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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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eine enge Umgrenzung des Lebens der Fran für hinreichend; von einer staat¬
lichen Sorge für die körperliche oder geistige Bildung war nicht die Rede. Der
Staat kümmerte sich um das weibliche Geschlecht nur, soweit er im allgemeinen
Interesse Prohibitivmaßregeln nöthig zu haben glaubte.

Das Betragen der Frauen, soweit sie außerhalb des Hauses erschienen,
unterlag natürlich der öffentlichen Beaufsichtigung, wie ja nach den Begriffen
der Alten dem Staate die Pflicht der Sittenüberwachung zukam. So gab es
in mehreren Staaten eigens angestellte Gynäkonomen d. h. Frauenaufseher,
welche die Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften über Kleidertracht, Schmuck,
Luxus und Benehmen zu überwachen hatten. Es wird in vielen Staaten,
wiewohl uns bestimmte Nachrichten darüber fehlen, polizeiliche Vorschriften
ähnlicher Art gegeben haben, wie in Syrcckus die war, daß die Frauen keinen
Goldschmuck und keine bunte Kleidung tragen, eine freie Frau bei der Strafe
als Ehebrecherin angesehen zu werden sich nicht nach Sonnenuntergang auf die
Straße begeben noch auch bei Tage ohne Erlaubniß der Gynäkonomen oder
ohne Begleitung einer Dienerin ausgehen solle. Noch Demetrius Phalereus
setzte in Athen eine Behörde dieses Namens ein, welche darauf zu sehen hatte,
daß bei Diners die Zahl von dreißig Gästen nicht überschritten werde und
die Frauen nur die erlaubten Putzgegenstände trügen. Schon Solon hatte, um
dem Aufwande zu wehren, festgesetzt, daß die Neuvermählte nicht mehr als
drei Kleider und das nöthigste Geräth in das Haus des Mannes mitbringen
sollte; ebenso hatte er die übermäßige Prachtentfaltung bei Leichenbegängnissen
untersagt und dem bei diesen Gelegenheiten üblichen Uebermaß des weiblichen
Jammers, der sich im Schlagen der Brüste und Zerreißen der Kleider äußerte,
zu steuern gesucht.

Daß selbst die verheiratheten Frauen^ wenn sie nicht einer ganz niederen
Klasse angehörten, an öffentlichen Orten nicht ohne Begleitung von Dienerinnen
erscheinen durften, wie es für Athen bezeugt ist, ist wohl als eine allgemeine
Sitte der alten Kulturvölker anzusehen. Sie ist auch zu den Römern über¬
gegangen, und ich möchte es für einen Ueberrest dieses alten halborientalischen
Herkommens halten, daß noch jetzt in Italien das weibliche Geschlecht weit
beschränkter im selbständigen öffentlichen Erscheinen ist als in den nördlichen
Ländern. Selbst Frauen der niederen Stände, wie Näherinnen, Wäscherinnen
u. a. wird man in den großen Städten Italiens, sobald sie nur einen mäßig
großen Gegenstand mit sich zu nehmen haben, von einer Dienerin begleitet
sehen, wie auch die Männer sich oft dnrch dringende Noth nicht zwingen lassen
niedere Dienste zu verrichten, die sie als "Sklavenarbeit" für ihrer unwürdig halten.

Im Hause bewohnten die weiblichen Familienglieder einen besonderen,
möglichst abgeschlossenen Theil der Wohnung, der von den Männergemächern


eine enge Umgrenzung des Lebens der Fran für hinreichend; von einer staat¬
lichen Sorge für die körperliche oder geistige Bildung war nicht die Rede. Der
Staat kümmerte sich um das weibliche Geschlecht nur, soweit er im allgemeinen
Interesse Prohibitivmaßregeln nöthig zu haben glaubte.

Das Betragen der Frauen, soweit sie außerhalb des Hauses erschienen,
unterlag natürlich der öffentlichen Beaufsichtigung, wie ja nach den Begriffen
der Alten dem Staate die Pflicht der Sittenüberwachung zukam. So gab es
in mehreren Staaten eigens angestellte Gynäkonomen d. h. Frauenaufseher,
welche die Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften über Kleidertracht, Schmuck,
Luxus und Benehmen zu überwachen hatten. Es wird in vielen Staaten,
wiewohl uns bestimmte Nachrichten darüber fehlen, polizeiliche Vorschriften
ähnlicher Art gegeben haben, wie in Syrcckus die war, daß die Frauen keinen
Goldschmuck und keine bunte Kleidung tragen, eine freie Frau bei der Strafe
als Ehebrecherin angesehen zu werden sich nicht nach Sonnenuntergang auf die
Straße begeben noch auch bei Tage ohne Erlaubniß der Gynäkonomen oder
ohne Begleitung einer Dienerin ausgehen solle. Noch Demetrius Phalereus
setzte in Athen eine Behörde dieses Namens ein, welche darauf zu sehen hatte,
daß bei Diners die Zahl von dreißig Gästen nicht überschritten werde und
die Frauen nur die erlaubten Putzgegenstände trügen. Schon Solon hatte, um
dem Aufwande zu wehren, festgesetzt, daß die Neuvermählte nicht mehr als
drei Kleider und das nöthigste Geräth in das Haus des Mannes mitbringen
sollte; ebenso hatte er die übermäßige Prachtentfaltung bei Leichenbegängnissen
untersagt und dem bei diesen Gelegenheiten üblichen Uebermaß des weiblichen
Jammers, der sich im Schlagen der Brüste und Zerreißen der Kleider äußerte,
zu steuern gesucht.

