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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Themen gegeben, z. B. "Der Sieg hat Ludwig stets geneigter zum Frieden ge¬
macht" (1693), "Der König ist noch furchtbarer durch die Liebe seiner Völker
als durch seine Waffen" (1695) und "Der König steht über den Ereignissen"
(1707). Der berühmte Lamonnoye, bei dessen Wahl der König der Gesellschaft
die vierzig Fauteuils schenkte, die seitdem das Symbol der akademischen Würde
geblieben sind, erregte kein Mißfallen dnrch die Verse:


"Weisheit, Verstand und Grüße, Hoheit, Muth
Zeigt, daß in Ludwig eine Gottheit ruht."

Wie alle andern Glieder der Gesellschaft Frankreichs mußte auch die Akademie
ihre Elogensteuer entrichten. Sonst ließ sie der König im Allgemeinen bei
ihrer Unabhängigkeit. Einer der wenigen Fälle, wo er ihr seinen Willen auf-
zwang, war die Wahl Boileau's im Jahre 1684. Das bedeutungsvollste Er-
eigniß unter der Regentschaft war die Ausstoßung des Abbe's de Se. Pierre,
der in seiner Pvlysyuvdie Ludwig's Regierung angegriffen hatte und dem an
sich nicht unberechtigten Gefühle zum Opfer fiel, daß man den, welchen die
Körperschaft lebend mit so maßlosen Lobsprüchen überschüttet hatte, nun im
Grabe nicht durch ein Mitglied derselben tadeln lassen dürfe.

Am 24. Januar 1728 wurde in Montesquieu, dem Verfasser der "I^Ares
xei'kjiMW" gleichsam der Geist der neuen Zeit in die Akademie aufgenommen.
Aber es hatte Mühe gekostet, da der König und Kardinal Fleury Anstoß an
dem Buche genommen hatten. Erst als Montesquieu mit Auswanderung aus
Frankreich gedroht und zu gleicher Zeit dem Kardinal eine neue Ausgabe der
persischen Briefe vorgelegt, in der die mißliebigen Stellen gestrichen waren, er¬
folgte seine Zulassung. Auch Voltaire bewarb sich zweimal vergeblich um
einen Sitz unter den vierzig Unsterblichen, da er als Vorkämpfer geistiger Frei¬
heit viele Gegner hatte, und obwohl er es nicht verschmähte, sich in Briefen
um Akademiker trotz seiner "philosophischen Briefe", die bekanntlich von Hen¬
kershand verbrannt wurden, für einen aufrichtigen Katholiken auszugeben.
Erst 1746 gelang ihm der Eintritt, nachdem er an mehrere einflußreiche Prä¬
laten geschrieben, die Redlichkeit seiner religiösen Ueberzeugungen betont und,
wie bei vielen andern Gelegenheiten, rücksichtslos seinen Charakter geopfert
hatte.

Die Wahlen Montesquieu's und Voltaire's haben hohe Bedeutung. Mit
ihnen faßt die philosophische Partei der neuen Zeit in der Akademie Wurzel.
Die kritische, negirende Literatur, die sich nicht mehr als um ihrer selbst willen
existirend betrachtet, sondern in der großen Masse des Volkes eine breitere
Basis sucht, wächst allmählich herau, und, in den Salons großgezogen, erobert
sie sich bald auch die Akademie. So mußte sich 1759 Lefranc, der in einer
Lobrede auf Maupertuis die philosophische Richtung hart angeklagt hatte,


Themen gegeben, z. B. „Der Sieg hat Ludwig stets geneigter zum Frieden ge¬
macht" (1693), „Der König ist noch furchtbarer durch die Liebe seiner Völker
als durch seine Waffen" (1695) und „Der König steht über den Ereignissen"
(1707). Der berühmte Lamonnoye, bei dessen Wahl der König der Gesellschaft
die vierzig Fauteuils schenkte, die seitdem das Symbol der akademischen Würde
geblieben sind, erregte kein Mißfallen dnrch die Verse:


„Weisheit, Verstand und Grüße, Hoheit, Muth
Zeigt, daß in Ludwig eine Gottheit ruht."

Wie alle andern Glieder der Gesellschaft Frankreichs mußte auch die Akademie
ihre Elogensteuer entrichten. Sonst ließ sie der König im Allgemeinen bei
ihrer Unabhängigkeit. Einer der wenigen Fälle, wo er ihr seinen Willen auf-
zwang, war die Wahl Boileau's im Jahre 1684. Das bedeutungsvollste Er-
eigniß unter der Regentschaft war die Ausstoßung des Abbe's de Se. Pierre,
der in seiner Pvlysyuvdie Ludwig's Regierung angegriffen hatte und dem an
sich nicht unberechtigten Gefühle zum Opfer fiel, daß man den, welchen die
Körperschaft lebend mit so maßlosen Lobsprüchen überschüttet hatte, nun im
Grabe nicht durch ein Mitglied derselben tadeln lassen dürfe.

