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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Dieses Buch kennen Sie gewiß? Wo nicht, so würde es Ihnen sehr interessant
sein. Es ist überhaupt die Geschichte von Karl dem Großen, die darin berührt
wird und seiner Nachfolger, die Erzählung all' seiner Anstalten wohl nichts
Neues, aber immer durch die Darstellung wieder von Neuem erfreulich. Alle
die Geschichten der Völker, die am Rhein wohnen und derer, die auf jene
Einfluß hatten, ist im Kurzen berührt, die Geschichte der einzelnen Städte und
Bisthümer ist aufgestellt in ihren Grundzügen. -- Die Frauen haben in jenen
Gegenden keine unbedeutenden Rollen gespielt und, was mich am meisten freut,
haben sie mehr wie die Männer noch auf die Bildung und Gründung wissen¬
schaftlicher Anstalten gesehen. -- Auch Worms ist mir jetzt durch Nie. Voigt
so interessant erschienen, da er die Seine des Nibelungenliedes in jene Gegenden
stellte und manche andere Rittergeschichte. Mich däucht, daß die Geschichte
üumer mit Dichtungen sollte verbunden sein, denn ohne die poetische Darstellung
wird es nur ein Gewebe von Kriegen und Gewaltthätigkeiten. Wenn die
Menschen still und ruhig ihr häusliches Leben trieben und getrieben hätten,
würde manches in Vergessenheit gekommen sein, weil man nichts darüber zu
sagen wußte, und je glücklicher die Menschen sind, je weniger wissen andere
von Ihnen. Ich möchte den frommen Wunsch thun, daß eine solche Stille
und ein solches Glück unseren Zeitungsschreibern und Journalisten zu Theil
würde, damit wir nichts von ihnen hörten; sie betragen sich theils so unmündig,
so kleinlich und hämisch, daß man durch sie kein glänzendes Bild des mensch¬
lichen Geistes erhält. Wenn solche Blätter zur Nachwelt kommen könnten,
würde sie noch strenger über unsere Zeit richten, als sie es im Einzelnen wohl
verdient. -- Ich hoffe, daß dieser Unfug doch auch sein Ende erreicht, denn
vie Zeit schreitet so rasch vorwärts und die Folgen der Handlungen und Ge¬
sinnung spreche" sich auch schneller ans und gehen also auch ihrem Unter¬
gang entgegen, ehe wir es selbst ahnden, -- daß ich es eines hoffen will, noch
eine würdigere Epoche zu erleben und zu genießen. Wie tief schmerzt es mich
oft, daß das Große und Schöne so schnell vorüber geht und das Gemeine so
langsam und zögernd an uns vorüberzieht.

Wie treuen Antheil ich zu allen Zeiten und bei allen Betrachtungen des
Lebens an Ihnen, gnädige Fürstin, und an Ihrer Familie nehme, möchte ich
Ihnen aussprechen können.------Ich könnte noch viele Blätter an-
füllen und immer würde ich noch Stoff zur Unterhaltung finden. Aber jetzt
erlauben Sie mir, gnädigste Fürstin, indem ich Ihnen die Hand drücke, Sie
meiner Ehrfurcht zu versichern, wie meiner Liebe. Ihre


unterthänige
Charlotte v. Schiller.

