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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Tropfen kvnzentrire. Der Preis ist hoch, aber feine Parfümerien sind eben sehr
kostspielig."

Mit allen diesen, im Grnnde nichtigen Dingen aber fällt nicht bloß der,
welcher sie mit sich treiben läßt, sondern auch der, welcher sie treibt, der Parade
anheiln, die man an die, Stelle einer nützlichen Thätigkeit gesetzt hat. Mit
andern Worten, das bloße Repräsentiren nimmt nicht mir des Adels, sondern
auch des Königs ganze Zeit, seinen ganzen Geist, seine ganze Kraft in Anspruch.
Er ist ein Schauspieler, der den ganzen Tag auf der Bühne steht. Um eine
solche Bürde tragen zu können, bedürfte es der Körperstärke, des guten Magens,
der festen Nerven und der regelmäßigen Gewohnheiten eines Ludwig des Vier¬
zehnten. Seine Nachfolger erschlaffen unter derselben Last, aber sie können sie
nicht abwerfen; denn die unaufhörliche Repräsentation gehört nothwendig zu
ihrer Stellung. Der König ist verpflichtet, seine Aristokratie zu beschäftigen;
daher muß er sich ihr fortwährend zeigen, seine Person selbst beim Ankleiden,
ja selbst im Bette zur Schau tragen. "Des Morgens weckt ihn der erste
Kammerdiener zu der von ihm bestimmten Stunde (um sieben oder acht Uhr),
und der Reihe nach treten fünf Gruppen vou Leuten ein, um ihre Aufwartung
Zu macheu. Zuerst kommt die "vertrauliche Gruppe" (entr^v l'auuliöre), be¬
stehend ans den kölnglichen Kindern, den Prinzen und Prinzessinnen von Ge¬
blüt, dem ersten Arzt, dem ersten Chirurgen und andern nützlichen Personen.
Dann folgt die "große Gruppe" (gi'tuae ontr6"), in der sich der Grvßkämmerer,
der Großmeister und der Meister der Garderobe, die ersten Kammeredellente,
die Herzöge von Orleans und Penthicvre, einige besonders begünstigte Seigneurs,
die Ehren- und Kammerdamen der Königin und der Prinzessinnen sowie Bar¬
biere, Schneider und verschiedene Diener befinden. Man gießt dein König aus
einer vergoldeten Schale Franzbranntwein anf die Hände und reicht ihm den
Weihwasserkessel. Er bekreuzt sich und betet. Dann erhebt er sich vor der
ganzen Gesellschaft ans dein Bette, zieht die Pantoffeln und den ihm vom Grv߬
kämmerer und vom ersten Kammer-Edelmann gereichten Schlafrock an und setzt
sich auf den Ankleidesessel. In diesem Augenblicke wird die dritte Gruppe
hereingelassen (entre-L clef w'vvöts), die theils aus Günstlingen, theils ans
einer Menge von Dienstleuten, Aerzten, Intendanten der Lustbarkeiten, Vor¬
lesern und dergl. besteht, und bei der anch die Nachtstnhl-Jnspektoren nicht
fehlen. In dem Momente, wo man den König anzukleiden beginnt, nähert
sich diesem der von einem Ordner benachrichtigte erste Kammeredelmann und
nennt ihm die Namen der vor der Thür wartenden vierten Gruppe (entiev ac 1a
^entre), die zahlreicher als die vorhergehenden ist. Sie umfaßt außer deu
Mantel- und Büchseutrügeru, den Tapezierern und anderen Dienern die meisten
hohen Beamten, den Großalmvsenier, die außerordentlichen Almoseniers, den


Tropfen kvnzentrire. Der Preis ist hoch, aber feine Parfümerien sind eben sehr
kostspielig."

Mit allen diesen, im Grnnde nichtigen Dingen aber fällt nicht bloß der,
welcher sie mit sich treiben läßt, sondern auch der, welcher sie treibt, der Parade
anheiln, die man an die, Stelle einer nützlichen Thätigkeit gesetzt hat. Mit
andern Worten, das bloße Repräsentiren nimmt nicht mir des Adels, sondern
auch des Königs ganze Zeit, seinen ganzen Geist, seine ganze Kraft in Anspruch.
Er ist ein Schauspieler, der den ganzen Tag auf der Bühne steht. Um eine
solche Bürde tragen zu können, bedürfte es der Körperstärke, des guten Magens,
der festen Nerven und der regelmäßigen Gewohnheiten eines Ludwig des Vier¬
zehnten. Seine Nachfolger erschlaffen unter derselben Last, aber sie können sie
nicht abwerfen; denn die unaufhörliche Repräsentation gehört nothwendig zu
ihrer Stellung. Der König ist verpflichtet, seine Aristokratie zu beschäftigen;
daher muß er sich ihr fortwährend zeigen, seine Person selbst beim Ankleiden,
ja selbst im Bette zur Schau tragen. „Des Morgens weckt ihn der erste
Kammerdiener zu der von ihm bestimmten Stunde (um sieben oder acht Uhr),
und der Reihe nach treten fünf Gruppen vou Leuten ein, um ihre Aufwartung
Zu macheu. Zuerst kommt die „vertrauliche Gruppe" (entr^v l'auuliöre), be¬
stehend ans den kölnglichen Kindern, den Prinzen und Prinzessinnen von Ge¬
blüt, dem ersten Arzt, dem ersten Chirurgen und andern nützlichen Personen.
Dann folgt die „große Gruppe" (gi'tuae ontr6«), in der sich der Grvßkämmerer,
der Großmeister und der Meister der Garderobe, die ersten Kammeredellente,
die Herzöge von Orleans und Penthicvre, einige besonders begünstigte Seigneurs,
die Ehren- und Kammerdamen der Königin und der Prinzessinnen sowie Bar¬
biere, Schneider und verschiedene Diener befinden. Man gießt dein König aus
einer vergoldeten Schale Franzbranntwein anf die Hände und reicht ihm den
Weihwasserkessel. Er bekreuzt sich und betet. Dann erhebt er sich vor der
ganzen Gesellschaft ans dein Bette, zieht die Pantoffeln und den ihm vom Grv߬
kämmerer und vom ersten Kammer-Edelmann gereichten Schlafrock an und setzt
sich auf den Ankleidesessel. In diesem Augenblicke wird die dritte Gruppe
hereingelassen (entre-L clef w'vvöts), die theils aus Günstlingen, theils ans
einer Menge von Dienstleuten, Aerzten, Intendanten der Lustbarkeiten, Vor¬
lesern und dergl. besteht, und bei der anch die Nachtstnhl-Jnspektoren nicht
fehlen. In dem Momente, wo man den König anzukleiden beginnt, nähert
sich diesem der von einem Ordner benachrichtigte erste Kammeredelmann und
nennt ihm die Namen der vor der Thür wartenden vierten Gruppe (entiev ac 1a
^entre), die zahlreicher als die vorhergehenden ist. Sie umfaßt außer deu
Mantel- und Büchseutrügeru, den Tapezierern und anderen Dienern die meisten
hohen Beamten, den Großalmvsenier, die außerordentlichen Almoseniers, den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/343>, abgerufen am 23.07.2024.