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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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sammt ihren Kindern von der Erde entführt worden. In Peru geht die Sage,
ein Mädchen habe sich in den Mond verliebt und sei von ihm, als sie ihn
angefaßt, in die Arme geschlossen worden, in denen sie sich noch heute befinde.

Nach deutschem Volksglauben haben wir in den Flecken des Mondes
einen Mann vor uns, der wegen eines Vergehens dorthin versetzt worden ist,
und ganz Aehnliches nimmt der englische von ihnen an. Schon Fischart im
"Gargantna" gedenkt des "Männleins im Monde", das Holz gestohlen. Chaucer
im "lestÄin. ok Oessiäe" weiß, daß dieser Dvrnbuschträger seines Diebstahls
wegen nicht in den Himmel durfte, sondern im Monde bleiben mußte. Ritson's
"^.nLisnt FonZs" enthalten ein Lied auf den Mann im Monde, welches be¬
ginnt: "Auf einer Traggabel schleppt er, zitternd vor Kälte, eine Last Dornen,
die ihm das Gewand zerreißen. Er hat sie gehauen und ist vom Flurhüter
gepfändet worden." Weiterhin wird er als ein fauler Alter bezeichnet, der
bald still steht, bald vorwärts schreitet und überdies betrunken ist. Auch
Shakespeare gedenkt des Mannes in Monde, und zwar im "Sturm" II. 2, 1,
wo Stephano sich Caliban gegenüber für diesen ausgibt und sagt, er sei aus
dem Monde herausgefallen, und wo Caliban antwortet: "Ja, ich habe Dich
drin gesehen und bete Dich an. Meine Gebieterin zeigte Dich mir und Deinen
Hund und Deinen Busch." In der Gegend von Reutlingen sind die Mond¬
flecken ein Weingärtner, der eines Abends noch bei Mondschein arbeitete und
"Rebebüschele" machte. Da bei Mondschein arbeiten, wie später ausgeführt werden
soll, für frevelhaft gilt, so wurde er zur Strafe dafür in den Mond verwünscht, in
welchem er noch immer "schweben" muß. Er trägt dabei das eorMs äelieti,
sein Bündel dürrer Reben -- ähnlich Denen, die an den Pranger gestellt
wurden -- an einem Stock auf der Schulter. Dies mochte eine ältere Form
der Sage sein. Andere Erzählungen stehen auf dem Boden des Christenthums:
es war eine Verletzung des Gebotes der Sonntagsheiligung, die den Mann
in den Mond brachte. Im vordern Schwarzwald heißt es, daß der Verbannte
einst am Sonntag Besenreiser geschnitten habe. Als er heimging, begegnete
ihm der liebe Gott, stellte ihn über seine Unkirchlichkeit zur Rede und sagte
ihm, daß er ihn dafür bestrafen müsse. Indeß solle er wählen dürfen, ob er
in den Mond oder in die Sonne verwünscht sein wolle. Darauf versetzte der
Mann: "Wenn es sein muß, will ich lieber im Monde erfrieren als in der
Sonne verbrennen," und so ist er denn mit seinem Bündel Besenreiser in
den Mond gekommen. Damit das "Besenmännle" aber nicht erfriere, hat
ihm der liebe Gott sein Bündel angezündet, und das brennt noch heute fort
und wird nimmer erlöschen. In einer noch moderneren Fassung der Sage hat
der Mann am Sonntag Holz gestohlen; statt des lieben Gottes stellt ihn sein
Pfarrer zur Rede, er leugnet und verwünscht sich selbst in den Mond, wenn


sammt ihren Kindern von der Erde entführt worden. In Peru geht die Sage,
ein Mädchen habe sich in den Mond verliebt und sei von ihm, als sie ihn
angefaßt, in die Arme geschlossen worden, in denen sie sich noch heute befinde.

