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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Brudertisch gehalten und frommer Brüder Strafbier getrunken. Weil nun-
mehro die Zeit verflossen und frommer Brüder Strafbier genossen und nicht
vergossen, fo wollen wir auf dies Mal einen frischen und fröhlichen Feier¬
abend machen. Wir wollen aber zuvor ehren Gott den Allmächtigen, darnach
den Herrn Vater, die Fran Mutter, die Brüder und Schwestern, und es ehre
ein guter Bruder den andern. Werden wir das thun, fo werden wir alle
wohl fahren im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.
Wer null weiter trinken, der laß weiter klingen; mein Pfennig sein Gesell."

Wenn Handwerksgesellen der Bäcker in Frankfurt arbeiten wollten, so
mußten sie in den ersten vierzehn Tagen mit ihrem Meister auf dem Römer
erscheinen und hier den Geselleneid schwören. Alle Vierteljahre ernannten sie
zwei Büchsen- und zwei Rechenmeister, und von diesen gingen alle Quartale
die ältesten ab und wurden durch Wahl von neuen ersetzt. Alle vier Wochen
durften sie ein "Gebote", d. h. eine Versammlung wie der "Brudertisch", an¬
stellen, dem geschworene Meister beiwohnen mußten. Auf der Stube, wo sie
zusammenkamen, hatten sie zwei Laden, in welchen sie ihre Artikelbücher, ihre
Geldbüchsen, ihre Trinkkannen und den Willkomm aufbewahrten. In manchen
Städten war den Bäckergesellen nur gestattet, Quartalversammlungen abzu¬
halten und dabei "aufzulegen", d. h. gewisse Beiträge zu Zwecken der Ge¬
nossenschaft zu leisten. An anderen Orten dagegen durften sie ziemlich hohe
Strafen verhängen, hatten also ihre Privatjustizpflege. Nach der Bäckergesellen¬
ordnung zu Naumburg z. B. wählten sie alle halben Jahre aus ihrer Mitte
zwei Altknechte, von denen es heißt: "Und wenn sie die gekoren haben, so
sollen und wollen alle Gesellen denselben, und sonderlich, wenn sie befände
würden, auch sonst, was Innung und Handwerk betrifft, gehorsam sein und
sich in allen ziemlichen Dingen nach ihnen richten. Wer das aber nicht thäte
und ungehorsam erfunden würde, soll das mit einem neuen Groschen gang¬
barer Münze verwandeln" (büßen).

Die Aufgabe des Handwerksgesellen der alten Zeit war lediglich die Ge-
werbsarbeit im engeren Sinne. Zu anderen Leistungen, z. B. zum Einkauf
von Material und zum Verkauf der Waare, war er weder verpflichtet noch be¬
fugt. Ausgenommen hiervon waren nur die Metzgergesellen, insofern sie für
den Meister Vieh einkaufen durften; hinter der Fleischbank desselben zu stehen,
war thuen untersagt. Ferner war nur bei einigen wenigen Handwerken den
Gesellen erlaubt, ein gewisses Maß Arbeit ans eigene Rechnung zu übernehmen
oder für sich selbst in der Werkstatt des Meisters zu arbeiten; die meisten
Zünfte verboten Beides.

Die Dauer der Arbeitszeit war, sofern es sich um die Dingung der Ge¬
sellen unmittelbar dnrch den Konsumenten handelte, was besonders häufig bei

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Brudertisch gehalten und frommer Brüder Strafbier getrunken. Weil nun-
mehro die Zeit verflossen und frommer Brüder Strafbier genossen und nicht
vergossen, fo wollen wir auf dies Mal einen frischen und fröhlichen Feier¬
abend machen. Wir wollen aber zuvor ehren Gott den Allmächtigen, darnach
den Herrn Vater, die Fran Mutter, die Brüder und Schwestern, und es ehre
ein guter Bruder den andern. Werden wir das thun, fo werden wir alle
wohl fahren im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes.
Wer null weiter trinken, der laß weiter klingen; mein Pfennig sein Gesell."

Wenn Handwerksgesellen der Bäcker in Frankfurt arbeiten wollten, so
mußten sie in den ersten vierzehn Tagen mit ihrem Meister auf dem Römer
erscheinen und hier den Geselleneid schwören. Alle Vierteljahre ernannten sie
zwei Büchsen- und zwei Rechenmeister, und von diesen gingen alle Quartale
die ältesten ab und wurden durch Wahl von neuen ersetzt. Alle vier Wochen
durften sie ein „Gebote", d. h. eine Versammlung wie der „Brudertisch", an¬
stellen, dem geschworene Meister beiwohnen mußten. Auf der Stube, wo sie
zusammenkamen, hatten sie zwei Laden, in welchen sie ihre Artikelbücher, ihre
Geldbüchsen, ihre Trinkkannen und den Willkomm aufbewahrten. In manchen
Städten war den Bäckergesellen nur gestattet, Quartalversammlungen abzu¬
halten und dabei „aufzulegen", d. h. gewisse Beiträge zu Zwecken der Ge¬
nossenschaft zu leisten. An anderen Orten dagegen durften sie ziemlich hohe
Strafen verhängen, hatten also ihre Privatjustizpflege. Nach der Bäckergesellen¬
ordnung zu Naumburg z. B. wählten sie alle halben Jahre aus ihrer Mitte
zwei Altknechte, von denen es heißt: „Und wenn sie die gekoren haben, so
sollen und wollen alle Gesellen denselben, und sonderlich, wenn sie befände
würden, auch sonst, was Innung und Handwerk betrifft, gehorsam sein und
sich in allen ziemlichen Dingen nach ihnen richten. Wer das aber nicht thäte
und ungehorsam erfunden würde, soll das mit einem neuen Groschen gang¬
barer Münze verwandeln" (büßen).

