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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Jahre und fünf Millionen Thäler durch Setzen unnützer Buchstaben ver¬
schwende. Er schätzte dabei alle Deutschen ans fünfzig Millionen, von denen
zwanzig zwei bis sechs Stunden täglich schreiben, und meinte, wenn man auch
nur eine halbe Stunde täglich, also zehn Stunden täglich für eine Million an¬
nähme und zugäbe, daß von hundert Buchstaben einer unnöthig sei, jährlich 180
Millionen unnütze Buchstaben geschrieben würden. Niemand aber könne füglich
mehr als 60,000 Buchstaben an einem Tage schreiben, folglich erforderten jene
unnützen Zeichen einen Zeitaufwand von etwa drei Millionen Tagen oder
zehntausend Jahren, und da ein so arbeitsamer Schreiber wohl fünfhundert
Thaler Gehalt haben müßte, betrügen die Unkosten, dreißig Millionen Bogen
nutzlos beschriebenes Papier ungerechnet, wirklich fünf Millionen Thaler. Auch
dürfte nicht unbeachtet gelassen werden, daß die Kraft dieser Schreiber national-
ökonomisch vortheilhafter verwendet werden könne.

Herr Fricke scheint selbst zu bezweifeln, daß diese Angaben durchweg richtig
sind, und für uns versteht sich von selbst, daß sie falsch sind. Dagegen soll
nicht geleugnet werden, daß dnrch Weglassung stummer und unnützer Buch¬
staben Zeit, Kraft und Geld erspart werden könnte. Noch besser aber läßt sich
hören, was unsre Schrift über den pädagogischen Nutzen einer Reform auf
diesem Gebiete sagt. "Wie wird dem Schiller die schöne und vermöge des
jetzigen Umfangs der Wissenschaften doppelt kostbare' Zeit dnrch endlose ortho¬
graphische Unterweisungen und Uebungen geraubt und dem Lehrer auch außer
dein eigentlichen orthographischen Unterricht durch erschwertes Kvrrigiren aller
möglichen schriftlichen Arbeiten Plage und Sorge bereitet! Und das Alles denke
man sich durch die Zahl der Lehrer und Schüler vermillionfacht und noch dnrch
sechs bis acht Schuljahre multiplizirt."

Dein Verfasser entgeht nicht, daß jene drei Ideale nicht vollständig zu er¬
reiche" sind, da ihre Forderungen sich oft widerstreiten. Für das wissenschaft¬
liche Ideal haben Bequemlichkeit, Einfachheit und Nützlichkeit, das Praktische
überhaupt wenig Werth, ja sie treten ihm beengend und störend entgegen. Das
Pädagogische Ideal wird durch die Vollständigkeit, die das wissenschaftliche
fordert, schwer belastet, und das nationalökonomische steht den grammatischen
Forderungen geradezu feindlich entgegen. Leicht ist also die Aufstellung der
Gesetze der Rechtschreibung nur da, wo die Forderungen aller drei Ideale
übereinstimmen; in allen übrigen Fällen muß ein Ausgleich versucht werden.

Wir geben nun einfach das Wichtigste von Dem, was der Verfasser auf
diesem Wege gefunden hat, indem wir den Lesern d. Bl. überlassen, die Be¬
gründung seiner Wünsche in der Schrift selbst zu verfolgen. Für die Vokale
will er n" acht Zeichen haben, das y soll als bloßer Doppelgänger des i
und ü ganz beseitigt werden wie in der spanischen und italienischen Ortho-


Jahre und fünf Millionen Thäler durch Setzen unnützer Buchstaben ver¬
schwende. Er schätzte dabei alle Deutschen ans fünfzig Millionen, von denen
zwanzig zwei bis sechs Stunden täglich schreiben, und meinte, wenn man auch
nur eine halbe Stunde täglich, also zehn Stunden täglich für eine Million an¬
nähme und zugäbe, daß von hundert Buchstaben einer unnöthig sei, jährlich 180
Millionen unnütze Buchstaben geschrieben würden. Niemand aber könne füglich
mehr als 60,000 Buchstaben an einem Tage schreiben, folglich erforderten jene
unnützen Zeichen einen Zeitaufwand von etwa drei Millionen Tagen oder
zehntausend Jahren, und da ein so arbeitsamer Schreiber wohl fünfhundert
Thaler Gehalt haben müßte, betrügen die Unkosten, dreißig Millionen Bogen
nutzlos beschriebenes Papier ungerechnet, wirklich fünf Millionen Thaler. Auch
dürfte nicht unbeachtet gelassen werden, daß die Kraft dieser Schreiber national-
ökonomisch vortheilhafter verwendet werden könne.

Herr Fricke scheint selbst zu bezweifeln, daß diese Angaben durchweg richtig
sind, und für uns versteht sich von selbst, daß sie falsch sind. Dagegen soll
nicht geleugnet werden, daß dnrch Weglassung stummer und unnützer Buch¬
staben Zeit, Kraft und Geld erspart werden könnte. Noch besser aber läßt sich
hören, was unsre Schrift über den pädagogischen Nutzen einer Reform auf
diesem Gebiete sagt. „Wie wird dem Schiller die schöne und vermöge des
jetzigen Umfangs der Wissenschaften doppelt kostbare' Zeit dnrch endlose ortho¬
graphische Unterweisungen und Uebungen geraubt und dem Lehrer auch außer
dein eigentlichen orthographischen Unterricht durch erschwertes Kvrrigiren aller
möglichen schriftlichen Arbeiten Plage und Sorge bereitet! Und das Alles denke
man sich durch die Zahl der Lehrer und Schüler vermillionfacht und noch dnrch
sechs bis acht Schuljahre multiplizirt."

