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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Aehnliche Züge heroischer Selbstverleugnung und patriotischen Sinnes
konnte man nach Plutarch, Athenäus, Aelian noch zahlreich aufführen. Ich
begnüge mich hier, noch einen Ausspruch anzuführen, der das Bewußtsein der
Mutter von ihrem Antheil an der edlen Entwickelung der Söhne bezeugt und
an den bekannten Ausspruch der Römerin Cornelia über ihre beiden Söhne
erinnert. Eine der ionischen Frauen, die im Allgemeinen im Rufe freierer
Sitte, Weichlichkeit und Putzliebe standen, wie ich später auszuführen habe,
rühmte sich einer Spartanerin gegenüber eines prachtvollen Gewandes. Diese
wies nur auf ihre vier wohlgestalteten und gut erzogenen Knaben hin und
sagte: "Das ist der Besitz, auf den eine edle Frau stolz sein muß".

Noch in der letzten Zeit spartanischer Geschichte, als die alte Sitte und
mit ihr das sociale und politische Leben Sparta's in schmählicher Zerrüttung
lag, treten uns einige Frauencharaktere entgegen, die in überwältigender Weise
an jene ruhmvolle alte Zeit erinnern, ich meine die Mutter und die Gro߬
mutter des Königs Agis von Sparta.

Der Letztere, einer der hochherzigsten Charaktere des Alterthums, hatte
versucht, die verrotteten Zustände der Vaterstadt von Grund aus zu reformiren.
Unverstand und Eigennutz stellten sich ihm entgegen, Untreue und Verrath
stürzten ihn. Von den Ephoren, deren unheilvolle Macht er hatte beseitigen
wollen, zum Tode verurtheilt, starb er durch Henkershand im Jahre 240 v. Chr.
Die Verfolgung erstreckte sich auch auf feine Anhänger und ereilte unter den
ersten seine hochherzige Mutter Agesistrata und seine Großmutter Archidamia.
Die Erstere hatte es laut und offen ausgesprochen, daß Menschenliebe, Milde
und Schonung für ihren edlen Sohn die Ursache zum Tode geworden sei, und
denselben königlichen Sinn bewies sie, als sie felbst zum Tode ging. Denn
beiden Frauen wurde durch die Rache der Gewalthaber dasselbe Schicksal,
nur ohne einen Schein von Rechtsverfahren, bereitet, wie dem jungen Könige.
Als Agesistrata in den Kerker eintrat, in welchem ihr Sohn und die greise
Archidamia soeben erdrosselt worden waren, löste sie, ohne die Fassung zu ver¬
lieren, ohne Thrüuen und Klagen den Leib der Mutter von der Schlinge,
schloß ihm die Augen, verhüllte ihn und küßte das Antlitz des Königs. Dann
trat sie festen Schrittes an den Strick heran und bot ihren Hals dar mit dem
Rufe: "Möge es nur Sparta zum Glück gereichen!"

Die edle Wittwe des Agis, Agiatis, reichte zuerst widerstrebend dem
jungen Kleomenes, der fünf Jahre später die spartanische Königswürde erhielt,
ihre Hand und zeigte sich gleichfalls von bewundernswerther Höhe der Ge¬
sinnung erfüllt. Sie war es vorzüglich, die durch ihre ergreifenden Erzählungen
von den Plänen und dem Schicksal des Agis ihren zweiten Gemahl mit Be¬
geisterung für dieselben Pläne erfüllte. Tief fühlte sie das Unwürdige und


Aehnliche Züge heroischer Selbstverleugnung und patriotischen Sinnes
konnte man nach Plutarch, Athenäus, Aelian noch zahlreich aufführen. Ich
begnüge mich hier, noch einen Ausspruch anzuführen, der das Bewußtsein der
Mutter von ihrem Antheil an der edlen Entwickelung der Söhne bezeugt und
an den bekannten Ausspruch der Römerin Cornelia über ihre beiden Söhne
erinnert. Eine der ionischen Frauen, die im Allgemeinen im Rufe freierer
Sitte, Weichlichkeit und Putzliebe standen, wie ich später auszuführen habe,
rühmte sich einer Spartanerin gegenüber eines prachtvollen Gewandes. Diese
wies nur auf ihre vier wohlgestalteten und gut erzogenen Knaben hin und
sagte: „Das ist der Besitz, auf den eine edle Frau stolz sein muß".

Noch in der letzten Zeit spartanischer Geschichte, als die alte Sitte und
mit ihr das sociale und politische Leben Sparta's in schmählicher Zerrüttung
lag, treten uns einige Frauencharaktere entgegen, die in überwältigender Weise
an jene ruhmvolle alte Zeit erinnern, ich meine die Mutter und die Gro߬
mutter des Königs Agis von Sparta.