Daß selbst die verheiratheten Frauen^ wenn sie nicht einer ganz niederen
Klasse angehörten, an öffentlichen Orten nicht ohne Begleitung von Dienerinnen
erscheinen durften, wie es für Athen bezeugt ist, ist wohl als eine allgemeine
Sitte der alten Kulturvölker anzusehen. Sie ist auch zu den Römern über¬
gegangen, und ich möchte es für einen Ueberrest dieses alten halborientalischen
Herkommens halten, daß noch jetzt in Italien das weibliche Geschlecht weit
beschränkter im selbständigen öffentlichen Erscheinen ist als in den nördlichen
Ländern. Selbst Frauen der niederen Stände, wie Näherinnen, Wäscherinnen
u. a. wird man in den großen Städten Italiens, sobald sie nur einen mäßig
großen Gegenstand mit sich zu nehmen haben, von einer Dienerin begleitet
sehen, wie auch die Männer sich oft dnrch dringende Noth nicht zwingen lassen
niedere Dienste zu verrichten, die sie als „Sklavenarbeit" für ihrer unwürdig halten.

Im Hause bewohnten die weiblichen Familienglieder einen besonderen,
möglichst abgeschlossenen Theil der Wohnung, der von den Männergemächern


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[0265] eine enge Umgrenzung des Lebens der Fran für hinreichend; von einer staat¬ lichen Sorge für die körperliche oder geistige Bildung war nicht die Rede. Der Staat kümmerte sich um das weibliche Geschlecht nur, soweit er im allgemeinen Interesse Prohibitivmaßregeln nöthig zu haben glaubte. Das Betragen der Frauen, soweit sie außerhalb des Hauses erschienen, unterlag natürlich der öffentlichen Beaufsichtigung, wie ja nach den Begriffen der Alten dem Staate die Pflicht der Sittenüberwachung zukam. So gab es in mehreren Staaten eigens angestellte Gynäkonomen d. h. Frauenaufseher, welche die Beobachtung der gesetzlichen Vorschriften über Kleidertracht, Schmuck, Luxus und Benehmen zu überwachen hatten. Es wird in vielen Staaten, wiewohl uns bestimmte Nachrichten darüber fehlen, polizeiliche Vorschriften ähnlicher Art gegeben haben, wie in Syrcckus die war, daß die Frauen keinen Goldschmuck und keine bunte Kleidung tragen, eine freie Frau bei der Strafe als Ehebrecherin angesehen zu werden sich nicht nach Sonnenuntergang auf die Straße begeben noch auch bei Tage ohne Erlaubniß der Gynäkonomen oder ohne Begleitung einer Dienerin ausgehen solle. Noch Demetrius Phalereus setzte in Athen eine Behörde dieses Namens ein, welche darauf zu sehen hatte, daß bei Diners die Zahl von dreißig Gästen nicht überschritten werde und die Frauen nur die erlaubten Putzgegenstände trügen. Schon Solon hatte, um dem Aufwande zu wehren, festgesetzt, daß die Neuvermählte nicht mehr als drei Kleider und das nöthigste Geräth in das Haus des Mannes mitbringen sollte; ebenso hatte er die übermäßige Prachtentfaltung bei Leichenbegängnissen untersagt und dem bei diesen Gelegenheiten üblichen Uebermaß des weiblichen Jammers, der sich im Schlagen der Brüste und Zerreißen der Kleider äußerte, zu steuern gesucht. Daß selbst die verheiratheten Frauen^ wenn sie nicht einer ganz niederen Klasse angehörten, an öffentlichen Orten nicht ohne Begleitung von Dienerinnen erscheinen durften, wie es für Athen bezeugt ist, ist wohl als eine allgemeine Sitte der alten Kulturvölker anzusehen. Sie ist auch zu den Römern über¬ gegangen, und ich möchte es für einen Ueberrest dieses alten halborientalischen Herkommens halten, daß noch jetzt in Italien das weibliche Geschlecht weit beschränkter im selbständigen öffentlichen Erscheinen ist als in den nördlichen Ländern. Selbst Frauen der niederen Stände, wie Näherinnen, Wäscherinnen u. a. wird man in den großen Städten Italiens, sobald sie nur einen mäßig großen Gegenstand mit sich zu nehmen haben, von einer Dienerin begleitet sehen, wie auch die Männer sich oft dnrch dringende Noth nicht zwingen lassen niedere Dienste zu verrichten, die sie als „Sklavenarbeit" für ihrer unwürdig halten. Im Hause bewohnten die weiblichen Familienglieder einen besonderen, möglichst abgeschlossenen Theil der Wohnung, der von den Männergemächern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/265>, abgerufen am 23.07.2024.