Am 24. Januar 1728 wurde in Montesquieu, dem Verfasser der „I^Ares
xei'kjiMW" gleichsam der Geist der neuen Zeit in die Akademie aufgenommen.
Aber es hatte Mühe gekostet, da der König und Kardinal Fleury Anstoß an
dem Buche genommen hatten. Erst als Montesquieu mit Auswanderung aus
Frankreich gedroht und zu gleicher Zeit dem Kardinal eine neue Ausgabe der
persischen Briefe vorgelegt, in der die mißliebigen Stellen gestrichen waren, er¬
folgte seine Zulassung. Auch Voltaire bewarb sich zweimal vergeblich um
einen Sitz unter den vierzig Unsterblichen, da er als Vorkämpfer geistiger Frei¬
heit viele Gegner hatte, und obwohl er es nicht verschmähte, sich in Briefen
um Akademiker trotz seiner „philosophischen Briefe", die bekanntlich von Hen¬
kershand verbrannt wurden, für einen aufrichtigen Katholiken auszugeben.
Erst 1746 gelang ihm der Eintritt, nachdem er an mehrere einflußreiche Prä¬
laten geschrieben, die Redlichkeit seiner religiösen Ueberzeugungen betont und,
wie bei vielen andern Gelegenheiten, rücksichtslos seinen Charakter geopfert
hatte.

Die Wahlen Montesquieu's und Voltaire's haben hohe Bedeutung. Mit
ihnen faßt die philosophische Partei der neuen Zeit in der Akademie Wurzel.
Die kritische, negirende Literatur, die sich nicht mehr als um ihrer selbst willen
existirend betrachtet, sondern in der großen Masse des Volkes eine breitere
Basis sucht, wächst allmählich herau, und, in den Salons großgezogen, erobert
sie sich bald auch die Akademie. So mußte sich 1759 Lefranc, der in einer
Lobrede auf Maupertuis die philosophische Richtung hart angeklagt hatte,


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[0478] Themen gegeben, z. B. „Der Sieg hat Ludwig stets geneigter zum Frieden ge¬ macht" (1693), „Der König ist noch furchtbarer durch die Liebe seiner Völker als durch seine Waffen" (1695) und „Der König steht über den Ereignissen" (1707). Der berühmte Lamonnoye, bei dessen Wahl der König der Gesellschaft die vierzig Fauteuils schenkte, die seitdem das Symbol der akademischen Würde geblieben sind, erregte kein Mißfallen dnrch die Verse: „Weisheit, Verstand und Grüße, Hoheit, Muth Zeigt, daß in Ludwig eine Gottheit ruht." Wie alle andern Glieder der Gesellschaft Frankreichs mußte auch die Akademie ihre Elogensteuer entrichten. Sonst ließ sie der König im Allgemeinen bei ihrer Unabhängigkeit. Einer der wenigen Fälle, wo er ihr seinen Willen auf- zwang, war die Wahl Boileau's im Jahre 1684. Das bedeutungsvollste Er- eigniß unter der Regentschaft war die Ausstoßung des Abbe's de Se. Pierre, der in seiner Pvlysyuvdie Ludwig's Regierung angegriffen hatte und dem an sich nicht unberechtigten Gefühle zum Opfer fiel, daß man den, welchen die Körperschaft lebend mit so maßlosen Lobsprüchen überschüttet hatte, nun im Grabe nicht durch ein Mitglied derselben tadeln lassen dürfe. Am 24. Januar 1728 wurde in Montesquieu, dem Verfasser der „I^Ares xei'kjiMW" gleichsam der Geist der neuen Zeit in die Akademie aufgenommen. Aber es hatte Mühe gekostet, da der König und Kardinal Fleury Anstoß an dem Buche genommen hatten. Erst als Montesquieu mit Auswanderung aus Frankreich gedroht und zu gleicher Zeit dem Kardinal eine neue Ausgabe der persischen Briefe vorgelegt, in der die mißliebigen Stellen gestrichen waren, er¬ folgte seine Zulassung. Auch Voltaire bewarb sich zweimal vergeblich um einen Sitz unter den vierzig Unsterblichen, da er als Vorkämpfer geistiger Frei¬ heit viele Gegner hatte, und obwohl er es nicht verschmähte, sich in Briefen um Akademiker trotz seiner „philosophischen Briefe", die bekanntlich von Hen¬ kershand verbrannt wurden, für einen aufrichtigen Katholiken auszugeben. Erst 1746 gelang ihm der Eintritt, nachdem er an mehrere einflußreiche Prä¬ laten geschrieben, die Redlichkeit seiner religiösen Ueberzeugungen betont und, wie bei vielen andern Gelegenheiten, rücksichtslos seinen Charakter geopfert hatte. Die Wahlen Montesquieu's und Voltaire's haben hohe Bedeutung. Mit ihnen faßt die philosophische Partei der neuen Zeit in der Akademie Wurzel. Die kritische, negirende Literatur, die sich nicht mehr als um ihrer selbst willen existirend betrachtet, sondern in der großen Masse des Volkes eine breitere Basis sucht, wächst allmählich herau, und, in den Salons großgezogen, erobert sie sich bald auch die Akademie. So mußte sich 1759 Lefranc, der in einer Lobrede auf Maupertuis die philosophische Richtung hart angeklagt hatte,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/478>, abgerufen am 03.07.2024.