Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

gesellen wird schon früh begonnen haben, wahrscheinlich schon in der Zeit, wo
sie von der Scholle gelöst und freie Leute wurden. Der Schneidertag der
schlesischen Städte, der 1361 zu Schweidnitz abgehalten wurde, ist das älteste
Zeugniß für das Wandern der Knechte. Derselbe schreibt vor: "Wenn ein
Knecht in fremde Städte wandert und er etwas in seinem Brodsack trägt,
sollen die Meister ihn aufbinden und besehen, was im Sacke ist, und wenn
das ungerecht wäre, ihn den Gerichten übergeben." Andere Zeugnisse dafür,
daß das Wandern schon im vierzehnten Jahrhundert weithin gebräuchlich war,
wolle man bei Stahl nachlesen*), dem wir auch hier auszugsweise folgen.
Im fünfzehnten Jahrhundert häufen sich in den vorhandenen Urkunden aus
den Archiven der Handwerke die Verfügungen in Bezug auf die wandernden
Gesellen, aber von einem Zwang zum Wandern ist bis in das dritte Viertel
desselben nicht die Rede, wohl aber wird es hier und da untersagt. Jener
Zwang erscheint zuerst im Jahre 1477, und zwar zuerst bei den Wollwebern
zu Lübeck, wo verlangt wird, daß der Meisterssohn, wenn er Meister werden
will, erst Jahr und Tag wandern muß. Dann enthält die Rolle der Schneider
zu Regensburg ans dem Jahre 1497 die Bestimmung: "Wenn der Geselle
das Meisterstück nicht besteht, soll er allermindestens ein Jahr wieder wandern."
Im sechzehnten Jahrhundert ist der Wanderzwang bereits weit, aber noch
immer nicht allgemein verbreitet, im siebzehnten erst enthalten ihn fast alle
Handwerkssatznngen, und von da an blieb er bis zur Einführung der neuen
Gewerbeordnungen in Geltung.

Fragen wir nach den letzten Ursachen dieser Einrichtung, welche dem
Wunsche und Interesse der Meister, die Gesellen möglichst lange und fest an
sich zu binden, schnurstracks zuwiderlief, so hat man gemeint, es habe dabei die
Absicht obgewaltet, das stagniren und das Verbleiben des Handwerks in be¬
schränkter Sphäre zu verhüten, die Arbeiter dem Fortschritt der Zeit folgen,
sich an fremder Art und Kunst spiegeln und weiter bilden, sie das Bedürfniß
anderer Orte kennen lernen zu lassen, kurz, den Gesellen zu nöthigen, in der Welt,
nicht hinterm heimischen Ofen zum Manne zu werden. Das heißt aber die
Anschauungen der neuen Zeit der alten andichten. Andere haben gesagt, die
Lehrlinge hätten, von den Meistern daheim vernachlässigt, nichts Ordentliches
gelernt, andere Meister ihres Ortes hätten sie infolge dessen nicht gern zu Ge¬
sellen genommen, und so hätte man sie wandern lassen, damit sie bei fremden
Arbeitgebern das Versäumte nachholten. Das klingt etwas glaubwürdiger.
Der wahre und eigentliche Grund des Wanderzwangs war aber, wie Stahl
nachweist, offenbar die Absicht, die Erlangung des Meisterrechts zu erschweren



*) Vergl. Das deutsche Handwerk, S. 346 ff.

gesellen wird schon früh begonnen haben, wahrscheinlich schon in der Zeit, wo
sie von der Scholle gelöst und freie Leute wurden. Der Schneidertag der
schlesischen Städte, der 1361 zu Schweidnitz abgehalten wurde, ist das älteste
Zeugniß für das Wandern der Knechte. Derselbe schreibt vor: „Wenn ein
Knecht in fremde Städte wandert und er etwas in seinem Brodsack trägt,
sollen die Meister ihn aufbinden und besehen, was im Sacke ist, und wenn
das ungerecht wäre, ihn den Gerichten übergeben." Andere Zeugnisse dafür,
daß das Wandern schon im vierzehnten Jahrhundert weithin gebräuchlich war,
wolle man bei Stahl nachlesen*), dem wir auch hier auszugsweise folgen.
Im fünfzehnten Jahrhundert häufen sich in den vorhandenen Urkunden aus
den Archiven der Handwerke die Verfügungen in Bezug auf die wandernden
Gesellen, aber von einem Zwang zum Wandern ist bis in das dritte Viertel
desselben nicht die Rede, wohl aber wird es hier und da untersagt. Jener
Zwang erscheint zuerst im Jahre 1477, und zwar zuerst bei den Wollwebern
zu Lübeck, wo verlangt wird, daß der Meisterssohn, wenn er Meister werden
will, erst Jahr und Tag wandern muß. Dann enthält die Rolle der Schneider
zu Regensburg ans dem Jahre 1497 die Bestimmung: „Wenn der Geselle
das Meisterstück nicht besteht, soll er allermindestens ein Jahr wieder wandern."
Im sechzehnten Jahrhundert ist der Wanderzwang bereits weit, aber noch
immer nicht allgemein verbreitet, im siebzehnten erst enthalten ihn fast alle
Handwerkssatznngen, und von da an blieb er bis zur Einführung der neuen
Gewerbeordnungen in Geltung.

