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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Geschlechter durch ihr Lob Bäume verdorren und Kinder sterben ließen, und
daß es unter den Tritmlleru und Jllyriern Leute gab, die durch längeres An¬
stieren auf gleiche Weise schadeten, namentlich aber durch zornerfüllte Augen
die umunbare Jugend tödteten. Nach Apollvnides waren im Laude der Skythen
Frauen dieser Art, die man Bythien nannte, und uach Pylarchus hatte im
Pontus das Geschlecht der Thibier dieselbe Eigenschaft. Dieselben sanken (wie
die deutschen Hexen) im Wasser uicht unter, selbst wenn sie mit Kleidern be¬
lastet waren. Dcuuvu hatte Aehnliches von den Pharnazen in Aethiopien ver-
"oinmeu, die auch eiuen vergiftenden Schlveiß besaßen. Cicero erklärte deu
Blick aller Frauen für schädlich, die eine doppelte Pupille hatten. Plutarch
sagt im Symposion, dieser Angeuzauber sei besonders Kindern verderblich, da
sie eine noch weiche und flüssige Complexion hätten, doch sei der Blick der
Thibier auch Erwachsenen nachtheilig; denn alle siechten, denen sie die Augen,
den Athem oder die Rede zuwendeten. Auch die telchiuische Seuche gehört
hierher, von welcher schon alte Mythen sprachen, eine Krankheit, welche der
Neid der Telchinen, der zu Menschen gewordenen Hunde des Aktäon, ausge¬
brütet hatte, wobei wir uns daran erinnern, daß der Hund allenthalben als
Typus der Scheelsucht gilt. Selbst Thiere konnten diesen Zauber ausüben
und andrerseits sich gegen ihn schützen. Die Tauben spuckten, um ihn abzu¬
wenden, ihren Jungen in die Schnäbel, und andere Vögel bewahrten in ihren
Nestern Pflanzen und Steine, die gegen ihn gut waren. Eine Grillenart,
Mantis genannt, konnte mit ihrem Blicke jedem Thiere Schaden anthun.

Bei solcher Noth war mau frühzeitig schon darauf bedacht gewesen, sich und
die seinen durch sühnende Bräuche oder durch Amulete oder auch durch ge¬
wisse Geberden zu schützen. Jene Gebräuche sollten deu Neid der Götter ab-
wenden. Versah es jemand damit, daß er zu viel Selbstgefühl oder Behagen
äußerte, oder bewunderte und lobte ihm ein Andrer durch Blick oder Wort
seine Schönheit, seine Gesundheit oder einen andern Besitz, so setzte der Be¬
treffende sofort hinzu: ,,/^o<?-"^-5 "H" v^-^" oder: "^.höle. wviäm verbo",
und wurde dies unterlassen, so geschah es wohl, daß der erste beste Freund
dem Gelobten oder Bewunderten ins Gesicht spuckte, um ihn vor^den Folgen dieser
Unachtsamkeit zu sichern. Die Amulete aber, die vor dem neidischen Blick oder
den Augen mit doppelter Pupille schützen sollten, hing man sich, seinen Kindern,
seinem Vieh gewöhnlich in Gestalt von Arm- oder Halsbändern an, zeichnete
sie auf Geräthe und Gefäße, auf Mauern oder an Thüren und richtete sie
auch im freien Felde auf. Dieselben waren aus edlen Metallen, Stein oder Bein,
an häufigsten aber aus Korallen gemacht und hatten mannigfaltige Formen.
Bisweilen waren es kleine Halbmonde (^vtv'xvt, oder Iunulg.6), oft auch
Götterbildchen, wie in späterer Zeit der von Ptolemaios in Aegypten eingeführte


Geschlechter durch ihr Lob Bäume verdorren und Kinder sterben ließen, und
daß es unter den Tritmlleru und Jllyriern Leute gab, die durch längeres An¬
stieren auf gleiche Weise schadeten, namentlich aber durch zornerfüllte Augen
die umunbare Jugend tödteten. Nach Apollvnides waren im Laude der Skythen
Frauen dieser Art, die man Bythien nannte, und uach Pylarchus hatte im
Pontus das Geschlecht der Thibier dieselbe Eigenschaft. Dieselben sanken (wie
die deutschen Hexen) im Wasser uicht unter, selbst wenn sie mit Kleidern be¬
lastet waren. Dcuuvu hatte Aehnliches von den Pharnazen in Aethiopien ver-
»oinmeu, die auch eiuen vergiftenden Schlveiß besaßen. Cicero erklärte deu
Blick aller Frauen für schädlich, die eine doppelte Pupille hatten. Plutarch
sagt im Symposion, dieser Angeuzauber sei besonders Kindern verderblich, da
sie eine noch weiche und flüssige Complexion hätten, doch sei der Blick der
Thibier auch Erwachsenen nachtheilig; denn alle siechten, denen sie die Augen,
den Athem oder die Rede zuwendeten. Auch die telchiuische Seuche gehört
hierher, von welcher schon alte Mythen sprachen, eine Krankheit, welche der
Neid der Telchinen, der zu Menschen gewordenen Hunde des Aktäon, ausge¬
brütet hatte, wobei wir uns daran erinnern, daß der Hund allenthalben als
Typus der Scheelsucht gilt. Selbst Thiere konnten diesen Zauber ausüben
und andrerseits sich gegen ihn schützen. Die Tauben spuckten, um ihn abzu¬
wenden, ihren Jungen in die Schnäbel, und andere Vögel bewahrten in ihren
Nestern Pflanzen und Steine, die gegen ihn gut waren. Eine Grillenart,
Mantis genannt, konnte mit ihrem Blicke jedem Thiere Schaden anthun.

Bei solcher Noth war mau frühzeitig schon darauf bedacht gewesen, sich und
die seinen durch sühnende Bräuche oder durch Amulete oder auch durch ge¬
wisse Geberden zu schützen. Jene Gebräuche sollten deu Neid der Götter ab-
wenden. Versah es jemand damit, daß er zu viel Selbstgefühl oder Behagen
äußerte, oder bewunderte und lobte ihm ein Andrer durch Blick oder Wort
seine Schönheit, seine Gesundheit oder einen andern Besitz, so setzte der Be¬
treffende sofort hinzu: ,,/^o<?-«^-5 »H" v^-^" oder: „^.höle. wviäm verbo",
und wurde dies unterlassen, so geschah es wohl, daß der erste beste Freund
dem Gelobten oder Bewunderten ins Gesicht spuckte, um ihn vor^den Folgen dieser
Unachtsamkeit zu sichern. Die Amulete aber, die vor dem neidischen Blick oder
den Augen mit doppelter Pupille schützen sollten, hing man sich, seinen Kindern,
seinem Vieh gewöhnlich in Gestalt von Arm- oder Halsbändern an, zeichnete
sie auf Geräthe und Gefäße, auf Mauern oder an Thüren und richtete sie
auch im freien Felde auf. Dieselben waren aus edlen Metallen, Stein oder Bein,
an häufigsten aber aus Korallen gemacht und hatten mannigfaltige Formen.
Bisweilen waren es kleine Halbmonde (^vtv'xvt, oder Iunulg.6), oft auch
Götterbildchen, wie in späterer Zeit der von Ptolemaios in Aegypten eingeführte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/49>, abgerufen am 23.07.2024.