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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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dieselbe Rolle vornehmer Statisten bei der Königin noch einmal spielen. Dafür
hat aber der König dieselbe Folter, auf die er Andere gespannt, ebenfalls er¬
litten und ist ebenso unthätig gewesen wie Jeue. Er hat seine Bewegungen
seine Miene, seine Stimme abzirkeln, in sein Gesicht einen Würdevollen und
zugleich leutseligen Zug legen, seine Blicke und Kopfneignugen mit Zurückhal¬
tung austheilen müssen; er hatte seine Gedanken zu verschweigen und höchstens
von der Jagd zu sprechen. Wenn man ans der Bühne ist -- und ein solches
Lever ist doch nur eine feierliche Pantomime in fünf Akten --, so darf man weder
zerstreut sein noch denken, sondern muß sich ganz auf die Rolle konzentriren,
die man spielt, und das gilt vor Allem vom ersten Aktenr.

Aehnlich verbringt der König den größten Theil der Zeit, die ihm nach
dem Mvrgenempfang vom Tage übrig bleibt. Höchstens vier Stunden wer¬
den den Rathssitzungen und andern Arbeiten gewidmet, und wem" er spät
von der Jagd heimgekehrt ist, verschläft er auch diese. Dasselbe Gefolge, wel¬
ches Nur beim Lever beobachtet haben, sammelt sich um ihn beim Stiefelweck>
sein, beim Ankleiden für Spazierritte, beim Ankleiden für den Abend und
beim Schlafengehen, und noch zahlreicher ist die Umgebung, wenn er sich zur
Tafel setzt. Ja, uicht bloß die acht oder neun Akte, in welche jeder Tag des
königlichen Lebens zerfällt, sondern anch die kurzen Zwischenakte sind in An¬
spruch genommen und selbst, was man sein Leben hinter den Koulissen nennen
könnte, gehört der Öffentlichkeit an. Wenn er unwohl ist und nur Suppe
essen soll, wenn er krank ist und Medizin nimmt, wird sofort die "Aranäo
<mer6o" dazu eingeladen. Er ist wie ein Baum, der in dem Gewirr von
Schlingpflanzen, die sich an ihm emporranken, ersticken will. Er muß etwas
Luft haben, und so erholt sich Ludwig XV. bei seinen berüchtigten "petits
soupvrs" und auf der Jagd, fein Nachfolger aber in seiner Schlvsserwerkstatt
und ebenfalls anf der Jagd.

Bei Alledem haben nur aber noch die unendlichen Details der Etiquette
unerwähnt gelassen, die bei großen Gastereien beobachtet wurden, und nichts
gesagt von der Menge von Leuten, die den König bei Tafel bedienten, wie
denn z. B. vier Personen nöthig waren, um ihm ein Glas Wein oder Wasser
zu reichen. Von einem Diner der Königin Maria Lesezinska erzählt Casanova:
"In einem prachtvollen Saale gehen zwölf Höflinge anf und ab. Auf dem
Tische befinden sich zwölf Couverts, obwohl nur eine Person speisen soll. Die
Königin setzt sich, und sofort nehmen die zwölf Höflinge im Halbkreis zehn
Schritte von der Tafel weg Platz, indem sie ein ehrfurchtsvolles Schweigen
beobachten. Ihre Majestät ißt sehr rasch, sieht niemand an und hält die
Angen nur auf ihren Teller gerichtet. Da sie einer Schüssel Geschmack abge¬
wonnen hat, nimmt sie nochmals von derselben; dann läßt sie ihren Blick


dieselbe Rolle vornehmer Statisten bei der Königin noch einmal spielen. Dafür
hat aber der König dieselbe Folter, auf die er Andere gespannt, ebenfalls er¬
litten und ist ebenso unthätig gewesen wie Jeue. Er hat seine Bewegungen
seine Miene, seine Stimme abzirkeln, in sein Gesicht einen Würdevollen und
zugleich leutseligen Zug legen, seine Blicke und Kopfneignugen mit Zurückhal¬
tung austheilen müssen; er hatte seine Gedanken zu verschweigen und höchstens
von der Jagd zu sprechen. Wenn man ans der Bühne ist — und ein solches
Lever ist doch nur eine feierliche Pantomime in fünf Akten —, so darf man weder
zerstreut sein noch denken, sondern muß sich ganz auf die Rolle konzentriren,
die man spielt, und das gilt vor Allem vom ersten Aktenr.

Aehnlich verbringt der König den größten Theil der Zeit, die ihm nach
dem Mvrgenempfang vom Tage übrig bleibt. Höchstens vier Stunden wer¬
den den Rathssitzungen und andern Arbeiten gewidmet, und wem« er spät
von der Jagd heimgekehrt ist, verschläft er auch diese. Dasselbe Gefolge, wel¬
ches Nur beim Lever beobachtet haben, sammelt sich um ihn beim Stiefelweck>
sein, beim Ankleiden für Spazierritte, beim Ankleiden für den Abend und
beim Schlafengehen, und noch zahlreicher ist die Umgebung, wenn er sich zur
Tafel setzt. Ja, uicht bloß die acht oder neun Akte, in welche jeder Tag des
königlichen Lebens zerfällt, sondern anch die kurzen Zwischenakte sind in An¬
spruch genommen und selbst, was man sein Leben hinter den Koulissen nennen
könnte, gehört der Öffentlichkeit an. Wenn er unwohl ist und nur Suppe
essen soll, wenn er krank ist und Medizin nimmt, wird sofort die „Aranäo
<mer6o" dazu eingeladen. Er ist wie ein Baum, der in dem Gewirr von
Schlingpflanzen, die sich an ihm emporranken, ersticken will. Er muß etwas
Luft haben, und so erholt sich Ludwig XV. bei seinen berüchtigten „petits
soupvrs" und auf der Jagd, fein Nachfolger aber in seiner Schlvsserwerkstatt
und ebenfalls anf der Jagd.

Bei Alledem haben nur aber noch die unendlichen Details der Etiquette
unerwähnt gelassen, die bei großen Gastereien beobachtet wurden, und nichts
gesagt von der Menge von Leuten, die den König bei Tafel bedienten, wie
denn z. B. vier Personen nöthig waren, um ihm ein Glas Wein oder Wasser
zu reichen. Von einem Diner der Königin Maria Lesezinska erzählt Casanova:
„In einem prachtvollen Saale gehen zwölf Höflinge anf und ab. Auf dem
Tische befinden sich zwölf Couverts, obwohl nur eine Person speisen soll. Die
Königin setzt sich, und sofort nehmen die zwölf Höflinge im Halbkreis zehn
Schritte von der Tafel weg Platz, indem sie ein ehrfurchtsvolles Schweigen
beobachten. Ihre Majestät ißt sehr rasch, sieht niemand an und hält die
Angen nur auf ihren Teller gerichtet. Da sie einer Schüssel Geschmack abge¬
wonnen hat, nimmt sie nochmals von derselben; dann läßt sie ihren Blick


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/345>, abgerufen am 23.07.2024.