Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Neumond oder Vollmond heranrückt. Die Erde hat zwei Meere, ein kaltes
wässriges auf der Oberfläche und ein heißes ans geschmolznen Gestein lind
Metall in ihrem Innern, zwischen denen die feste Kruste des Planeten wie
eine dünne Schale eingeschoben ist. Wie das Anßenmeer ebbt und fluthet, so
auch das Jnnenmeer, und dann, wenn die Fluth des letzten am Stärksten ist,
drängt es am Mächtigsten gegen jene Schale, und das nennen wir Erdbeben.
Allerdings treten diese nicht gerade immer dann ein, wenn der Einfluß des
Mondes auf die beiden Meere seinen höchsten Grad erreicht, immer aber bleibt
reichlich so viel übrig, daß man den Mond als Mitursache der Erdbeben be¬
zeichnen darf.

Der Mond wirkt also auf die drei Meere des Makrokosmus, das Luft¬
meer, das Wassermeer und das unterirdische Feuermeer; warum uicht auch
auf das Ebben und Fluthen im Mikrokosmus, auf die Bewegung der Kräfte
im organischen Leben? Der Fragende ist Fechner, den wir in diesen letzten
Betrachtungen folgen. Er antwortet: Gewiß würde der Mond eine Ebbe und
Fluth im menschlichen Körper bewirken, wenn -- der Mensch so groß wie die
Erde wäre. Ferner aber: Der Mond scheint nur bei heiterem Himmel, und
leicht kann man als Einfluß des Mondes ansehen, was nur Folge des heitern
Himmels ist. Letzterer hat in seiner Begleitung Kühle und starken Thau, und
diese mögen das Gift sein, welches, wie oben angeführt, den Augen schadet
oder, wie Andere sagen, Kopfschmerz hervorruft, wenn man sich (es wird das
vorzüglich von der Sommerszeit der heißen Länder gelten) dem Mondschein
unbedeckt aussetzt. Dann mag die Helle des Mondes selbst Wirkungen hervor¬
bringen, die, ohne aus den Grenzen gewöhnlicher Luftwirknngen herauszutreten,
doch beim Monde leicht als ihm eigenthümliche gedeutet werden können. Es
ist z. B. denkbar, daß es, wenn reizbare Personen, namentlich Kinder und
Frauen, bei Vollmond unruhig schlafen und nachtwandeln, und wenn sie dabei
ihre Richtung nach dem Monde hinnehmen, nur das helle Licht ist, das sie
halbwach werden läßt und sie anzieht. Ferner ist der Mensch geneigt, zwischen
zeitlich zusammentreffenden ähnlichen Vorgängen eine ursächliche Beziehung zu
vermuthen. Die Periodicität des Mondes auf der einen, die des organischen
Lebens auf der andern Seite bieten solche Analogien in Fülle, und bei dem
Vielen, was im organischen Naturgebiet wechselnd ab- und zunimmt, kann es
uicht fehlen, daß diese Ab- und Zunahme zuweilen mit derjenigen zeitlich zu¬
sammenfüllt, die wir am Monde beobachten. Da man nun aber bei vorgefaßten
Meinungen gewöhnlich nur auf die zutreffenden Fälle achtet und nur diese sich
merkt, so entsteht hierdurch leicht ein falscher Schein erwiesener Wirksamkeit des
Mondes. Dieser Schein, im Laufe der Zeit zum Glauben geworden, thut
dann seine Wunder: nervenschwache Personen empfinden, was sie erwarten,


Neumond oder Vollmond heranrückt. Die Erde hat zwei Meere, ein kaltes
wässriges auf der Oberfläche und ein heißes ans geschmolznen Gestein lind
Metall in ihrem Innern, zwischen denen die feste Kruste des Planeten wie
eine dünne Schale eingeschoben ist. Wie das Anßenmeer ebbt und fluthet, so
auch das Jnnenmeer, und dann, wenn die Fluth des letzten am Stärksten ist,
drängt es am Mächtigsten gegen jene Schale, und das nennen wir Erdbeben.
Allerdings treten diese nicht gerade immer dann ein, wenn der Einfluß des
Mondes auf die beiden Meere seinen höchsten Grad erreicht, immer aber bleibt
reichlich so viel übrig, daß man den Mond als Mitursache der Erdbeben be¬
zeichnen darf.