Der Letztere, einer der hochherzigsten Charaktere des Alterthums, hatte
versucht, die verrotteten Zustände der Vaterstadt von Grund aus zu reformiren.
Unverstand und Eigennutz stellten sich ihm entgegen, Untreue und Verrath
stürzten ihn. Von den Ephoren, deren unheilvolle Macht er hatte beseitigen
wollen, zum Tode verurtheilt, starb er durch Henkershand im Jahre 240 v. Chr.
Die Verfolgung erstreckte sich auch auf feine Anhänger und ereilte unter den
ersten seine hochherzige Mutter Agesistrata und seine Großmutter Archidamia.
Die Erstere hatte es laut und offen ausgesprochen, daß Menschenliebe, Milde
und Schonung für ihren edlen Sohn die Ursache zum Tode geworden sei, und
denselben königlichen Sinn bewies sie, als sie felbst zum Tode ging. Denn
beiden Frauen wurde durch die Rache der Gewalthaber dasselbe Schicksal,
nur ohne einen Schein von Rechtsverfahren, bereitet, wie dem jungen Könige.
Als Agesistrata in den Kerker eintrat, in welchem ihr Sohn und die greise
Archidamia soeben erdrosselt worden waren, löste sie, ohne die Fassung zu ver¬
lieren, ohne Thrüuen und Klagen den Leib der Mutter von der Schlinge,
schloß ihm die Augen, verhüllte ihn und küßte das Antlitz des Königs. Dann
trat sie festen Schrittes an den Strick heran und bot ihren Hals dar mit dem
Rufe: „Möge es nur Sparta zum Glück gereichen!"

Die edle Wittwe des Agis, Agiatis, reichte zuerst widerstrebend dem
jungen Kleomenes, der fünf Jahre später die spartanische Königswürde erhielt,
ihre Hand und zeigte sich gleichfalls von bewundernswerther Höhe der Ge¬
sinnung erfüllt. Sie war es vorzüglich, die durch ihre ergreifenden Erzählungen
von den Plänen und dem Schicksal des Agis ihren zweiten Gemahl mit Be¬
geisterung für dieselben Pläne erfüllte. Tief fühlte sie das Unwürdige und


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[0263] Aehnliche Züge heroischer Selbstverleugnung und patriotischen Sinnes konnte man nach Plutarch, Athenäus, Aelian noch zahlreich aufführen. Ich begnüge mich hier, noch einen Ausspruch anzuführen, der das Bewußtsein der Mutter von ihrem Antheil an der edlen Entwickelung der Söhne bezeugt und an den bekannten Ausspruch der Römerin Cornelia über ihre beiden Söhne erinnert. Eine der ionischen Frauen, die im Allgemeinen im Rufe freierer Sitte, Weichlichkeit und Putzliebe standen, wie ich später auszuführen habe, rühmte sich einer Spartanerin gegenüber eines prachtvollen Gewandes. Diese wies nur auf ihre vier wohlgestalteten und gut erzogenen Knaben hin und sagte: „Das ist der Besitz, auf den eine edle Frau stolz sein muß". Noch in der letzten Zeit spartanischer Geschichte, als die alte Sitte und mit ihr das sociale und politische Leben Sparta's in schmählicher Zerrüttung lag, treten uns einige Frauencharaktere entgegen, die in überwältigender Weise an jene ruhmvolle alte Zeit erinnern, ich meine die Mutter und die Gro߬ mutter des Königs Agis von Sparta. Der Letztere, einer der hochherzigsten Charaktere des Alterthums, hatte versucht, die verrotteten Zustände der Vaterstadt von Grund aus zu reformiren. Unverstand und Eigennutz stellten sich ihm entgegen, Untreue und Verrath stürzten ihn. Von den Ephoren, deren unheilvolle Macht er hatte beseitigen wollen, zum Tode verurtheilt, starb er durch Henkershand im Jahre 240 v. Chr. Die Verfolgung erstreckte sich auch auf feine Anhänger und ereilte unter den ersten seine hochherzige Mutter Agesistrata und seine Großmutter Archidamia. Die Erstere hatte es laut und offen ausgesprochen, daß Menschenliebe, Milde und Schonung für ihren edlen Sohn die Ursache zum Tode geworden sei, und denselben königlichen Sinn bewies sie, als sie felbst zum Tode ging. Denn beiden Frauen wurde durch die Rache der Gewalthaber dasselbe Schicksal, nur ohne einen Schein von Rechtsverfahren, bereitet, wie dem jungen Könige. Als Agesistrata in den Kerker eintrat, in welchem ihr Sohn und die greise Archidamia soeben erdrosselt worden waren, löste sie, ohne die Fassung zu ver¬ lieren, ohne Thrüuen und Klagen den Leib der Mutter von der Schlinge, schloß ihm die Augen, verhüllte ihn und küßte das Antlitz des Königs. Dann trat sie festen Schrittes an den Strick heran und bot ihren Hals dar mit dem Rufe: „Möge es nur Sparta zum Glück gereichen!" Die edle Wittwe des Agis, Agiatis, reichte zuerst widerstrebend dem jungen Kleomenes, der fünf Jahre später die spartanische Königswürde erhielt, ihre Hand und zeigte sich gleichfalls von bewundernswerther Höhe der Ge¬ sinnung erfüllt. Sie war es vorzüglich, die durch ihre ergreifenden Erzählungen von den Plänen und dem Schicksal des Agis ihren zweiten Gemahl mit Be¬ geisterung für dieselben Pläne erfüllte. Tief fühlte sie das Unwürdige und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/263>, abgerufen am 03.07.2024.