Fragen wir nach den letzten Ursachen dieser Einrichtung, welche dem
Wunsche und Interesse der Meister, die Gesellen möglichst lange und fest an
sich zu binden, schnurstracks zuwiderlief, so hat man gemeint, es habe dabei die
Absicht obgewaltet, das stagniren und das Verbleiben des Handwerks in be¬
schränkter Sphäre zu verhüten, die Arbeiter dem Fortschritt der Zeit folgen,
sich an fremder Art und Kunst spiegeln und weiter bilden, sie das Bedürfniß
anderer Orte kennen lernen zu lassen, kurz, den Gesellen zu nöthigen, in der Welt,
nicht hinterm heimischen Ofen zum Manne zu werden. Das heißt aber die
Anschauungen der neuen Zeit der alten andichten. Andere haben gesagt, die
Lehrlinge hätten, von den Meistern daheim vernachlässigt, nichts Ordentliches
gelernt, andere Meister ihres Ortes hätten sie infolge dessen nicht gern zu Ge¬
sellen genommen, und so hätte man sie wandern lassen, damit sie bei fremden
Arbeitgebern das Versäumte nachholten. Das klingt etwas glaubwürdiger.
Der wahre und eigentliche Grund des Wanderzwangs war aber, wie Stahl
nachweist, offenbar die Absicht, die Erlangung des Meisterrechts zu erschweren