Die Aufgabe des Handwerksgesellen der alten Zeit war lediglich die Ge-
werbsarbeit im engeren Sinne. Zu anderen Leistungen, z. B. zum Einkauf
von Material und zum Verkauf der Waare, war er weder verpflichtet noch be¬
fugt. Ausgenommen hiervon waren nur die Metzgergesellen, insofern sie für
den Meister Vieh einkaufen durften; hinter der Fleischbank desselben zu stehen,
war thuen untersagt. Ferner war nur bei einigen wenigen Handwerken den
Gesellen erlaubt, ein gewisses Maß Arbeit ans eigene Rechnung zu übernehmen
oder für sich selbst in der Werkstatt des Meisters zu arbeiten; die meisten
Zünfte verboten Beides.

Die Dauer der Arbeitszeit war, sofern es sich um die Dingung der Ge¬
sellen unmittelbar dnrch den Konsumenten handelte, was besonders häufig bei

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[0412] Brudertisch gehalten und frommer Brüder Strafbier getrunken. Weil nun- mehro die Zeit verflossen und frommer Brüder Strafbier genossen und nicht vergossen, fo wollen wir auf dies Mal einen frischen und fröhlichen Feier¬ abend machen. Wir wollen aber zuvor ehren Gott den Allmächtigen, darnach den Herrn Vater, die Fran Mutter, die Brüder und Schwestern, und es ehre ein guter Bruder den andern. Werden wir das thun, fo werden wir alle wohl fahren im Namen des Vaters, des Sohnes und des heiligen Geistes. Wer null weiter trinken, der laß weiter klingen; mein Pfennig sein Gesell." Wenn Handwerksgesellen der Bäcker in Frankfurt arbeiten wollten, so mußten sie in den ersten vierzehn Tagen mit ihrem Meister auf dem Römer erscheinen und hier den Geselleneid schwören. Alle Vierteljahre ernannten sie zwei Büchsen- und zwei Rechenmeister, und von diesen gingen alle Quartale die ältesten ab und wurden durch Wahl von neuen ersetzt. Alle vier Wochen durften sie ein „Gebote", d. h. eine Versammlung wie der „Brudertisch", an¬ stellen, dem geschworene Meister beiwohnen mußten. Auf der Stube, wo sie zusammenkamen, hatten sie zwei Laden, in welchen sie ihre Artikelbücher, ihre Geldbüchsen, ihre Trinkkannen und den Willkomm aufbewahrten. In manchen Städten war den Bäckergesellen nur gestattet, Quartalversammlungen abzu¬ halten und dabei „aufzulegen", d. h. gewisse Beiträge zu Zwecken der Ge¬ nossenschaft zu leisten. An anderen Orten dagegen durften sie ziemlich hohe Strafen verhängen, hatten also ihre Privatjustizpflege. Nach der Bäckergesellen¬ ordnung zu Naumburg z. B. wählten sie alle halben Jahre aus ihrer Mitte zwei Altknechte, von denen es heißt: „Und wenn sie die gekoren haben, so sollen und wollen alle Gesellen denselben, und sonderlich, wenn sie befände würden, auch sonst, was Innung und Handwerk betrifft, gehorsam sein und sich in allen ziemlichen Dingen nach ihnen richten. Wer das aber nicht thäte und ungehorsam erfunden würde, soll das mit einem neuen Groschen gang¬ barer Münze verwandeln" (büßen). Die Aufgabe des Handwerksgesellen der alten Zeit war lediglich die Ge- werbsarbeit im engeren Sinne. Zu anderen Leistungen, z. B. zum Einkauf von Material und zum Verkauf der Waare, war er weder verpflichtet noch be¬ fugt. Ausgenommen hiervon waren nur die Metzgergesellen, insofern sie für den Meister Vieh einkaufen durften; hinter der Fleischbank desselben zu stehen, war thuen untersagt. Ferner war nur bei einigen wenigen Handwerken den Gesellen erlaubt, ein gewisses Maß Arbeit ans eigene Rechnung zu übernehmen oder für sich selbst in der Werkstatt des Meisters zu arbeiten; die meisten Zünfte verboten Beides. Die Dauer der Arbeitszeit war, sofern es sich um die Dingung der Ge¬ sellen unmittelbar dnrch den Konsumenten handelte, was besonders häufig bei «

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/412>, abgerufen am 23.07.2024.