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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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dient, so hätten wir das Wesentlichste des Volksglaubens vom Monde bei¬
sammen und konnten nun kurz die Frage beantworten, wieviel davon Willkür,
Mißverständniß, Uebertreibung oder Verkehrung von Thatsachen, also Aber¬
glaube ist. Daß er gewisse Vorgänge auf der Erde bestimmen hilft, hat als
erwiesen zu gelten. Thatsache ist, daß bei Neumond und Vollmond die Fluth
der See hoher steigt als während der Viertel. Unleugbar ist ferner, daß der
Mond Einfluß auf die wässerigen Niederschläge hat, daß es durchschnittlich am
Meisten regnet, wenn er bald voll werden will, und wenn er der Erde am
Nächsten ist. Gewiß ist sodann, daß er auf die Wvlkenbeweguug wirkt, daß
er diese bei Vollmond, wenn sie am Horizonte Heraufziehen, zertheilt und daß
er fogar in gewisser Beziehung zu den Gewittern steht. Endlich ist sicher, daß
sein Wechsel einen Druck auf die Atmosphäre ausübt, von dem jedoch das
Barometer wenig und die menschliche Lunge nichts empfindet.

Falsch dagegen ist es, wenn das Volk den Mond als kalt auffaßt. Der¬
selbe strahlt vielmehr eine gewisse Wärme aus; da diese aber in demselben
Maße geringer als die der Sonne ist, in welchem sein Licht schwächer als das
Sonnenlicht ist, so erschöpft sie sich schon in den obersten Schichten unsrer
Atmosphäre und gelangt somit nicht bis auf den Grund des unsern Planeten
umfluthenden Luftmeeres, auf dem der Mensch mit seinen Mitteln zur Messung
der Wärme sich aufhält. Nicht völlig ohne Grund wieder ist, was von der
Einwirkung des Mondes auf die Gewächse geglaubt wird. Die guten und
schlechten Weinjahre stehen ganz entschieden in Beziehung zu der neunzehnjährigen
Periode, in welcher die Syzygien, Quadraturen und Hauptpunkte des synodischen
Umlaufs des Mondes wieder ungefähr auf dieselben Tage der einzelnen Mo¬
nate fallen, sowie zu der nahe damit zusammentreffenden Periode der Mond¬
knoten und zu der neunjährigen der Apsiden. Selbstverständlich wirkt der
Mond anch durch die Gesammtheit seiner Witterungseinflüsse auf das Gedeihen
der Trauben, und so wäre er denn nicht bloß bei der Ebbe und Fluth des
Wassers im Meere, sondern auch bei der des Weines im Fasse thätig. Daß
ein erheblicher unmittelbarer Einfluß des Mondes auf die Vegetation der
Pflanzen, wie ihn der Aberglaube annimmt, stattfinde, ist durch positive Ver¬
suche widerlegt, indeß deuten viele Angaben darauf hin, daß in den Tropen
allerdings etwas mehr von einer derartigen Einwirkung der Mondperiodieität zu
spüren ist.

Der Einfluß des Mondes dringt aber nicht bloß durch Luft und Meer,
er geht selbst in die Tiefen der Erde und ergreift mit dem Wägbaren zugleich
das Unwägbare. Die Erde bebt und die Magnetnadel zittert unter dieser
Einwirkung. Wie die Fluth der See bei Neumond und Vollmond am Höchsten
steigt, so wächst auch die Häufigkeit der Erdbeben in dem Maße, in welchem


dient, so hätten wir das Wesentlichste des Volksglaubens vom Monde bei¬
sammen und konnten nun kurz die Frage beantworten, wieviel davon Willkür,
Mißverständniß, Uebertreibung oder Verkehrung von Thatsachen, also Aber¬
glaube ist. Daß er gewisse Vorgänge auf der Erde bestimmen hilft, hat als
erwiesen zu gelten. Thatsache ist, daß bei Neumond und Vollmond die Fluth
der See hoher steigt als während der Viertel. Unleugbar ist ferner, daß der
Mond Einfluß auf die wässerigen Niederschläge hat, daß es durchschnittlich am
Meisten regnet, wenn er bald voll werden will, und wenn er der Erde am
Nächsten ist. Gewiß ist sodann, daß er auf die Wvlkenbeweguug wirkt, daß
er diese bei Vollmond, wenn sie am Horizonte Heraufziehen, zertheilt und daß
er fogar in gewisser Beziehung zu den Gewittern steht. Endlich ist sicher, daß
sein Wechsel einen Druck auf die Atmosphäre ausübt, von dem jedoch das
Barometer wenig und die menschliche Lunge nichts empfindet.

