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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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ist voll tiefer Erkundigung. Die Gräfin Hatzfeldt hatte ihm geschrieben:
"Können Sie sich nicht auf einige Tage in Wissenschaft, Freundschaft und
schöner Natur genügen?" Er antwortete am 28. Juli: "Sie meinen, ich müsse
Politik haben. Ach, wie wenig Sie an Kik mit mir sind! Ich wünsche nichts
sehnlicher, als die ganze Politik loszuwerden, um mich in Wissenschaft, Freund¬
schaft und Natur zurückzuziehen. Ich bin der Politik müde und satt. Zwar
würde ich so leidenschaftlich wie je für sie entflammen, wenn ernste Ereignisse
da wären, oder wenn ich die Macht hätte oder ein Mittel sähe, sie zu erobern,
-- ein solches Mittel, das sich für mich schickt; denn ohne höchste Macht läßt
sich nichts machen. Zum Kinderspiel aber bin ich zu alt und zu groß.
Darum hahe ich höchst ungern das Präsidium (bei dem Kinderspiel des
Arbeitervereins?) übernommen. Ich gab nur Ihnen nach. Darum drückt es
mich jetzt gewaltig. Wenn ich es los wäre, jetzt wäre der Moment, wo ich
entschlossen wäre, mit Ihnen nach Neapel zu ziehen. Aber wie es los werden?"
Das ist nicht die Sprache, welche man zwei Monate nach der ronsdorfer Rede
hätte erwarten sollen. Brief und Rede bilden eine grelle Dissonanz, und die
Agitation Lassalle's endigt mit einer tiefen Unwahrheit.

Die Vorgänge, welche den Tod Lassalle's herbeiführten, lassen sich in
ihren entscheidenden Punkten kaum andeutungsweise schildern. Sie sind ein
Zeugniß der sittlichen Fäulniß, die sich oft hinter einer vornehmen und glän¬
zenden Außenseite birgt. Man denkt an die getünchten Gräber, die inwendig
voll Todtengebeine sind. Das gilt von beiden Seiten, die mit einander in
Konflikt geriethen. Lassalle hatte die Liebe nie gekannt. Er war auch den
Frauen gegenüber eitel, eroberungssüchtig und unbeständig. Er suchte hier nur
den Genuß, er war im vollen Sinne des Wortes Rou6. Jetzt kam ihm eine
junge Dame entgegen, die ihm begehrenswerth erschien, die ihm bis zu einem
gewissen Grade imponirte und doch wieder seine Eitelkeit befriedigte, indem sie
sich ihm rücksichtslos hinzugeben versprach. Die Dönniges (jetzt, so viel uns
bekannt, Schauspieleritt) war mit ihm bereits in Berlin zusammengetroffen,
und Beide hatten, wenigstens flüchtig. Gefallen an einander gefunden. Jetzt
begegnet er ihr in der Schweiz, und sofort theilt er der Hatzfeldt mit, daß er
um die Hand des Mädchens anzuhalten gedenke. Die Gräfin räth ihm ab,
und er antwortet: "Wenn Sie in Ihrem Briefe sagen, ich solle doch bedenken,
daß ich soeben erst sterblich in eine Andere verliebt war, so entgegne ich, daß
erstens sterblich verliebt sein bei mir zunächst überhaupt gar kein Begriff ist,
sodann aber... ist es wirklich ein nicht geringes Glück, in einem Alter von
doch schon 39V-j Jahren ein Weib zu finden, so schön, von so freier und zu
mir passender Persönlichkeit, ferner, das mich so liebt und endlich, was bei
mir absolute Nothwendigkeit, ganz in meinem Willen aufgeht."


ist voll tiefer Erkundigung. Die Gräfin Hatzfeldt hatte ihm geschrieben:
„Können Sie sich nicht auf einige Tage in Wissenschaft, Freundschaft und
schöner Natur genügen?" Er antwortete am 28. Juli: „Sie meinen, ich müsse
Politik haben. Ach, wie wenig Sie an Kik mit mir sind! Ich wünsche nichts
sehnlicher, als die ganze Politik loszuwerden, um mich in Wissenschaft, Freund¬
schaft und Natur zurückzuziehen. Ich bin der Politik müde und satt. Zwar
würde ich so leidenschaftlich wie je für sie entflammen, wenn ernste Ereignisse
da wären, oder wenn ich die Macht hätte oder ein Mittel sähe, sie zu erobern,
— ein solches Mittel, das sich für mich schickt; denn ohne höchste Macht läßt
sich nichts machen. Zum Kinderspiel aber bin ich zu alt und zu groß.
Darum hahe ich höchst ungern das Präsidium (bei dem Kinderspiel des
Arbeitervereins?) übernommen. Ich gab nur Ihnen nach. Darum drückt es
mich jetzt gewaltig. Wenn ich es los wäre, jetzt wäre der Moment, wo ich
entschlossen wäre, mit Ihnen nach Neapel zu ziehen. Aber wie es los werden?"
Das ist nicht die Sprache, welche man zwei Monate nach der ronsdorfer Rede
hätte erwarten sollen. Brief und Rede bilden eine grelle Dissonanz, und die
Agitation Lassalle's endigt mit einer tiefen Unwahrheit.

Die Vorgänge, welche den Tod Lassalle's herbeiführten, lassen sich in
ihren entscheidenden Punkten kaum andeutungsweise schildern. Sie sind ein
Zeugniß der sittlichen Fäulniß, die sich oft hinter einer vornehmen und glän¬
zenden Außenseite birgt. Man denkt an die getünchten Gräber, die inwendig
voll Todtengebeine sind. Das gilt von beiden Seiten, die mit einander in
Konflikt geriethen. Lassalle hatte die Liebe nie gekannt. Er war auch den
Frauen gegenüber eitel, eroberungssüchtig und unbeständig. Er suchte hier nur
den Genuß, er war im vollen Sinne des Wortes Rou6. Jetzt kam ihm eine
junge Dame entgegen, die ihm begehrenswerth erschien, die ihm bis zu einem
gewissen Grade imponirte und doch wieder seine Eitelkeit befriedigte, indem sie
sich ihm rücksichtslos hinzugeben versprach. Die Dönniges (jetzt, so viel uns
bekannt, Schauspieleritt) war mit ihm bereits in Berlin zusammengetroffen,
und Beide hatten, wenigstens flüchtig. Gefallen an einander gefunden. Jetzt
begegnet er ihr in der Schweiz, und sofort theilt er der Hatzfeldt mit, daß er
um die Hand des Mädchens anzuhalten gedenke. Die Gräfin räth ihm ab,
und er antwortet: „Wenn Sie in Ihrem Briefe sagen, ich solle doch bedenken,
daß ich soeben erst sterblich in eine Andere verliebt war, so entgegne ich, daß
erstens sterblich verliebt sein bei mir zunächst überhaupt gar kein Begriff ist,
sodann aber... ist es wirklich ein nicht geringes Glück, in einem Alter von
doch schon 39V-j Jahren ein Weib zu finden, so schön, von so freier und zu
mir passender Persönlichkeit, ferner, das mich so liebt und endlich, was bei
mir absolute Nothwendigkeit, ganz in meinem Willen aufgeht."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/503>, abgerufen am 23.07.2024.