*) Vergl. Das deutsche Handwerk, S. 346 ff.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0465" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138166"/>
          <p xml:id="ID_1327" prev="#ID_1326"> gesellen wird schon früh begonnen haben, wahrscheinlich schon in der Zeit, wo<lb/>
sie von der Scholle gelöst und freie Leute wurden. Der Schneidertag der<lb/>
schlesischen Städte, der 1361 zu Schweidnitz abgehalten wurde, ist das älteste<lb/>
Zeugniß für das Wandern der Knechte. Derselbe schreibt vor: &#x201E;Wenn ein<lb/>
Knecht in fremde Städte wandert und er etwas in seinem Brodsack trägt,<lb/>
sollen die Meister ihn aufbinden und besehen, was im Sacke ist, und wenn<lb/>
das ungerecht wäre, ihn den Gerichten übergeben." Andere Zeugnisse dafür,<lb/>
daß das Wandern schon im vierzehnten Jahrhundert weithin gebräuchlich war,<lb/>
wolle man bei Stahl nachlesen*), dem wir auch hier auszugsweise folgen.<lb/>
Im fünfzehnten Jahrhundert häufen sich in den vorhandenen Urkunden aus<lb/>
den Archiven der Handwerke die Verfügungen in Bezug auf die wandernden<lb/>
Gesellen, aber von einem Zwang zum Wandern ist bis in das dritte Viertel<lb/>
desselben nicht die Rede, wohl aber wird es hier und da untersagt. Jener<lb/>
Zwang erscheint zuerst im Jahre 1477, und zwar zuerst bei den Wollwebern<lb/>
zu Lübeck, wo verlangt wird, daß der Meisterssohn, wenn er Meister werden<lb/>
will, erst Jahr und Tag wandern muß. Dann enthält die Rolle der Schneider<lb/>
zu Regensburg ans dem Jahre 1497 die Bestimmung: &#x201E;Wenn der Geselle<lb/>
das Meisterstück nicht besteht, soll er allermindestens ein Jahr wieder wandern."<lb/>
Im sechzehnten Jahrhundert ist der Wanderzwang bereits weit, aber noch<lb/>
immer nicht allgemein verbreitet, im siebzehnten erst enthalten ihn fast alle<lb/>
Handwerkssatznngen, und von da an blieb er bis zur Einführung der neuen<lb/>
Gewerbeordnungen in Geltung.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1328" next="#ID_1329"> Fragen wir nach den letzten Ursachen dieser Einrichtung, welche dem<lb/>
Wunsche und Interesse der Meister, die Gesellen möglichst lange und fest an<lb/>
sich zu binden, schnurstracks zuwiderlief, so hat man gemeint, es habe dabei die<lb/>
Absicht obgewaltet, das stagniren und das Verbleiben des Handwerks in be¬<lb/>
schränkter Sphäre zu verhüten, die Arbeiter dem Fortschritt der Zeit folgen,<lb/>
sich an fremder Art und Kunst spiegeln und weiter bilden, sie das Bedürfniß<lb/>
anderer Orte kennen lernen zu lassen, kurz, den Gesellen zu nöthigen, in der Welt,<lb/>
nicht hinterm heimischen Ofen zum Manne zu werden. Das heißt aber die<lb/>
Anschauungen der neuen Zeit der alten andichten. Andere haben gesagt, die<lb/>
Lehrlinge hätten, von den Meistern daheim vernachlässigt, nichts Ordentliches<lb/>
gelernt, andere Meister ihres Ortes hätten sie infolge dessen nicht gern zu Ge¬<lb/>
sellen genommen, und so hätte man sie wandern lassen, damit sie bei fremden<lb/>
Arbeitgebern das Versäumte nachholten. Das klingt etwas glaubwürdiger.<lb/>
Der wahre und eigentliche Grund des Wanderzwangs war aber, wie Stahl<lb/>
nachweist, offenbar die Absicht, die Erlangung des Meisterrechts zu erschweren</p><lb/>
          <note xml:id="FID_138" place="foot"> *) Vergl. Das deutsche Handwerk, S. 346 ff.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0465] gesellen wird schon früh begonnen haben, wahrscheinlich schon in der Zeit, wo sie von der Scholle gelöst und freie Leute wurden. Der Schneidertag der schlesischen Städte, der 1361 zu Schweidnitz abgehalten wurde, ist das älteste Zeugniß für das Wandern der Knechte. Derselbe schreibt vor: „Wenn ein Knecht in fremde Städte wandert und er etwas in seinem Brodsack trägt, sollen die Meister ihn aufbinden und besehen, was im Sacke ist, und wenn das ungerecht wäre, ihn den Gerichten übergeben." Andere Zeugnisse dafür, daß das Wandern schon im vierzehnten Jahrhundert weithin gebräuchlich war, wolle man bei Stahl nachlesen*), dem wir auch hier auszugsweise folgen. Im fünfzehnten Jahrhundert häufen sich in den vorhandenen Urkunden aus den Archiven der Handwerke die Verfügungen in Bezug auf die wandernden Gesellen, aber von einem Zwang zum Wandern ist bis in das dritte Viertel desselben nicht die Rede, wohl aber wird es hier und da untersagt. Jener Zwang erscheint zuerst im Jahre 1477, und zwar zuerst bei den Wollwebern zu Lübeck, wo verlangt wird, daß der Meisterssohn, wenn er Meister werden will, erst Jahr und Tag wandern muß. Dann enthält die Rolle der Schneider zu Regensburg ans dem Jahre 1497 die Bestimmung: „Wenn der Geselle das Meisterstück nicht besteht, soll er allermindestens ein Jahr wieder wandern." Im sechzehnten Jahrhundert ist der Wanderzwang bereits weit, aber noch immer nicht allgemein verbreitet, im siebzehnten erst enthalten ihn fast alle Handwerkssatznngen, und von da an blieb er bis zur Einführung der neuen Gewerbeordnungen in Geltung. Fragen wir nach den letzten Ursachen dieser Einrichtung, welche dem Wunsche und Interesse der Meister, die Gesellen möglichst lange und fest an sich zu binden, schnurstracks zuwiderlief, so hat man gemeint, es habe dabei die Absicht obgewaltet, das stagniren und das Verbleiben des Handwerks in be¬ schränkter Sphäre zu verhüten, die Arbeiter dem Fortschritt der Zeit folgen, sich an fremder Art und Kunst spiegeln und weiter bilden, sie das Bedürfniß anderer Orte kennen lernen zu lassen, kurz, den Gesellen zu nöthigen, in der Welt, nicht hinterm heimischen Ofen zum Manne zu werden. Das heißt aber die Anschauungen der neuen Zeit der alten andichten. Andere haben gesagt, die Lehrlinge hätten, von den Meistern daheim vernachlässigt, nichts Ordentliches gelernt, andere Meister ihres Ortes hätten sie infolge dessen nicht gern zu Ge¬ sellen genommen, und so hätte man sie wandern lassen, damit sie bei fremden Arbeitgebern das Versäumte nachholten. Das klingt etwas glaubwürdiger. Der wahre und eigentliche Grund des Wanderzwangs war aber, wie Stahl nachweist, offenbar die Absicht, die Erlangung des Meisterrechts zu erschweren *) Vergl. Das deutsche Handwerk, S. 346 ff.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/465
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/465>, abgerufen am 23.07.2024.