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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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während in Deutschland gerade mit dieser Berechtigung Seitens des reisenden,
unehrlichen Publikums so viel Mißbrauch getrieben wird, indem bei uns
gerade durch diese erlaubte Unterbrechung so häufig Defraudationen vor¬
kommen.

In engem Zusammenhang mit dieser Frage steht auch die der Veraus¬
gabung von Abonnementsbilleten. Diese Billetsorte hat sich bis jetzt in Deutsch¬
land verhältnißmäßig wenig Eingang verschafft, weil unsere großstädtischen
Verhältnisse ganz andere sind als z. B. die englischen, wo die Dezentralisation
der Städte außerordentliche Dimensionen angenommen hat und, dadurch be¬
günstigt, die Abonnementsbillete auch stark begehrt werden. Hier wäre eine
sehr wesentliche Preisermäßigung sehr am Platze und würde den hin- und
herwogenden Verkehr in und in der Nähe von Städten, sowie in Industrie-
bezirken bedeutend heben und den Eisenbahnen zuführen, während er jetzt sehr
häufig andere, billigere, aber unbequemere Kommunikationsmittel aufsucht. Es
ist ein bedeutender Unterschied, ob ich der Eisenbahn nur für eine Rückreise
garantire und daher im einfachen Retourbillet eine entsprechende Ermäßi¬
gung beanspruchen kann, oder ob ich beinahe täglich mehrere Kilometer auf
derselben zurücklege. Gerade fo gut wie mit Erfolg in Großstädten und In-
dustriebezirken Arbeiterbillete zu wesentlich ermäßigten Preisen eingeführt wor¬
den sind, weil dadurch einerseits dem Arbeiter die Möglichkeit geboten wird,
seinen Wohnsitz mit größerer Freiheit wählen zu können, und andererseits die
Eisenbahn die Gewißheit hat, täglich Hunderte von Arbeitern mit bestimmten
Zügen zu befördern, wobei es die Masse auch wirklich, trotz der niedrigen
Sätze, rentabel macht, gerade so gut ist es berechtigt, für alle diejenigen Per¬
sonen, die täglich, oder doch sehr häufig eine gewisse Strecke auf der Eisen¬
bahn zurücklegen, wesentlich billigere Tarifsätze anzuwenden als für gewöhn¬
liche Hin- und Rückfahrtspassagiere. Erst dann, wenn wir, wie in England,
billige Abonnementssätze haben, werden die Großstädte und die Jndustriebezirke
dezentralisirt, erst dann ist es möglich, in gesunder Luft billiger zu wohnen,
trotz des täglich zu entrichtenden Fahrgeldes, als im Kohlendampf und Staub
der Großstadt bei hoher Miethe; dann werden aber anch die Eisenbahnen der¬
artig an Personenfrequenz im Lokalverkehr gewinnen, daß auch ihre Einnahmen
wesentlich steigen müssen. Allerdings muß hiermit Hand in Hand gehen:
rasche Aufeinanderfolge der Züge und Einführung derselben in das Innere
der Verkehrsmittelpunkte. Es ist zu erwarten und zu hoffen, daß in diesen
Fragen durch die Eröffnung der jetzt im Bau begriffenen Berliner Stadteisen¬
bahn gewaltige Umwälzungen hervorgerufen werden, Umwälzungen nicht nur
w Eisenbahnbetriebe, sondern mindestens ebenso sehr in den Gewohnheiten und
Anschauungen der Eisenbahnreisenden.


während in Deutschland gerade mit dieser Berechtigung Seitens des reisenden,
unehrlichen Publikums so viel Mißbrauch getrieben wird, indem bei uns
gerade durch diese erlaubte Unterbrechung so häufig Defraudationen vor¬
kommen.

In engem Zusammenhang mit dieser Frage steht auch die der Veraus¬
gabung von Abonnementsbilleten. Diese Billetsorte hat sich bis jetzt in Deutsch¬
land verhältnißmäßig wenig Eingang verschafft, weil unsere großstädtischen
Verhältnisse ganz andere sind als z. B. die englischen, wo die Dezentralisation
der Städte außerordentliche Dimensionen angenommen hat und, dadurch be¬
günstigt, die Abonnementsbillete auch stark begehrt werden. Hier wäre eine
sehr wesentliche Preisermäßigung sehr am Platze und würde den hin- und
herwogenden Verkehr in und in der Nähe von Städten, sowie in Industrie-
bezirken bedeutend heben und den Eisenbahnen zuführen, während er jetzt sehr
häufig andere, billigere, aber unbequemere Kommunikationsmittel aufsucht. Es
ist ein bedeutender Unterschied, ob ich der Eisenbahn nur für eine Rückreise
garantire und daher im einfachen Retourbillet eine entsprechende Ermäßi¬
gung beanspruchen kann, oder ob ich beinahe täglich mehrere Kilometer auf
derselben zurücklege. Gerade fo gut wie mit Erfolg in Großstädten und In-
dustriebezirken Arbeiterbillete zu wesentlich ermäßigten Preisen eingeführt wor¬
den sind, weil dadurch einerseits dem Arbeiter die Möglichkeit geboten wird,
seinen Wohnsitz mit größerer Freiheit wählen zu können, und andererseits die
Eisenbahn die Gewißheit hat, täglich Hunderte von Arbeitern mit bestimmten
Zügen zu befördern, wobei es die Masse auch wirklich, trotz der niedrigen
Sätze, rentabel macht, gerade so gut ist es berechtigt, für alle diejenigen Per¬
sonen, die täglich, oder doch sehr häufig eine gewisse Strecke auf der Eisen¬
bahn zurücklegen, wesentlich billigere Tarifsätze anzuwenden als für gewöhn¬
liche Hin- und Rückfahrtspassagiere. Erst dann, wenn wir, wie in England,
billige Abonnementssätze haben, werden die Großstädte und die Jndustriebezirke
dezentralisirt, erst dann ist es möglich, in gesunder Luft billiger zu wohnen,
trotz des täglich zu entrichtenden Fahrgeldes, als im Kohlendampf und Staub
der Großstadt bei hoher Miethe; dann werden aber anch die Eisenbahnen der¬
artig an Personenfrequenz im Lokalverkehr gewinnen, daß auch ihre Einnahmen
wesentlich steigen müssen. Allerdings muß hiermit Hand in Hand gehen:
rasche Aufeinanderfolge der Züge und Einführung derselben in das Innere
der Verkehrsmittelpunkte. Es ist zu erwarten und zu hoffen, daß in diesen
Fragen durch die Eröffnung der jetzt im Bau begriffenen Berliner Stadteisen¬
bahn gewaltige Umwälzungen hervorgerufen werden, Umwälzungen nicht nur
w Eisenbahnbetriebe, sondern mindestens ebenso sehr in den Gewohnheiten und
Anschauungen der Eisenbahnreisenden.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/387>, abgerufen am 23.07.2024.