Nach deutschem Volksglauben haben wir in den Flecken des Mondes
einen Mann vor uns, der wegen eines Vergehens dorthin versetzt worden ist,
und ganz Aehnliches nimmt der englische von ihnen an. Schon Fischart im
„Gargantna" gedenkt des „Männleins im Monde", das Holz gestohlen. Chaucer
im „lestÄin. ok Oessiäe" weiß, daß dieser Dvrnbuschträger seines Diebstahls
wegen nicht in den Himmel durfte, sondern im Monde bleiben mußte. Ritson's
„^.nLisnt FonZs" enthalten ein Lied auf den Mann im Monde, welches be¬
ginnt: „Auf einer Traggabel schleppt er, zitternd vor Kälte, eine Last Dornen,
die ihm das Gewand zerreißen. Er hat sie gehauen und ist vom Flurhüter
gepfändet worden." Weiterhin wird er als ein fauler Alter bezeichnet, der
bald still steht, bald vorwärts schreitet und überdies betrunken ist. Auch
Shakespeare gedenkt des Mannes in Monde, und zwar im „Sturm" II. 2, 1,
wo Stephano sich Caliban gegenüber für diesen ausgibt und sagt, er sei aus
dem Monde herausgefallen, und wo Caliban antwortet: „Ja, ich habe Dich
drin gesehen und bete Dich an. Meine Gebieterin zeigte Dich mir und Deinen
Hund und Deinen Busch." In der Gegend von Reutlingen sind die Mond¬
flecken ein Weingärtner, der eines Abends noch bei Mondschein arbeitete und
„Rebebüschele" machte. Da bei Mondschein arbeiten, wie später ausgeführt werden
soll, für frevelhaft gilt, so wurde er zur Strafe dafür in den Mond verwünscht, in
welchem er noch immer „schweben" muß. Er trägt dabei das eorMs äelieti,
sein Bündel dürrer Reben — ähnlich Denen, die an den Pranger gestellt
wurden — an einem Stock auf der Schulter. Dies mochte eine ältere Form
der Sage sein. Andere Erzählungen stehen auf dem Boden des Christenthums:
es war eine Verletzung des Gebotes der Sonntagsheiligung, die den Mann
in den Mond brachte. Im vordern Schwarzwald heißt es, daß der Verbannte
einst am Sonntag Besenreiser geschnitten habe. Als er heimging, begegnete
ihm der liebe Gott, stellte ihn über seine Unkirchlichkeit zur Rede und sagte
ihm, daß er ihn dafür bestrafen müsse. Indeß solle er wählen dürfen, ob er
in den Mond oder in die Sonne verwünscht sein wolle. Darauf versetzte der
Mann: „Wenn es sein muß, will ich lieber im Monde erfrieren als in der
Sonne verbrennen," und so ist er denn mit seinem Bündel Besenreiser in
den Mond gekommen. Damit das „Besenmännle" aber nicht erfriere, hat
ihm der liebe Gott sein Bündel angezündet, und das brennt noch heute fort
und wird nimmer erlöschen. In einer noch moderneren Fassung der Sage hat
der Mann am Sonntag Holz gestohlen; statt des lieben Gottes stellt ihn sein
Pfarrer zur Rede, er leugnet und verwünscht sich selbst in den Mond, wenn


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[0370] sammt ihren Kindern von der Erde entführt worden. In Peru geht die Sage, ein Mädchen habe sich in den Mond verliebt und sei von ihm, als sie ihn angefaßt, in die Arme geschlossen worden, in denen sie sich noch heute befinde. Nach deutschem Volksglauben haben wir in den Flecken des Mondes einen Mann vor uns, der wegen eines Vergehens dorthin versetzt worden ist, und ganz Aehnliches nimmt der englische von ihnen an. Schon Fischart im „Gargantna" gedenkt des „Männleins im Monde", das Holz gestohlen. Chaucer im „lestÄin. ok Oessiäe" weiß, daß dieser Dvrnbuschträger seines Diebstahls wegen nicht in den Himmel durfte, sondern im Monde bleiben mußte. Ritson's „^.nLisnt FonZs" enthalten ein Lied auf den Mann im Monde, welches be¬ ginnt: „Auf einer Traggabel schleppt er, zitternd vor Kälte, eine Last Dornen, die ihm das Gewand zerreißen. Er hat sie gehauen und ist vom Flurhüter gepfändet worden." Weiterhin wird er als ein fauler Alter bezeichnet, der bald still steht, bald vorwärts schreitet und überdies betrunken ist. Auch Shakespeare gedenkt des Mannes in Monde, und zwar im „Sturm" II. 2, 1, wo Stephano sich Caliban gegenüber für diesen ausgibt und sagt, er sei aus dem Monde herausgefallen, und wo Caliban antwortet: „Ja, ich habe Dich drin gesehen und bete Dich an. Meine Gebieterin zeigte Dich mir und Deinen Hund und Deinen Busch." In der Gegend von Reutlingen sind die Mond¬ flecken ein Weingärtner, der eines Abends noch bei Mondschein arbeitete und „Rebebüschele" machte. Da bei Mondschein arbeiten, wie später ausgeführt werden soll, für frevelhaft gilt, so wurde er zur Strafe dafür in den Mond verwünscht, in welchem er noch immer „schweben" muß. Er trägt dabei das eorMs äelieti, sein Bündel dürrer Reben — ähnlich Denen, die an den Pranger gestellt wurden — an einem Stock auf der Schulter. Dies mochte eine ältere Form der Sage sein. Andere Erzählungen stehen auf dem Boden des Christenthums: es war eine Verletzung des Gebotes der Sonntagsheiligung, die den Mann in den Mond brachte. Im vordern Schwarzwald heißt es, daß der Verbannte einst am Sonntag Besenreiser geschnitten habe. Als er heimging, begegnete ihm der liebe Gott, stellte ihn über seine Unkirchlichkeit zur Rede und sagte ihm, daß er ihn dafür bestrafen müsse. Indeß solle er wählen dürfen, ob er in den Mond oder in die Sonne verwünscht sein wolle. Darauf versetzte der Mann: „Wenn es sein muß, will ich lieber im Monde erfrieren als in der Sonne verbrennen," und so ist er denn mit seinem Bündel Besenreiser in den Mond gekommen. Damit das „Besenmännle" aber nicht erfriere, hat ihm der liebe Gott sein Bündel angezündet, und das brennt noch heute fort und wird nimmer erlöschen. In einer noch moderneren Fassung der Sage hat der Mann am Sonntag Holz gestohlen; statt des lieben Gottes stellt ihn sein Pfarrer zur Rede, er leugnet und verwünscht sich selbst in den Mond, wenn

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/370>, abgerufen am 01.10.2024.