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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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erinnert. Nicht selten endlich sind an Amuleten dieser Art Schellen angebracht,
indem man den Klang des angeschlagenen Erzes für reinigend, sühnend und
vorzüglich wirksam gegen gespenstische Einflüsse hielt.

Trug man kein Amulet, so konnte man sich dadurch helfen, daß man vor
einem gefährlich scheinenden Ange die Faust in der Weise ballte, daß die Spitze
des Daumens zwischen Mittel- und Zeigefinger hervorsah, was man "die
Feige (liea) machen" nannte und womit der cuan" dargestellt werden sollte,
oder daß man einen andern obseönen Gestus, das Ausstrecken des Mittel¬
fingers aus der geschlossenen Hand, anwendete. Beide Geberden galten als
Ausdruck der tiefsten Verachtung, dnrch welchen demjenigen, gegen den man
sie machte, die schwerste Beleidigung zugefügt wurde. Es wirkte also hier die
Vorstellung, daß man den Zauber durch herausfordernde verächtliche Gesten
brechen kann; aber es trat noch ein Anderes hinzu. Indem man sich, die
seinen und sein Haus und Geräth mit Darstellungen des Unanständigen und
Beleidigenden behing oder bemalte, indem man ans solche Darstellung ge¬
richtete Handbewegungen machte, that man sich selbst eine Schmach, eine Er¬
niedrigung an, welche die Folgen eigner Ueberhebung oder fremder Bewunde¬
rung oder Scheelsucht ausglich und so die Kraft eines Gegenzanbers übte.
Diese Vorstellungen verfließen namentlich bei der bereits erwähnten Sitte in
einander, in Fällen, wo man entweder selbst durch Preise" seines Glückes oder
allzukühne Hoffnungen oder wo ein Anderer durch Bewunderung jenes
Glückes den Neid der Götter herausgefordert hatte, auszuspeien oder sich an¬
spucken zu lassen; denn vor jemand auszuspeien oder ihn gar anzuspucken
galt wie heute auch im Alterthum als der ärgste Schimpf.

Dieser Aberglaube, der mancher Mutter im alten Hellas und Rom Kopf¬
zerbrechen, Herzeleid und schlaflose Nächte gekostet habe" wird, lebt nun, wie
zu Anfang angedeutet wurde, auch in der Gegenwart fort, im Süden und
Südosten mit fast ungeschwächter Kraft, im Norden dnrch die allgemeiner ge¬
wordene Aufklärung auf entlegene Winkel und auf einige Redensarten be¬
schränkt, bei denen man sich nicht mehr viel zu denke" Pflegt. Geben wir
auch von diese" Neste" einige Beispiele.

Ganz allgemein ist der Glaube an den bösen Blick in Italien. Mau
bezeichnet ihn hier in der Regel mit den Worten mal nenn'o oder ocebw
eattivo, in Neapel mit dein Ausdruck Matura, und schützt sich vor ihm wie
im Alterthum durch verschiedene Amulete und Geberden. Schützende Ausrufe
sind hier: "ol gratis, non A cliaw mal ä'oeelüd", d.i. Wolle Gott, daß das
Böse Deines Auges ihm nicht schade! und in Neapel: "I.i mal uocellie ne"
ins i>025i>,n()", d. i. Möge mir der böse Blick nichts anhaben! Unter den
Amuleten sind hier zunächst die aus Wachs, Balsam und Chrismu verfertigten


erinnert. Nicht selten endlich sind an Amuleten dieser Art Schellen angebracht,
indem man den Klang des angeschlagenen Erzes für reinigend, sühnend und
vorzüglich wirksam gegen gespenstische Einflüsse hielt.

Trug man kein Amulet, so konnte man sich dadurch helfen, daß man vor
einem gefährlich scheinenden Ange die Faust in der Weise ballte, daß die Spitze
des Daumens zwischen Mittel- und Zeigefinger hervorsah, was man „die
Feige (liea) machen" nannte und womit der cuan» dargestellt werden sollte,
oder daß man einen andern obseönen Gestus, das Ausstrecken des Mittel¬
fingers aus der geschlossenen Hand, anwendete. Beide Geberden galten als
Ausdruck der tiefsten Verachtung, dnrch welchen demjenigen, gegen den man
sie machte, die schwerste Beleidigung zugefügt wurde. Es wirkte also hier die
Vorstellung, daß man den Zauber durch herausfordernde verächtliche Gesten
brechen kann; aber es trat noch ein Anderes hinzu. Indem man sich, die
seinen und sein Haus und Geräth mit Darstellungen des Unanständigen und
Beleidigenden behing oder bemalte, indem man ans solche Darstellung ge¬
richtete Handbewegungen machte, that man sich selbst eine Schmach, eine Er¬
niedrigung an, welche die Folgen eigner Ueberhebung oder fremder Bewunde¬
rung oder Scheelsucht ausglich und so die Kraft eines Gegenzanbers übte.
Diese Vorstellungen verfließen namentlich bei der bereits erwähnten Sitte in
einander, in Fällen, wo man entweder selbst durch Preise» seines Glückes oder
allzukühne Hoffnungen oder wo ein Anderer durch Bewunderung jenes
Glückes den Neid der Götter herausgefordert hatte, auszuspeien oder sich an¬
spucken zu lassen; denn vor jemand auszuspeien oder ihn gar anzuspucken
galt wie heute auch im Alterthum als der ärgste Schimpf.

Dieser Aberglaube, der mancher Mutter im alten Hellas und Rom Kopf¬
zerbrechen, Herzeleid und schlaflose Nächte gekostet habe« wird, lebt nun, wie
zu Anfang angedeutet wurde, auch in der Gegenwart fort, im Süden und
Südosten mit fast ungeschwächter Kraft, im Norden dnrch die allgemeiner ge¬
wordene Aufklärung auf entlegene Winkel und auf einige Redensarten be¬
schränkt, bei denen man sich nicht mehr viel zu denke» Pflegt. Geben wir
auch von diese» Neste» einige Beispiele.

Ganz allgemein ist der Glaube an den bösen Blick in Italien. Mau
bezeichnet ihn hier in der Regel mit den Worten mal nenn'o oder ocebw
eattivo, in Neapel mit dein Ausdruck Matura, und schützt sich vor ihm wie
im Alterthum durch verschiedene Amulete und Geberden. Schützende Ausrufe
sind hier: „ol gratis, non A cliaw mal ä'oeelüd", d.i. Wolle Gott, daß das
Böse Deines Auges ihm nicht schade! und in Neapel: „I.i mal uocellie ne»
ins i>025i>,n()", d. i. Möge mir der böse Blick nichts anhaben! Unter den
Amuleten sind hier zunächst die aus Wachs, Balsam und Chrismu verfertigten


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/52>, abgerufen am 23.07.2024.