil ihres Fahrzeuges auf, und als feineres Schutzmittel haben manche in einem Schranke des Bootes ein Stück Papier unter Glas und Rahmen, auf dein eine von den neunundneunzig Eigenschaften Allahs steht. Schon Noah soll seiner Arche auf Anweisung des Erzengels

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/55>, abgerufen am 23.07.2024.