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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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die peinliche Ungewißheit endgiltiger Gewißheit Platz gemacht hatte, schickte
Lassalle Herrn v. Dönniges eine Herausforderung und Herrn v. Rackowitz
ein Billet, daß diesen zu einer Herausforderung veranlassen sollte. Herr v.
Dönniges entfernte sich schleunigst aus Genf, wo die letzten Auftritte dieser
Tragikomödie spielten. Der Bräutigam seiner Tochter ließ Lassalle fordern.
Ein Duell auf Pistolen wurde von deu Sekundanten verabredet. Dasselbe
fand am 28. August gegen 8 Uhr Morgens in der Nähe von Carrouge statt,
und die erste Kugel, welche dabei abgefeuert wurde, verwundete Lassalle tödt-
lich. Drei Tage später verschied er.

Auf der Brust des Verwundeten fand man folgende Zeilen: "Ich erkläre
hiermit, daß ich es selbst bin, welcher seinem Leben ein Ende gemacht hat.
28. Aug. 64. F. Lassalle." Sie sollten nach Verabredung den Gegner decken,
der einen gleichlautenden Zettel bei sich geführt hatte. Sie enthielten eine un¬
schuldige Unwahrheit, zugleich aber eine unbeabsichtigte Wahrheit. Lassalle
selbst trug die Schuld, wenn in ihm ein in vielen Beziehungen groß und
schön angelegtes Leben durch eilten unwürdigen und unschönen Tod aus¬
gelöscht wurde. Er war in schlechter Gesellschaft für eine schlechte Sache
gestorben.

Sehr vornehme Leute siud es, die in diesem letzten Akte des Drama's an
uns als handelnde Personen vorübergehen: ein Minister, ein Gesandter, ein
Bischof, Generale, berühmte Gelehrte, Grafen und Gräfinnen, des niedern Adels
ganz zu geschweige"; aber selten wird ein guter, menschlicher Gedanke laut,
kaum eine uns sympathische Gestalt kommt ans den Konlissen. Wochenlang
schleppt sich eine unreinliche Intrigue hin. Die Gegner Lassalle's benahmen
sich unfein, aber anch er selbst, der Held des häßlichen Stückes, spielt eine
traurige Rolle. Er ist nicht untergegangen an einem Konflikte der Liebe oder
der Politik. Wenn er in seinem Briefe an den ihm geistesverwandten Rüstow
schreibt: "Mich zerbricht meine Gimpelei," so spricht e?' sich selbst das Urtheil,
ob er's nun so meint, daß er einen Thorenstreich begangen, als er sich mit
der Dönniges eingelassen, oder ob er, was wahrscheinlicher, als der Rome
spricht, der sich schämt, sich dadurch, daß er in einem Anfall von Rechtlichkeit ein
Frauenzimmer, das sich ihm angeboten, nicht als gute Beute angenommen hat,
vor Seinesgleichen blamirt zu haben.

Die einzige erfreuliche Erscheinung in dem Wirrwarr ist der vairische
Minister des Auswärtigen, Freiherr v. Schrenk, der, von Lassalle um seine
Intervention angerufen, dem auch in München natürlich verhaßten Agitator
menschliche Theilnahme bezeigt. Dagegen ist eine der abstoßendsten Szenen
des Drama's die Verhandlung zwischen der Hatzfeldt und dem Bischof v.
Ketteler über die Taufe Lassalle's. Der fromme Prälat erklärt dabei, er wisse


die peinliche Ungewißheit endgiltiger Gewißheit Platz gemacht hatte, schickte
Lassalle Herrn v. Dönniges eine Herausforderung und Herrn v. Rackowitz
ein Billet, daß diesen zu einer Herausforderung veranlassen sollte. Herr v.
Dönniges entfernte sich schleunigst aus Genf, wo die letzten Auftritte dieser
Tragikomödie spielten. Der Bräutigam seiner Tochter ließ Lassalle fordern.
Ein Duell auf Pistolen wurde von deu Sekundanten verabredet. Dasselbe
fand am 28. August gegen 8 Uhr Morgens in der Nähe von Carrouge statt,
und die erste Kugel, welche dabei abgefeuert wurde, verwundete Lassalle tödt-
lich. Drei Tage später verschied er.

Auf der Brust des Verwundeten fand man folgende Zeilen: „Ich erkläre
hiermit, daß ich es selbst bin, welcher seinem Leben ein Ende gemacht hat.
28. Aug. 64. F. Lassalle." Sie sollten nach Verabredung den Gegner decken,
der einen gleichlautenden Zettel bei sich geführt hatte. Sie enthielten eine un¬
schuldige Unwahrheit, zugleich aber eine unbeabsichtigte Wahrheit. Lassalle
selbst trug die Schuld, wenn in ihm ein in vielen Beziehungen groß und
schön angelegtes Leben durch eilten unwürdigen und unschönen Tod aus¬
gelöscht wurde. Er war in schlechter Gesellschaft für eine schlechte Sache
gestorben.

Sehr vornehme Leute siud es, die in diesem letzten Akte des Drama's an
uns als handelnde Personen vorübergehen: ein Minister, ein Gesandter, ein
Bischof, Generale, berühmte Gelehrte, Grafen und Gräfinnen, des niedern Adels
ganz zu geschweige»; aber selten wird ein guter, menschlicher Gedanke laut,
kaum eine uns sympathische Gestalt kommt ans den Konlissen. Wochenlang
schleppt sich eine unreinliche Intrigue hin. Die Gegner Lassalle's benahmen
sich unfein, aber anch er selbst, der Held des häßlichen Stückes, spielt eine
traurige Rolle. Er ist nicht untergegangen an einem Konflikte der Liebe oder
der Politik. Wenn er in seinem Briefe an den ihm geistesverwandten Rüstow
schreibt: „Mich zerbricht meine Gimpelei," so spricht e?' sich selbst das Urtheil,
ob er's nun so meint, daß er einen Thorenstreich begangen, als er sich mit
der Dönniges eingelassen, oder ob er, was wahrscheinlicher, als der Rome
spricht, der sich schämt, sich dadurch, daß er in einem Anfall von Rechtlichkeit ein
Frauenzimmer, das sich ihm angeboten, nicht als gute Beute angenommen hat,
vor Seinesgleichen blamirt zu haben.

Die einzige erfreuliche Erscheinung in dem Wirrwarr ist der vairische
Minister des Auswärtigen, Freiherr v. Schrenk, der, von Lassalle um seine
Intervention angerufen, dem auch in München natürlich verhaßten Agitator
menschliche Theilnahme bezeigt. Dagegen ist eine der abstoßendsten Szenen
des Drama's die Verhandlung zwischen der Hatzfeldt und dem Bischof v.
Ketteler über die Taufe Lassalle's. Der fromme Prälat erklärt dabei, er wisse


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/506>, abgerufen am 03.07.2024.