Der Mond wirkt also auf die drei Meere des Makrokosmus, das Luft¬
meer, das Wassermeer und das unterirdische Feuermeer; warum uicht auch
auf das Ebben und Fluthen im Mikrokosmus, auf die Bewegung der Kräfte
im organischen Leben? Der Fragende ist Fechner, den wir in diesen letzten
Betrachtungen folgen. Er antwortet: Gewiß würde der Mond eine Ebbe und
Fluth im menschlichen Körper bewirken, wenn — der Mensch so groß wie die
Erde wäre. Ferner aber: Der Mond scheint nur bei heiterem Himmel, und
leicht kann man als Einfluß des Mondes ansehen, was nur Folge des heitern
Himmels ist. Letzterer hat in seiner Begleitung Kühle und starken Thau, und
diese mögen das Gift sein, welches, wie oben angeführt, den Augen schadet
oder, wie Andere sagen, Kopfschmerz hervorruft, wenn man sich (es wird das
vorzüglich von der Sommerszeit der heißen Länder gelten) dem Mondschein
unbedeckt aussetzt. Dann mag die Helle des Mondes selbst Wirkungen hervor¬
bringen, die, ohne aus den Grenzen gewöhnlicher Luftwirknngen herauszutreten,
doch beim Monde leicht als ihm eigenthümliche gedeutet werden können. Es
ist z. B. denkbar, daß es, wenn reizbare Personen, namentlich Kinder und
Frauen, bei Vollmond unruhig schlafen und nachtwandeln, und wenn sie dabei
ihre Richtung nach dem Monde hinnehmen, nur das helle Licht ist, das sie
halbwach werden läßt und sie anzieht. Ferner ist der Mensch geneigt, zwischen
zeitlich zusammentreffenden ähnlichen Vorgängen eine ursächliche Beziehung zu
vermuthen. Die Periodicität des Mondes auf der einen, die des organischen
Lebens auf der andern Seite bieten solche Analogien in Fülle, und bei dem
Vielen, was im organischen Naturgebiet wechselnd ab- und zunimmt, kann es
uicht fehlen, daß diese Ab- und Zunahme zuweilen mit derjenigen zeitlich zu¬
sammenfüllt, die wir am Monde beobachten. Da man nun aber bei vorgefaßten
Meinungen gewöhnlich nur auf die zutreffenden Fälle achtet und nur diese sich
merkt, so entsteht hierdurch leicht ein falscher Schein erwiesener Wirksamkeit des
Mondes. Dieser Schein, im Laufe der Zeit zum Glauben geworden, thut
dann seine Wunder: nervenschwache Personen empfinden, was sie erwarten,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0380" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/138081"/>
          <p xml:id="ID_1077" prev="#ID_1076"> Neumond oder Vollmond heranrückt. Die Erde hat zwei Meere, ein kaltes<lb/>
wässriges auf der Oberfläche und ein heißes ans geschmolznen Gestein lind<lb/>
Metall in ihrem Innern, zwischen denen die feste Kruste des Planeten wie<lb/>
eine dünne Schale eingeschoben ist. Wie das Anßenmeer ebbt und fluthet, so<lb/>
auch das Jnnenmeer, und dann, wenn die Fluth des letzten am Stärksten ist,<lb/>
drängt es am Mächtigsten gegen jene Schale, und das nennen wir Erdbeben.<lb/>
Allerdings treten diese nicht gerade immer dann ein, wenn der Einfluß des<lb/>
Mondes auf die beiden Meere seinen höchsten Grad erreicht, immer aber bleibt<lb/>
reichlich so viel übrig, daß man den Mond als Mitursache der Erdbeben be¬<lb/>
zeichnen darf.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1078" next="#ID_1079"> Der Mond wirkt also auf die drei Meere des Makrokosmus, das Luft¬<lb/>
meer, das Wassermeer und das unterirdische Feuermeer; warum uicht auch<lb/>
auf das Ebben und Fluthen im Mikrokosmus, auf die Bewegung der Kräfte<lb/>
im organischen Leben? Der Fragende ist Fechner, den wir in diesen letzten<lb/>
Betrachtungen folgen. Er antwortet: Gewiß würde der Mond eine Ebbe und<lb/>
Fluth im menschlichen Körper bewirken, wenn &#x2014; der Mensch so groß wie die<lb/>
Erde wäre. Ferner aber: Der Mond scheint nur bei heiterem Himmel, und<lb/>
leicht kann man als Einfluß des Mondes ansehen, was nur Folge des heitern<lb/>
Himmels ist. Letzterer hat in seiner Begleitung Kühle und starken Thau, und<lb/>
diese mögen das Gift sein, welches, wie oben angeführt, den Augen schadet<lb/>
oder, wie Andere sagen, Kopfschmerz hervorruft, wenn man sich (es wird das<lb/>
vorzüglich von der Sommerszeit der heißen Länder gelten) dem Mondschein<lb/>
unbedeckt aussetzt. Dann mag die Helle des Mondes selbst Wirkungen hervor¬<lb/>
bringen, die, ohne aus den Grenzen gewöhnlicher Luftwirknngen herauszutreten,<lb/>
