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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Mit diesem Hefte beginnt diese Zeitschrift das II. Quartal ihres
36. Jahrgangs, welches durch alle Buchhandlungen und Haftan¬
stalten des In- und Auslandes zu beziehen ist. Preis pro Quar
tal 9 Mark.
Privatpersonen, gesellige Vereine, Lesegesellschaften, Kaffee¬
häuser und Konditoreien werden um gefällige Berücksichtigung derselben
freundlichst gebeten.
Leipzig, im März 1877. Die Verlagshandlung.

Aer böse Ilick.

Unter den zahlreichen Volksmeinungen und Volksbräuchen, in welchen die
Weltanschauung vergangener Zeiten neben der modernen Bildung fortlebt, ge¬
hören die, welche die Vorstellung von der Möglichkeit einer Bezauberung durch
d"s menschliche Auge zur Voraussetzung haben, zu deu verbreiterten und
interessantesten. Wir finden ihre Wurzeln in den ältesten Urkunden unseres
Geschlechts, und wir begegnen ihnen selbst in wenig von einander verschiedenen
Gestalten unter allen Völkern Europas und Westasiens, gleichviel, ob dieselben
der arischen oder der senntischen Race angehören. Hier wie dort glaubt man
^nächst, daß der Neid über das Glück eines Andern im Stande ist, nach¬
teilig ans dessen Person oder auf die Sache einzuwirken, um die er beneidet
wird, und daß es vorzüglich der Blick ist, welcher die verderbliche Kraft des
Neides auf den Gegenstand desselben hinzuleiten pflegt. Daneben begegnen
wir der Meinung, daß der Blick bestimmter einzelner Menschen auch ohne
deren Zuthun, ohne daß er'mit Mißgunst erfüllt ist, als schadenbringender
Zauber wirken könne. Drittens endlich ist in noch weiteren Kreisen als diese
'lnsicht die Vorstellung verbreitet, daß gerade das Gegentheil des Neides, leb¬
haftes, unbefangnes Wohlgefallen, starke und aufrichtige Bewunderung in Aus¬
rufungen oder auch nur durch leuchtende Augen ausgedrückt, dem gepriesenen,
"ugestcmnten Gegenstande auf geheimnißvolle Weise Unglück bringe.

Die zuletzt erwähnte Form dieses Aberglaubens hängt in ihrem letzten
Grunde mit der alten Furcht vor dem Neide der Götter zusammen, und die
VvrstMlng von neidischen Göttern ist wiederum eine finstere Ueberlieferung
aus den Tagen des Aufdämmerns der Religion überhaupt. Geläutert und
verklärt wird sie zur Scheu vor frevelhafter Ueberhebung. Der älteste Gott
war die Gefährlichkeit einzelner Naturdinge, die erste Regung des religiösen
Gefühls Schrecken und Grauen, dumpfe Furcht vor der unabwendbaren Ge-


Gmizlwten II. 1877. "

Mit diesem Hefte beginnt diese Zeitschrift das II. Quartal ihres
36. Jahrgangs, welches durch alle Buchhandlungen und Haftan¬
stalten des In- und Auslandes zu beziehen ist. Preis pro Quar
tal 9 Mark.
Privatpersonen, gesellige Vereine, Lesegesellschaften, Kaffee¬
häuser und Konditoreien werden um gefällige Berücksichtigung derselben
freundlichst gebeten.
Leipzig, im März 1877. Die Verlagshandlung.

Aer böse Ilick.

Unter den zahlreichen Volksmeinungen und Volksbräuchen, in welchen die
Weltanschauung vergangener Zeiten neben der modernen Bildung fortlebt, ge¬
hören die, welche die Vorstellung von der Möglichkeit einer Bezauberung durch
d«s menschliche Auge zur Voraussetzung haben, zu deu verbreiterten und
interessantesten. Wir finden ihre Wurzeln in den ältesten Urkunden unseres
Geschlechts, und wir begegnen ihnen selbst in wenig von einander verschiedenen
Gestalten unter allen Völkern Europas und Westasiens, gleichviel, ob dieselben
der arischen oder der senntischen Race angehören. Hier wie dort glaubt man
^nächst, daß der Neid über das Glück eines Andern im Stande ist, nach¬
teilig ans dessen Person oder auf die Sache einzuwirken, um die er beneidet
wird, und daß es vorzüglich der Blick ist, welcher die verderbliche Kraft des
Neides auf den Gegenstand desselben hinzuleiten pflegt. Daneben begegnen
wir der Meinung, daß der Blick bestimmter einzelner Menschen auch ohne
deren Zuthun, ohne daß er'mit Mißgunst erfüllt ist, als schadenbringender
Zauber wirken könne. Drittens endlich ist in noch weiteren Kreisen als diese
'lnsicht die Vorstellung verbreitet, daß gerade das Gegentheil des Neides, leb¬
haftes, unbefangnes Wohlgefallen, starke und aufrichtige Bewunderung in Aus¬
rufungen oder auch nur durch leuchtende Augen ausgedrückt, dem gepriesenen,
"ugestcmnten Gegenstande auf geheimnißvolle Weise Unglück bringe.

