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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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gehen, die Thür zumachen, dann einer nach dem andern wieder eintreten, den
Hut in der rechten, die Handschuhe in der linken Hand, deu Handwerksgruß
hersagen und dann mit den Worten: "Mit Gunst, daß ich mag an dem
frommen Brudertisch sitzen" hinter der Tafel Platz nehmen. Derjenige, welcher
obenan sitzen und das Wort führen wollte, begann hierauf:

"Mit Gunst, Ihr frommen Brüder, jung und alt, Ihr werdet euch ziem¬
lichermaßen zu erinnern wissen, daß wir den Herrn Vater angesprochen haben,
einen frommen Brudertisch zu halten. Dieweil uns der Herr Vater einen
solchen vergönnet und zugelassen hat, das Böse zu strafen, das Gute aber fort¬
zupflanzen, also will ich die Umfrage thun: Mit Gunst zum ersten Mal , ist
ein guter Bruder da, der wider mich oder einen Andern etwas zu klagen oder
zu gedenken weiß, der trete vor den frommen Brudertisch, bringe sein Wort
ordentlicherweise und mit Bescheidenheit vor, es soll ihm verholfen werden,
wie mir oder einem andern Bruder ist geholfen worden."

War nun einer der Knechte vorhanden, der eine Klage vorzubringen hatte,
so erhob er sich und fagte: "Mit Gunst stehe ich auf," trat vor den Tisch und
fuhr fort: "Mit Gunst, Ihr frommen Brüder, jung und alt, ich will Euch das
zu erkennen geben, ob es dieses Handwerks Brauch und Gewohnheit ist, so
Einer" -- und nun führte er seine Klage aus, ohne den Missethäter namhaft
zu machen. Darauf erwiderte der Wortführer an der Tafelrunde: "Mit Gunst,
Du mußt diesen Bruder nennen, wer er ist." Alsdann sprach der Kläger, zu
dem von ihm Gemeinten gewendet: "Mit Gunst, Bruder, Du bist es." Hier¬
auf erhob sich der Angeklagte und trat mit dem unerläßlichen "Mit Gunst"
vor den Tisch, um entweder sein Vergehen zu bekennen oder es zu leugnen.
Wurde er überführt oder war er von vornherein geständig, so mußten er und
sein Anklüger abtreten und vor der Thür bleiben, bis sie wieder hereingerufen
wurden. War der Fall drinnen genügend berathen und entschieden, so rief
man zuerst deu Beklagten wieder vor das Gericht. Derselbe hatte den Hand-
werksgruß zu sprechen und dann zu sagen: "Mit Gunst, haben sich die frommen
Brüder berathen, mir zu Nutz und ohne Schaden, das Ware mir lieb zu er¬
fahren." Dann holte man auch den Kläger wieder herein, und beiden Par¬
teien wurde das Urtheil publizirt, welches eine kleine Geldstrafe aussprach, die
sodann -- je nach der Art und Sitte der Gegend -- in Wein oder Bier ver¬
trunken wurde. Auch beim Herumgehen des "Strafbieres" waren eine Menge
von Ceremonien zu beobachten, und, war es mit dem Trunk zu Ende, so erhob
sich der Wortführer, gewöhnlich ein Altgesell, um die "Abdankung" vorzu¬
nehmen. Dies geschah mit folgender herkömmlichen Formel:

"Mit Gunst, Ihr frommen Brüder, alt und jung, Ihr werdet euch guter¬
maßen zu erinnern wissen, daß wir heutiges Tages haben einen saubern


gehen, die Thür zumachen, dann einer nach dem andern wieder eintreten, den
Hut in der rechten, die Handschuhe in der linken Hand, deu Handwerksgruß
hersagen und dann mit den Worten: „Mit Gunst, daß ich mag an dem
frommen Brudertisch sitzen" hinter der Tafel Platz nehmen. Derjenige, welcher
obenan sitzen und das Wort führen wollte, begann hierauf:

„Mit Gunst, Ihr frommen Brüder, jung und alt, Ihr werdet euch ziem¬
lichermaßen zu erinnern wissen, daß wir den Herrn Vater angesprochen haben,
einen frommen Brudertisch zu halten. Dieweil uns der Herr Vater einen
solchen vergönnet und zugelassen hat, das Böse zu strafen, das Gute aber fort¬
zupflanzen, also will ich die Umfrage thun: Mit Gunst zum ersten Mal , ist
ein guter Bruder da, der wider mich oder einen Andern etwas zu klagen oder
zu gedenken weiß, der trete vor den frommen Brudertisch, bringe sein Wort
ordentlicherweise und mit Bescheidenheit vor, es soll ihm verholfen werden,
wie mir oder einem andern Bruder ist geholfen worden."