doch beim Monde leicht als ihm eigenthümliche gedeutet werden können. Es<lb/>
ist z. B. denkbar, daß es, wenn reizbare Personen, namentlich Kinder und<lb/>
Frauen, bei Vollmond unruhig schlafen und nachtwandeln, und wenn sie dabei<lb/>
ihre Richtung nach dem Monde hinnehmen, nur das helle Licht ist, das sie<lb/>
halbwach werden läßt und sie anzieht. Ferner ist der Mensch geneigt, zwischen<lb/>
zeitlich zusammentreffenden ähnlichen Vorgängen eine ursächliche Beziehung zu<lb/>
vermuthen. Die Periodicität des Mondes auf der einen, die des organischen<lb/>
Lebens auf der andern Seite bieten solche Analogien in Fülle, und bei dem<lb/>
Vielen, was im organischen Naturgebiet wechselnd ab- und zunimmt, kann es<lb/>
uicht fehlen, daß diese Ab- und Zunahme zuweilen mit derjenigen zeitlich zu¬<lb/>
sammenfüllt, die wir am Monde beobachten. Da man nun aber bei vorgefaßten<lb/>
Meinungen gewöhnlich nur auf die zutreffenden Fälle achtet und nur diese sich<lb/>
merkt, so entsteht hierdurch leicht ein falscher Schein erwiesener Wirksamkeit des<lb/>
Mondes. Dieser Schein, im Laufe der Zeit zum Glauben geworden, thut<lb/>
dann seine Wunder: nervenschwache Personen empfinden, was sie erwarten,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0380] Neumond oder Vollmond heranrückt. Die Erde hat zwei Meere, ein kaltes wässriges auf der Oberfläche und ein heißes ans geschmolznen Gestein lind Metall in ihrem Innern, zwischen denen die feste Kruste des Planeten wie eine dünne Schale eingeschoben ist. Wie das Anßenmeer ebbt und fluthet, so auch das Jnnenmeer, und dann, wenn die Fluth des letzten am Stärksten ist, drängt es am Mächtigsten gegen jene Schale, und das nennen wir Erdbeben. Allerdings treten diese nicht gerade immer dann ein, wenn der Einfluß des Mondes auf die beiden Meere seinen höchsten Grad erreicht, immer aber bleibt reichlich so viel übrig, daß man den Mond als Mitursache der Erdbeben be¬ zeichnen darf. Der Mond wirkt also auf die drei Meere des Makrokosmus, das Luft¬ meer, das Wassermeer und das unterirdische Feuermeer; warum uicht auch auf das Ebben und Fluthen im Mikrokosmus, auf die Bewegung der Kräfte im organischen Leben? Der Fragende ist Fechner, den wir in diesen letzten Betrachtungen folgen. Er antwortet: Gewiß würde der Mond eine Ebbe und Fluth im menschlichen Körper bewirken, wenn — der Mensch so groß wie die Erde wäre. Ferner aber: Der Mond scheint nur bei heiterem Himmel, und leicht kann man als Einfluß des Mondes ansehen, was nur Folge des heitern Himmels ist. Letzterer hat in seiner Begleitung Kühle und starken Thau, und diese mögen das Gift sein, welches, wie oben angeführt, den Augen schadet oder, wie Andere sagen, Kopfschmerz hervorruft, wenn man sich (es wird das vorzüglich von der Sommerszeit der heißen Länder gelten) dem Mondschein unbedeckt aussetzt. Dann mag die Helle des Mondes selbst Wirkungen hervor¬ bringen, die, ohne aus den Grenzen gewöhnlicher Luftwirknngen herauszutreten, doch beim Monde leicht als ihm eigenthümliche gedeutet werden können. Es ist z. B. denkbar, daß es, wenn reizbare Personen, namentlich Kinder und Frauen, bei Vollmond unruhig schlafen und nachtwandeln, und wenn sie dabei ihre Richtung nach dem Monde hinnehmen, nur das helle Licht ist, das sie halbwach werden läßt und sie anzieht. Ferner ist der Mensch geneigt, zwischen zeitlich zusammentreffenden ähnlichen Vorgängen eine ursächliche Beziehung zu vermuthen. Die Periodicität des Mondes auf der einen, die des organischen Lebens auf der andern Seite bieten solche Analogien in Fülle, und bei dem Vielen, was im organischen Naturgebiet wechselnd ab- und zunimmt, kann es uicht fehlen, daß diese Ab- und Zunahme zuweilen mit derjenigen zeitlich zu¬ sammenfüllt, die wir am Monde beobachten. Da man nun aber bei vorgefaßten Meinungen gewöhnlich nur auf die zutreffenden Fälle achtet und nur diese sich merkt, so entsteht hierdurch leicht ein falscher Schein erwiesener Wirksamkeit des Mondes. Dieser Schein, im Laufe der Zeit zum Glauben geworden, thut dann seine Wunder: nervenschwache Personen empfinden, was sie erwarten,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/380
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/380>, abgerufen am 25.08.2024.