Falsch dagegen ist es, wenn das Volk den Mond als kalt auffaßt. Der¬
selbe strahlt vielmehr eine gewisse Wärme aus; da diese aber in demselben
Maße geringer als die der Sonne ist, in welchem sein Licht schwächer als das
Sonnenlicht ist, so erschöpft sie sich schon in den obersten Schichten unsrer
Atmosphäre und gelangt somit nicht bis auf den Grund des unsern Planeten
umfluthenden Luftmeeres, auf dem der Mensch mit seinen Mitteln zur Messung
der Wärme sich aufhält. Nicht völlig ohne Grund wieder ist, was von der
Einwirkung des Mondes auf die Gewächse geglaubt wird. Die guten und
schlechten Weinjahre stehen ganz entschieden in Beziehung zu der neunzehnjährigen
Periode, in welcher die Syzygien, Quadraturen und Hauptpunkte des synodischen
Umlaufs des Mondes wieder ungefähr auf dieselben Tage der einzelnen Mo¬
nate fallen, sowie zu der nahe damit zusammentreffenden Periode der Mond¬
knoten und zu der neunjährigen der Apsiden. Selbstverständlich wirkt der
Mond anch durch die Gesammtheit seiner Witterungseinflüsse auf das Gedeihen
der Trauben, und so wäre er denn nicht bloß bei der Ebbe und Fluth des
Wassers im Meere, sondern auch bei der des Weines im Fasse thätig. Daß
ein erheblicher unmittelbarer Einfluß des Mondes auf die Vegetation der
Pflanzen, wie ihn der Aberglaube annimmt, stattfinde, ist durch positive Ver¬
suche widerlegt, indeß deuten viele Angaben darauf hin, daß in den Tropen
allerdings etwas mehr von einer derartigen Einwirkung der Mondperiodieität zu
spüren ist.

Der Einfluß des Mondes dringt aber nicht bloß durch Luft und Meer,
er geht selbst in die Tiefen der Erde und ergreift mit dem Wägbaren zugleich
das Unwägbare. Die Erde bebt und die Magnetnadel zittert unter dieser
Einwirkung. Wie die Fluth der See bei Neumond und Vollmond am Höchsten
steigt, so wächst auch die Häufigkeit der Erdbeben in dem Maße, in welchem


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[0379] dient, so hätten wir das Wesentlichste des Volksglaubens vom Monde bei¬ sammen und konnten nun kurz die Frage beantworten, wieviel davon Willkür, Mißverständniß, Uebertreibung oder Verkehrung von Thatsachen, also Aber¬ glaube ist. Daß er gewisse Vorgänge auf der Erde bestimmen hilft, hat als erwiesen zu gelten. Thatsache ist, daß bei Neumond und Vollmond die Fluth der See hoher steigt als während der Viertel. Unleugbar ist ferner, daß der Mond Einfluß auf die wässerigen Niederschläge hat, daß es durchschnittlich am Meisten regnet, wenn er bald voll werden will, und wenn er der Erde am Nächsten ist. Gewiß ist sodann, daß er auf die Wvlkenbeweguug wirkt, daß er diese bei Vollmond, wenn sie am Horizonte Heraufziehen, zertheilt und daß er fogar in gewisser Beziehung zu den Gewittern steht. Endlich ist sicher, daß sein Wechsel einen Druck auf die Atmosphäre ausübt, von dem jedoch das Barometer wenig und die menschliche Lunge nichts empfindet. Falsch dagegen ist es, wenn das Volk den Mond als kalt auffaßt. Der¬ selbe strahlt vielmehr eine gewisse Wärme aus; da diese aber in demselben Maße geringer als die der Sonne ist, in welchem sein Licht schwächer als das Sonnenlicht ist, so erschöpft sie sich schon in den obersten Schichten unsrer Atmosphäre und gelangt somit nicht bis auf den Grund des unsern Planeten umfluthenden Luftmeeres, auf dem der Mensch mit seinen Mitteln zur Messung der Wärme sich aufhält. Nicht völlig ohne Grund wieder ist, was von der Einwirkung des Mondes auf die Gewächse geglaubt wird. Die guten und schlechten Weinjahre stehen ganz entschieden in Beziehung zu der neunzehnjährigen Periode, in welcher die Syzygien, Quadraturen und Hauptpunkte des synodischen Umlaufs des Mondes wieder ungefähr auf dieselben Tage der einzelnen Mo¬ nate fallen, sowie zu der nahe damit zusammentreffenden Periode der Mond¬ knoten und zu der neunjährigen der Apsiden. Selbstverständlich wirkt der Mond anch durch die Gesammtheit seiner Witterungseinflüsse auf das Gedeihen der Trauben, und so wäre er denn nicht bloß bei der Ebbe und Fluth des Wassers im Meere, sondern auch bei der des Weines im Fasse thätig. Daß ein erheblicher unmittelbarer Einfluß des Mondes auf die Vegetation der Pflanzen, wie ihn der Aberglaube annimmt, stattfinde, ist durch positive Ver¬ suche widerlegt, indeß deuten viele Angaben darauf hin, daß in den Tropen allerdings etwas mehr von einer derartigen Einwirkung der Mondperiodieität zu spüren ist. Der Einfluß des Mondes dringt aber nicht bloß durch Luft und Meer, er geht selbst in die Tiefen der Erde und ergreift mit dem Wägbaren zugleich das Unwägbare. Die Erde bebt und die Magnetnadel zittert unter dieser Einwirkung. Wie die Fluth der See bei Neumond und Vollmond am Höchsten steigt, so wächst auch die Häufigkeit der Erdbeben in dem Maße, in welchem

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/379>, abgerufen am 23.07.2024.