Dein Verfasser entgeht nicht, daß jene drei Ideale nicht vollständig zu er¬
reiche» sind, da ihre Forderungen sich oft widerstreiten. Für das wissenschaft¬
liche Ideal haben Bequemlichkeit, Einfachheit und Nützlichkeit, das Praktische
überhaupt wenig Werth, ja sie treten ihm beengend und störend entgegen. Das
Pädagogische Ideal wird durch die Vollständigkeit, die das wissenschaftliche
fordert, schwer belastet, und das nationalökonomische steht den grammatischen
Forderungen geradezu feindlich entgegen. Leicht ist also die Aufstellung der
Gesetze der Rechtschreibung nur da, wo die Forderungen aller drei Ideale
übereinstimmen; in allen übrigen Fällen muß ein Ausgleich versucht werden.

Wir geben nun einfach das Wichtigste von Dem, was der Verfasser auf
diesem Wege gefunden hat, indem wir den Lesern d. Bl. überlassen, die Be¬
gründung seiner Wünsche in der Schrift selbst zu verfolgen. Für die Vokale
will er n« acht Zeichen haben, das y soll als bloßer Doppelgänger des i
und ü ganz beseitigt werden wie in der spanischen und italienischen Ortho-


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[0291] Jahre und fünf Millionen Thäler durch Setzen unnützer Buchstaben ver¬ schwende. Er schätzte dabei alle Deutschen ans fünfzig Millionen, von denen zwanzig zwei bis sechs Stunden täglich schreiben, und meinte, wenn man auch nur eine halbe Stunde täglich, also zehn Stunden täglich für eine Million an¬ nähme und zugäbe, daß von hundert Buchstaben einer unnöthig sei, jährlich 180 Millionen unnütze Buchstaben geschrieben würden. Niemand aber könne füglich mehr als 60,000 Buchstaben an einem Tage schreiben, folglich erforderten jene unnützen Zeichen einen Zeitaufwand von etwa drei Millionen Tagen oder zehntausend Jahren, und da ein so arbeitsamer Schreiber wohl fünfhundert Thaler Gehalt haben müßte, betrügen die Unkosten, dreißig Millionen Bogen nutzlos beschriebenes Papier ungerechnet, wirklich fünf Millionen Thaler. Auch dürfte nicht unbeachtet gelassen werden, daß die Kraft dieser Schreiber national- ökonomisch vortheilhafter verwendet werden könne. Herr Fricke scheint selbst zu bezweifeln, daß diese Angaben durchweg richtig sind, und für uns versteht sich von selbst, daß sie falsch sind. Dagegen soll nicht geleugnet werden, daß dnrch Weglassung stummer und unnützer Buch¬ staben Zeit, Kraft und Geld erspart werden könnte. Noch besser aber läßt sich hören, was unsre Schrift über den pädagogischen Nutzen einer Reform auf diesem Gebiete sagt. „Wie wird dem Schiller die schöne und vermöge des jetzigen Umfangs der Wissenschaften doppelt kostbare' Zeit dnrch endlose ortho¬ graphische Unterweisungen und Uebungen geraubt und dem Lehrer auch außer dein eigentlichen orthographischen Unterricht durch erschwertes Kvrrigiren aller möglichen schriftlichen Arbeiten Plage und Sorge bereitet! Und das Alles denke man sich durch die Zahl der Lehrer und Schüler vermillionfacht und noch dnrch sechs bis acht Schuljahre multiplizirt." Dein Verfasser entgeht nicht, daß jene drei Ideale nicht vollständig zu er¬ reiche» sind, da ihre Forderungen sich oft widerstreiten. Für das wissenschaft¬ liche Ideal haben Bequemlichkeit, Einfachheit und Nützlichkeit, das Praktische überhaupt wenig Werth, ja sie treten ihm beengend und störend entgegen. Das Pädagogische Ideal wird durch die Vollständigkeit, die das wissenschaftliche fordert, schwer belastet, und das nationalökonomische steht den grammatischen Forderungen geradezu feindlich entgegen. Leicht ist also die Aufstellung der Gesetze der Rechtschreibung nur da, wo die Forderungen aller drei Ideale übereinstimmen; in allen übrigen Fällen muß ein Ausgleich versucht werden. Wir geben nun einfach das Wichtigste von Dem, was der Verfasser auf diesem Wege gefunden hat, indem wir den Lesern d. Bl. überlassen, die Be¬ gründung seiner Wünsche in der Schrift selbst zu verfolgen. Für die Vokale will er n« acht Zeichen haben, das y soll als bloßer Doppelgänger des i und ü ganz beseitigt werden wie in der spanischen und italienischen Ortho-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/291>, abgerufen am 23.07.2024.