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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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des August hinzog und am 28. dieses Monats ein Duell zwischen Lassalle und
Jauko v. Rackowitz und am 31. den Tod des Erstern zur Folge hatte.

Was der Arbeiteragitator in den letzten Monaten seines Lebens für die
Zukunft der von ihm eingeleiteten Bewegung ersonnen und beabsichtigt hat, ist
nicht recht festzustellen. Ans dem Schlüsse der ronsdorfer Rede hat man
schließen wollen, er habe ans Scheu vor den Gefängnißstrafen, die ihn be¬
drohten und zusammen eine mehrjährige Freiheitsentziehung ausmachten, sich
mit dein Plane getragen, nicht wieder nach Deutschland zurückzukehren. Dar¬
auf ist indeß zu erwidern: Zwar hat Lassalle seine Angst vor einer längeren
Gefüngnißhaft wiederholt ausgesprochen, ferner hat ihn die Hatzfeldt mit dem¬
selben Ungestüm, mit welchem sie ihn in die Agitation hineingedrängt hatte,
jetzt bestürmt, sie aufzugeben, endlich mußte er sich selbst sagen, daß, ob er
nun seinem Verein durch das Gefängniß oder dnrch Verbleiben im Ausland
entzogen war, die praktischen Folgen so ziemlich die gleichen sein mußten.
Dennoch ist es mindestens sehr zweifelhaft, daß er daran gedacht, nicht wieder
nach Deutschland zurückzukehren. Wenn nicht sein Ehrgefühl, so war seine
Eitelkeit ein Hinderniß vor einem solchen Plane: ein Mann, der sich wie ein
Messias geberdet hatte, konnte sich nicht der Nachrede aussetzen, aus Furcht
vor ein Paar Jahren Einsparung, die überdies seine berliner Gönner durch
ihre Fürsprache bei Hofe vermuthlich abzukürzen gewußt hätten, sein Werk
feig im Stiche gelassen zu haben. Mit vollem Rechte wäre ihm das Hohn¬
gelächter von ganz Deutschland in sein Exil nachgeschallt, er wäre vernichtet
gewesen, er wäre aus einem Heros eine komische Figur geworden, und er
hätte eher alles Andere über sich ergehen lassen als dies. In seinen intimen
Briefen an die Hatzfeldt widerspricht er denn auch jenem Plane mit Bestimmt¬
heit, und in seiner Korrespondenz mit dem Sekretär des Vereins äußert er
sich durchweg so, als ob Alles in dem bisherigen Geleise verbleiben solle: er
kümmert sich nach wie vor um alle Einzelnheiten des Vereinslebens und trifft
namentlich Vorkehrungen für die bevorstehende Generalversammlung. Bis¬
weilen ist in den Briefen von einem Coup die Rede, den er im Herbst zu
Hamburg ausführen will, und der vermuthlich in der Absicht bestand, den
Verein eine Resolution zu Gunsten der Einverleibung Schleswig-Holsteins in
Preußen fassen zu lassen. Am Wahrscheinlichsten bleibt, daß er über seine nächsten
Pläne noch völlig im Unklaren war, als er durch den Besuch der genannten
Dame überrascht wurde. Nach diesem Tage aber war er in einem an Wahn¬
sinn grenzenden Liebesfieber, in dem er sich um den Verein durchaus nicht
mehr kümmerte. Der Rausch der "glorreichen Heerschau" war auf alle Fälle
gänzlich verflogen. ,

Die letzte Aeußerung über politische Dinge, die wir von ihm besitzen,


des August hinzog und am 28. dieses Monats ein Duell zwischen Lassalle und
Jauko v. Rackowitz und am 31. den Tod des Erstern zur Folge hatte.

Was der Arbeiteragitator in den letzten Monaten seines Lebens für die
Zukunft der von ihm eingeleiteten Bewegung ersonnen und beabsichtigt hat, ist
nicht recht festzustellen. Ans dem Schlüsse der ronsdorfer Rede hat man
schließen wollen, er habe ans Scheu vor den Gefängnißstrafen, die ihn be¬
drohten und zusammen eine mehrjährige Freiheitsentziehung ausmachten, sich
mit dein Plane getragen, nicht wieder nach Deutschland zurückzukehren. Dar¬
auf ist indeß zu erwidern: Zwar hat Lassalle seine Angst vor einer längeren
Gefüngnißhaft wiederholt ausgesprochen, ferner hat ihn die Hatzfeldt mit dem¬
selben Ungestüm, mit welchem sie ihn in die Agitation hineingedrängt hatte,
jetzt bestürmt, sie aufzugeben, endlich mußte er sich selbst sagen, daß, ob er
nun seinem Verein durch das Gefängniß oder dnrch Verbleiben im Ausland
entzogen war, die praktischen Folgen so ziemlich die gleichen sein mußten.
Dennoch ist es mindestens sehr zweifelhaft, daß er daran gedacht, nicht wieder
nach Deutschland zurückzukehren. Wenn nicht sein Ehrgefühl, so war seine
Eitelkeit ein Hinderniß vor einem solchen Plane: ein Mann, der sich wie ein
Messias geberdet hatte, konnte sich nicht der Nachrede aussetzen, aus Furcht
vor ein Paar Jahren Einsparung, die überdies seine berliner Gönner durch
ihre Fürsprache bei Hofe vermuthlich abzukürzen gewußt hätten, sein Werk
feig im Stiche gelassen zu haben. Mit vollem Rechte wäre ihm das Hohn¬
gelächter von ganz Deutschland in sein Exil nachgeschallt, er wäre vernichtet
gewesen, er wäre aus einem Heros eine komische Figur geworden, und er
hätte eher alles Andere über sich ergehen lassen als dies. In seinen intimen
Briefen an die Hatzfeldt widerspricht er denn auch jenem Plane mit Bestimmt¬
heit, und in seiner Korrespondenz mit dem Sekretär des Vereins äußert er
sich durchweg so, als ob Alles in dem bisherigen Geleise verbleiben solle: er
kümmert sich nach wie vor um alle Einzelnheiten des Vereinslebens und trifft
namentlich Vorkehrungen für die bevorstehende Generalversammlung. Bis¬
weilen ist in den Briefen von einem Coup die Rede, den er im Herbst zu
Hamburg ausführen will, und der vermuthlich in der Absicht bestand, den
Verein eine Resolution zu Gunsten der Einverleibung Schleswig-Holsteins in
Preußen fassen zu lassen. Am Wahrscheinlichsten bleibt, daß er über seine nächsten
Pläne noch völlig im Unklaren war, als er durch den Besuch der genannten
Dame überrascht wurde. Nach diesem Tage aber war er in einem an Wahn¬
sinn grenzenden Liebesfieber, in dem er sich um den Verein durchaus nicht
mehr kümmerte. Der Rausch der „glorreichen Heerschau" war auf alle Fälle
gänzlich verflogen. ,

Die letzte Aeußerung über politische Dinge, die wir von ihm besitzen,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/502>, abgerufen am 23.07.2024.