War nun einer der Knechte vorhanden, der eine Klage vorzubringen hatte,
so erhob er sich und fagte: „Mit Gunst stehe ich auf," trat vor den Tisch und
fuhr fort: „Mit Gunst, Ihr frommen Brüder, jung und alt, ich will Euch das
zu erkennen geben, ob es dieses Handwerks Brauch und Gewohnheit ist, so
Einer" — und nun führte er seine Klage aus, ohne den Missethäter namhaft
zu machen. Darauf erwiderte der Wortführer an der Tafelrunde: „Mit Gunst,
Du mußt diesen Bruder nennen, wer er ist." Alsdann sprach der Kläger, zu
dem von ihm Gemeinten gewendet: „Mit Gunst, Bruder, Du bist es." Hier¬
auf erhob sich der Angeklagte und trat mit dem unerläßlichen „Mit Gunst"
vor den Tisch, um entweder sein Vergehen zu bekennen oder es zu leugnen.
Wurde er überführt oder war er von vornherein geständig, so mußten er und
sein Anklüger abtreten und vor der Thür bleiben, bis sie wieder hereingerufen
wurden. War der Fall drinnen genügend berathen und entschieden, so rief
man zuerst deu Beklagten wieder vor das Gericht. Derselbe hatte den Hand-
werksgruß zu sprechen und dann zu sagen: „Mit Gunst, haben sich die frommen
Brüder berathen, mir zu Nutz und ohne Schaden, das Ware mir lieb zu er¬
fahren." Dann holte man auch den Kläger wieder herein, und beiden Par¬
teien wurde das Urtheil publizirt, welches eine kleine Geldstrafe aussprach, die
sodann — je nach der Art und Sitte der Gegend — in Wein oder Bier ver¬
trunken wurde. Auch beim Herumgehen des „Strafbieres" waren eine Menge
von Ceremonien zu beobachten, und, war es mit dem Trunk zu Ende, so erhob
sich der Wortführer, gewöhnlich ein Altgesell, um die „Abdankung" vorzu¬
nehmen. Dies geschah mit folgender herkömmlichen Formel:

„Mit Gunst, Ihr frommen Brüder, alt und jung, Ihr werdet euch guter¬
maßen zu erinnern wissen, daß wir heutiges Tages haben einen saubern


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[0411] gehen, die Thür zumachen, dann einer nach dem andern wieder eintreten, den Hut in der rechten, die Handschuhe in der linken Hand, deu Handwerksgruß hersagen und dann mit den Worten: „Mit Gunst, daß ich mag an dem frommen Brudertisch sitzen" hinter der Tafel Platz nehmen. Derjenige, welcher obenan sitzen und das Wort führen wollte, begann hierauf: „Mit Gunst, Ihr frommen Brüder, jung und alt, Ihr werdet euch ziem¬ lichermaßen zu erinnern wissen, daß wir den Herrn Vater angesprochen haben, einen frommen Brudertisch zu halten. Dieweil uns der Herr Vater einen solchen vergönnet und zugelassen hat, das Böse zu strafen, das Gute aber fort¬ zupflanzen, also will ich die Umfrage thun: Mit Gunst zum ersten Mal , ist ein guter Bruder da, der wider mich oder einen Andern etwas zu klagen oder zu gedenken weiß, der trete vor den frommen Brudertisch, bringe sein Wort ordentlicherweise und mit Bescheidenheit vor, es soll ihm verholfen werden, wie mir oder einem andern Bruder ist geholfen worden." War nun einer der Knechte vorhanden, der eine Klage vorzubringen hatte, so erhob er sich und fagte: „Mit Gunst stehe ich auf," trat vor den Tisch und fuhr fort: „Mit Gunst, Ihr frommen Brüder, jung und alt, ich will Euch das zu erkennen geben, ob es dieses Handwerks Brauch und Gewohnheit ist, so Einer" — und nun führte er seine Klage aus, ohne den Missethäter namhaft zu machen. Darauf erwiderte der Wortführer an der Tafelrunde: „Mit Gunst, Du mußt diesen Bruder nennen, wer er ist." Alsdann sprach der Kläger, zu dem von ihm Gemeinten gewendet: „Mit Gunst, Bruder, Du bist es." Hier¬ auf erhob sich der Angeklagte und trat mit dem unerläßlichen „Mit Gunst" vor den Tisch, um entweder sein Vergehen zu bekennen oder es zu leugnen. Wurde er überführt oder war er von vornherein geständig, so mußten er und sein Anklüger abtreten und vor der Thür bleiben, bis sie wieder hereingerufen wurden. War der Fall drinnen genügend berathen und entschieden, so rief man zuerst deu Beklagten wieder vor das Gericht. Derselbe hatte den Hand- werksgruß zu sprechen und dann zu sagen: „Mit Gunst, haben sich die frommen Brüder berathen, mir zu Nutz und ohne Schaden, das Ware mir lieb zu er¬ fahren." Dann holte man auch den Kläger wieder herein, und beiden Par¬ teien wurde das Urtheil publizirt, welches eine kleine Geldstrafe aussprach, die sodann — je nach der Art und Sitte der Gegend — in Wein oder Bier ver¬ trunken wurde. Auch beim Herumgehen des „Strafbieres" waren eine Menge von Ceremonien zu beobachten, und, war es mit dem Trunk zu Ende, so erhob sich der Wortführer, gewöhnlich ein Altgesell, um die „Abdankung" vorzu¬ nehmen. Dies geschah mit folgender herkömmlichen Formel: „Mit Gunst, Ihr frommen Brüder, alt und jung, Ihr werdet euch guter¬ maßen zu erinnern wissen, daß wir heutiges Tages haben einen saubern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/411>, abgerufen am 23.07.2024.