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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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nach welcher die Götter Muudelför's Kinder in die Sonne und den Mond
versetzten, um seinen Uebermuth zu bestrafen. Aber auch von der jüngsten der
drei Gestalten, in denen die Mythe vom Mond in der Edda auftritt, von der,
nach welcher der Mondmann Widfinn's- Kinder raubte, läßt sich in: deutschen
Sagenschatz ein Nachklang aufzeigen, und zwar zunächst in den Erzählungen,
in welchen von zwei Personen im Monde die Rede ist, dann aber in denen, in
welchen der Mondmann seinen Platz am Himmel verläßt, um auf die Erde zu
kommeu und die, welche bei Mondschein arbeiten, mit Entführung zu
bedrohen.

Wir geben für jede der beiden Versionen ein Beispiel. Zu Heiner in
Westfalen wird erzählt, daß im Monde ein Mann mit einer Gabel voll Dornen
und eine Frau mit einem Butterfaß neben einander stehen, zur Strafe dafür,
daß jener am Sonntag sein Feld mit Dornen eingezäunt, während diese ge¬
buttert habe. In Tübingen spann einmal eine Frau Nachts, um Oel zu
sparen, bei Hellem Mondschein. Da kam der Teufel durchs Fenster, reichte
ihr zwölf schwarze Spindeln und sagte, die müsse sie, so lange der Mond noch
scheine, vollspiuuen, sonst werde er sie mit fortnehmen. Da spann die Frau
schnell auf jede Spindel nur einen einzigen Faden. Als nun der Teufel
wiederkam und sah, daß er nichts machen konnte, nahm er die Spindeln und
ging seiner Wege, hinterließ aber einen solchen Gestank, daß die Leute sechs
Monate daran zu riechen hatten. Hier ist der Drohende der Teufel, in meh¬
reren ganz ähnlichen Sagen aber wird nur von einem gespenstigen, in der
einen voll einem nackten Manne gesprochen, und der ist wohl kaum ein anderer
als jener Sohn Mundelför's, das Urbild der meisten von den verschiedenen Ge¬
stalten des Mannes im Monde. Das geht, abgesehen von dem obenerwähnten
rentlinger Winzer schon daraus hervor, daß eine andere Deutung der Mond¬
flecken in denselben ein Mädchen erblickt, welches am Sonnabend im Mond¬
schein gesponnen hat und dafür sammt ihrem Rocken vom Mondmann zu sich
hinaufgezogen worden ist. Die Edda sagt es nicht ausdrücklich, aber Bil und
Hiuk werden bei ihrem Wasserholen eben auch das Verbot, bei Mondlicht zu
arbeiten, übertreten haben.

Welchen Grund dieses Verbot hatte, läßt sich nicht genau bestimmen.
Möglich, daß die Urzeit eine nachtheilige Einwirkung des Mondes auf die Ge¬
sundheit der Menschen und ans die Erdennatur überhaupt wahrzunehmen
meinte. Möglich, daß die Mythe vom Raube der Wasser holenden Kinder ein
Symbol des Einflusses des Mondes auf das Meer oder eine Folgerung dar¬
aus ist, daß man geglaubt hätte, wie der Mond die Fluth hebe, fo könne er
auch Menschen von der Erde zu sich hinaussehen. Vielleicht auch, daß dazu
das Gefühl trat, daß es unbillig sei, anders als bei Sonnenlicht thätig zu


nach welcher die Götter Muudelför's Kinder in die Sonne und den Mond
versetzten, um seinen Uebermuth zu bestrafen. Aber auch von der jüngsten der
drei Gestalten, in denen die Mythe vom Mond in der Edda auftritt, von der,
nach welcher der Mondmann Widfinn's- Kinder raubte, läßt sich in: deutschen
Sagenschatz ein Nachklang aufzeigen, und zwar zunächst in den Erzählungen,
in welchen von zwei Personen im Monde die Rede ist, dann aber in denen, in
welchen der Mondmann seinen Platz am Himmel verläßt, um auf die Erde zu
kommeu und die, welche bei Mondschein arbeiten, mit Entführung zu
bedrohen.

Wir geben für jede der beiden Versionen ein Beispiel. Zu Heiner in
Westfalen wird erzählt, daß im Monde ein Mann mit einer Gabel voll Dornen
und eine Frau mit einem Butterfaß neben einander stehen, zur Strafe dafür,
daß jener am Sonntag sein Feld mit Dornen eingezäunt, während diese ge¬
buttert habe. In Tübingen spann einmal eine Frau Nachts, um Oel zu
sparen, bei Hellem Mondschein. Da kam der Teufel durchs Fenster, reichte
ihr zwölf schwarze Spindeln und sagte, die müsse sie, so lange der Mond noch
scheine, vollspiuuen, sonst werde er sie mit fortnehmen. Da spann die Frau
schnell auf jede Spindel nur einen einzigen Faden. Als nun der Teufel
wiederkam und sah, daß er nichts machen konnte, nahm er die Spindeln und
ging seiner Wege, hinterließ aber einen solchen Gestank, daß die Leute sechs
Monate daran zu riechen hatten. Hier ist der Drohende der Teufel, in meh¬
reren ganz ähnlichen Sagen aber wird nur von einem gespenstigen, in der
einen voll einem nackten Manne gesprochen, und der ist wohl kaum ein anderer
als jener Sohn Mundelför's, das Urbild der meisten von den verschiedenen Ge¬
stalten des Mannes im Monde. Das geht, abgesehen von dem obenerwähnten
rentlinger Winzer schon daraus hervor, daß eine andere Deutung der Mond¬
flecken in denselben ein Mädchen erblickt, welches am Sonnabend im Mond¬
schein gesponnen hat und dafür sammt ihrem Rocken vom Mondmann zu sich
hinaufgezogen worden ist. Die Edda sagt es nicht ausdrücklich, aber Bil und
Hiuk werden bei ihrem Wasserholen eben auch das Verbot, bei Mondlicht zu
arbeiten, übertreten haben.

Welchen Grund dieses Verbot hatte, läßt sich nicht genau bestimmen.
Möglich, daß die Urzeit eine nachtheilige Einwirkung des Mondes auf die Ge¬
sundheit der Menschen und ans die Erdennatur überhaupt wahrzunehmen
meinte. Möglich, daß die Mythe vom Raube der Wasser holenden Kinder ein
Symbol des Einflusses des Mondes auf das Meer oder eine Folgerung dar¬
aus ist, daß man geglaubt hätte, wie der Mond die Fluth hebe, fo könne er
auch Menschen von der Erde zu sich hinaussehen. Vielleicht auch, daß dazu
das Gefühl trat, daß es unbillig sei, anders als bei Sonnenlicht thätig zu


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/372>, abgerufen am 23.07.2024.