Die zuletzt erwähnte Form dieses Aberglaubens hängt in ihrem letzten
Grunde mit der alten Furcht vor dem Neide der Götter zusammen, und die
VvrstMlng von neidischen Göttern ist wiederum eine finstere Ueberlieferung
aus den Tagen des Aufdämmerns der Religion überhaupt. Geläutert und
verklärt wird sie zur Scheu vor frevelhafter Ueberhebung. Der älteste Gott
war die Gefährlichkeit einzelner Naturdinge, die erste Regung des religiösen
Gefühls Schrecken und Grauen, dumpfe Furcht vor der unabwendbaren Ge-


Gmizlwten II. 1877. "
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[0045] Mit diesem Hefte beginnt diese Zeitschrift das II. Quartal ihres 36. Jahrgangs, welches durch alle Buchhandlungen und Haftan¬ stalten des In- und Auslandes zu beziehen ist. Preis pro Quar tal 9 Mark. Privatpersonen, gesellige Vereine, Lesegesellschaften, Kaffee¬ häuser und Konditoreien werden um gefällige Berücksichtigung derselben freundlichst gebeten. Leipzig, im März 1877. Die Verlagshandlung. Aer böse Ilick. Unter den zahlreichen Volksmeinungen und Volksbräuchen, in welchen die Weltanschauung vergangener Zeiten neben der modernen Bildung fortlebt, ge¬ hören die, welche die Vorstellung von der Möglichkeit einer Bezauberung durch d«s menschliche Auge zur Voraussetzung haben, zu deu verbreiterten und interessantesten. Wir finden ihre Wurzeln in den ältesten Urkunden unseres Geschlechts, und wir begegnen ihnen selbst in wenig von einander verschiedenen Gestalten unter allen Völkern Europas und Westasiens, gleichviel, ob dieselben der arischen oder der senntischen Race angehören. Hier wie dort glaubt man ^nächst, daß der Neid über das Glück eines Andern im Stande ist, nach¬ teilig ans dessen Person oder auf die Sache einzuwirken, um die er beneidet wird, und daß es vorzüglich der Blick ist, welcher die verderbliche Kraft des Neides auf den Gegenstand desselben hinzuleiten pflegt. Daneben begegnen wir der Meinung, daß der Blick bestimmter einzelner Menschen auch ohne deren Zuthun, ohne daß er'mit Mißgunst erfüllt ist, als schadenbringender Zauber wirken könne. Drittens endlich ist in noch weiteren Kreisen als diese 'lnsicht die Vorstellung verbreitet, daß gerade das Gegentheil des Neides, leb¬ haftes, unbefangnes Wohlgefallen, starke und aufrichtige Bewunderung in Aus¬ rufungen oder auch nur durch leuchtende Augen ausgedrückt, dem gepriesenen, "ugestcmnten Gegenstande auf geheimnißvolle Weise Unglück bringe. Die zuletzt erwähnte Form dieses Aberglaubens hängt in ihrem letzten Grunde mit der alten Furcht vor dem Neide der Götter zusammen, und die VvrstMlng von neidischen Göttern ist wiederum eine finstere Ueberlieferung aus den Tagen des Aufdämmerns der Religion überhaupt. Geläutert und verklärt wird sie zur Scheu vor frevelhafter Ueberhebung. Der älteste Gott war die Gefährlichkeit einzelner Naturdinge, die erste Regung des religiösen Gefühls Schrecken und Grauen, dumpfe Furcht vor der unabwendbaren Ge- Gmizlwten II. 1877. "

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/45>, abgerufen am 03.07.2024.