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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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bei starkem Andrange prinzipiell nnr Billete III. Klasse lösen, um dann "ans
Versehen" oder "ans Mangel an Platz" II. oder womöglich I. Klasse zu fahren,
und immer das große Wort über schlechte Verkehrseinrichtungen führen. Dieser
Sorte von Menschen kann freilich keine Verkehrseinrichtnng gerecht werden,
weil sie selbst jeder Gerechtigkeit abhold sind, aber für diese Menschen ist auch
mein Vorschlag nicht berechnet, sondern für ernste, das allgemeine Wohl im
Auge habende, ehrliche Leute. Es ist wirklich zu verwundern, daß das reisende
Publikum gegen jene Eisenbahnstrauchdiebe nicht mehr Lynchjustiz übt, denn
widerlich genug drängt sich deren Gebahren Jedem auf, der oft und lange auf
der Axe liegt.

Doch wieder zur Sache. Jeue Lvkalzüge könnten auch uoch in einem
andern Pnnkte den lokalen Bedürfnissen und Verhältnissen sich viel besser an¬
schmiegen als die jetzigen Personenzüge, nämlich in dein Wechsel des Fahrplans.
Jetzt hängen beinahe sämmtliche Züge der einen Bahn ziemlich stark von
denen der andern Bahn ab, weil alle Züge dem Durchgangsverkehr wenigstens
mit dienstbar sein sollen. Legt man aber die Durchgangszüge derart, daß sie
von dein Lokalverkehr ganz frei bleiben können und müssen, so lassen sich diese
einerseits besser und leichter auf weite Strecken hin und auf längere Zeit be-
stimmen und festlegen, sodaß gar keine bedeutenden Fahrplauänderuugen noth¬
wendig sind. Die Lvkalzüge andererseits können dann je nach Bedürfniß mit
größter Leichtigkeit nach Jahreszeit, Festen, Reisesaison und dergl. Mehr in
ihrem Fahrplan verändert werden, ohne dadurch gleich wieder große Kon¬
ferenzen und Berathungen mit den Nachbarbahnen nöthig zu machen. So
können zu Pfingsten, zu Weihnachten sofort besondere Fahrplüne ins Leben
treten, überhaupt jedem lokalen Bedürfniß aufs Leichteste Rechnung getragen
werden.

Bevor ich nun die Reduzirung der Wagenklassen bespreche, sei uoch ein
Beispiel angeführt, welch verderblicher Einfluß oft dem Durchgaugsverkehr ge¬
stattet ist und welches der No. 14 der Zeitung des Vereins deutscher Eisen-
bahnverwaltungen entnommen ist. Auf einer norddeutschen Bahnstrecke von
Meilen Länge fährt täglich in jeder Richtung ein Schnellzug, der zur Ver¬
bindung zweiter Großstädte dienen soll. Dieser Schnellzug ist an sich stets
schwach besetzt, die Bahn führt durch eine dünn bevölkerte Gegend und hat
neben diesem Schnellzuge an Personenzügen keinen Maugel, sodaß diese zur
Bewältigung des Lvkalverkehrs vollkommen ausreichen würden. Statistische
Erhebungen haben nun ergebe", daß jeuer Schnellzug täglich im Durchschnitt
Nllr von 3'/z Durchgaugsreiseuden benutzt wird. Es ist das auch sehr erklär¬
lich , denn dieselben Großstädte sind noch durch eine andere Route verbunden,
auf der der Schnellzug sogar um 1^ Stunden kürzere Fahrzeit hat, wofür


bei starkem Andrange prinzipiell nnr Billete III. Klasse lösen, um dann „ans
Versehen" oder „ans Mangel an Platz" II. oder womöglich I. Klasse zu fahren,
und immer das große Wort über schlechte Verkehrseinrichtungen führen. Dieser
Sorte von Menschen kann freilich keine Verkehrseinrichtnng gerecht werden,
weil sie selbst jeder Gerechtigkeit abhold sind, aber für diese Menschen ist auch
mein Vorschlag nicht berechnet, sondern für ernste, das allgemeine Wohl im
Auge habende, ehrliche Leute. Es ist wirklich zu verwundern, daß das reisende
Publikum gegen jene Eisenbahnstrauchdiebe nicht mehr Lynchjustiz übt, denn
widerlich genug drängt sich deren Gebahren Jedem auf, der oft und lange auf
der Axe liegt.

Doch wieder zur Sache. Jeue Lvkalzüge könnten auch uoch in einem
andern Pnnkte den lokalen Bedürfnissen und Verhältnissen sich viel besser an¬
schmiegen als die jetzigen Personenzüge, nämlich in dein Wechsel des Fahrplans.
Jetzt hängen beinahe sämmtliche Züge der einen Bahn ziemlich stark von
denen der andern Bahn ab, weil alle Züge dem Durchgangsverkehr wenigstens
mit dienstbar sein sollen. Legt man aber die Durchgangszüge derart, daß sie
von dein Lokalverkehr ganz frei bleiben können und müssen, so lassen sich diese
einerseits besser und leichter auf weite Strecken hin und auf längere Zeit be-
stimmen und festlegen, sodaß gar keine bedeutenden Fahrplauänderuugen noth¬
wendig sind. Die Lvkalzüge andererseits können dann je nach Bedürfniß mit
größter Leichtigkeit nach Jahreszeit, Festen, Reisesaison und dergl. Mehr in
ihrem Fahrplan verändert werden, ohne dadurch gleich wieder große Kon¬
ferenzen und Berathungen mit den Nachbarbahnen nöthig zu machen. So
können zu Pfingsten, zu Weihnachten sofort besondere Fahrplüne ins Leben
treten, überhaupt jedem lokalen Bedürfniß aufs Leichteste Rechnung getragen
werden.

Bevor ich nun die Reduzirung der Wagenklassen bespreche, sei uoch ein
Beispiel angeführt, welch verderblicher Einfluß oft dem Durchgaugsverkehr ge¬
stattet ist und welches der No. 14 der Zeitung des Vereins deutscher Eisen-
bahnverwaltungen entnommen ist. Auf einer norddeutschen Bahnstrecke von
Meilen Länge fährt täglich in jeder Richtung ein Schnellzug, der zur Ver¬
bindung zweiter Großstädte dienen soll. Dieser Schnellzug ist an sich stets
schwach besetzt, die Bahn führt durch eine dünn bevölkerte Gegend und hat
neben diesem Schnellzuge an Personenzügen keinen Maugel, sodaß diese zur
Bewältigung des Lvkalverkehrs vollkommen ausreichen würden. Statistische
Erhebungen haben nun ergebe«, daß jeuer Schnellzug täglich im Durchschnitt
Nllr von 3'/z Durchgaugsreiseuden benutzt wird. Es ist das auch sehr erklär¬
lich , denn dieselben Großstädte sind noch durch eine andere Route verbunden,
auf der der Schnellzug sogar um 1^ Stunden kürzere Fahrzeit hat, wofür


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/393>, abgerufen am 23.07.2024.