Dieses Buch kennen Sie gewiß? Wo nicht, so würde es Ihnen sehr interessant
sein. Es ist überhaupt die Geschichte von Karl dem Großen, die darin berührt
wird und seiner Nachfolger, die Erzählung all' seiner Anstalten wohl nichts
Neues, aber immer durch die Darstellung wieder von Neuem erfreulich. Alle
die Geschichten der Völker, die am Rhein wohnen und derer, die auf jene
Einfluß hatten, ist im Kurzen berührt, die Geschichte der einzelnen Städte und
Bisthümer ist aufgestellt in ihren Grundzügen. — Die Frauen haben in jenen
Gegenden keine unbedeutenden Rollen gespielt und, was mich am meisten freut,
haben sie mehr wie die Männer noch auf die Bildung und Gründung wissen¬
schaftlicher Anstalten gesehen. — Auch Worms ist mir jetzt durch Nie. Voigt
so interessant erschienen, da er die Seine des Nibelungenliedes in jene Gegenden
stellte und manche andere Rittergeschichte. Mich däucht, daß die Geschichte
üumer mit Dichtungen sollte verbunden sein, denn ohne die poetische Darstellung
wird es nur ein Gewebe von Kriegen und Gewaltthätigkeiten. Wenn die
Menschen still und ruhig ihr häusliches Leben trieben und getrieben hätten,
würde manches in Vergessenheit gekommen sein, weil man nichts darüber zu
sagen wußte, und je glücklicher die Menschen sind, je weniger wissen andere
von Ihnen. Ich möchte den frommen Wunsch thun, daß eine solche Stille
und ein solches Glück unseren Zeitungsschreibern und Journalisten zu Theil
würde, damit wir nichts von ihnen hörten; sie betragen sich theils so unmündig,
so kleinlich und hämisch, daß man durch sie kein glänzendes Bild des mensch¬
lichen Geistes erhält. Wenn solche Blätter zur Nachwelt kommen könnten,
würde sie noch strenger über unsere Zeit richten, als sie es im Einzelnen wohl
verdient. — Ich hoffe, daß dieser Unfug doch auch sein Ende erreicht, denn
vie Zeit schreitet so rasch vorwärts und die Folgen der Handlungen und Ge¬
sinnung spreche« sich auch schneller ans und gehen also auch ihrem Unter¬
gang entgegen, ehe wir es selbst ahnden, — daß ich es eines hoffen will, noch
eine würdigere Epoche zu erleben und zu genießen. Wie tief schmerzt es mich
oft, daß das Große und Schöne so schnell vorüber geht und das Gemeine so
langsam und zögernd an uns vorüberzieht.

Wie treuen Antheil ich zu allen Zeiten und bei allen Betrachtungen des
Lebens an Ihnen, gnädige Fürstin, und an Ihrer Familie nehme, möchte ich
Ihnen aussprechen können.------Ich könnte noch viele Blätter an-
füllen und immer würde ich noch Stoff zur Unterhaltung finden. Aber jetzt
erlauben Sie mir, gnädigste Fürstin, indem ich Ihnen die Hand drücke, Sie
meiner Ehrfurcht zu versichern, wie meiner Liebe. Ihre


unterthänige
Charlotte v. Schiller.
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[0239] Dieses Buch kennen Sie gewiß? Wo nicht, so würde es Ihnen sehr interessant sein. Es ist überhaupt die Geschichte von Karl dem Großen, die darin berührt wird und seiner Nachfolger, die Erzählung all' seiner Anstalten wohl nichts Neues, aber immer durch die Darstellung wieder von Neuem erfreulich. Alle die Geschichten der Völker, die am Rhein wohnen und derer, die auf jene Einfluß hatten, ist im Kurzen berührt, die Geschichte der einzelnen Städte und Bisthümer ist aufgestellt in ihren Grundzügen. — Die Frauen haben in jenen Gegenden keine unbedeutenden Rollen gespielt und, was mich am meisten freut, haben sie mehr wie die Männer noch auf die Bildung und Gründung wissen¬ schaftlicher Anstalten gesehen. — Auch Worms ist mir jetzt durch Nie. Voigt so interessant erschienen, da er die Seine des Nibelungenliedes in jene Gegenden stellte und manche andere Rittergeschichte. Mich däucht, daß die Geschichte üumer mit Dichtungen sollte verbunden sein, denn ohne die poetische Darstellung wird es nur ein Gewebe von Kriegen und Gewaltthätigkeiten. Wenn die Menschen still und ruhig ihr häusliches Leben trieben und getrieben hätten, würde manches in Vergessenheit gekommen sein, weil man nichts darüber zu sagen wußte, und je glücklicher die Menschen sind, je weniger wissen andere von Ihnen. Ich möchte den frommen Wunsch thun, daß eine solche Stille und ein solches Glück unseren Zeitungsschreibern und Journalisten zu Theil würde, damit wir nichts von ihnen hörten; sie betragen sich theils so unmündig, so kleinlich und hämisch, daß man durch sie kein glänzendes Bild des mensch¬ lichen Geistes erhält. Wenn solche Blätter zur Nachwelt kommen könnten, würde sie noch strenger über unsere Zeit richten, als sie es im Einzelnen wohl verdient. — Ich hoffe, daß dieser Unfug doch auch sein Ende erreicht, denn vie Zeit schreitet so rasch vorwärts und die Folgen der Handlungen und Ge¬ sinnung spreche« sich auch schneller ans und gehen also auch ihrem Unter¬ gang entgegen, ehe wir es selbst ahnden, — daß ich es eines hoffen will, noch eine würdigere Epoche zu erleben und zu genießen. Wie tief schmerzt es mich oft, daß das Große und Schöne so schnell vorüber geht und das Gemeine so langsam und zögernd an uns vorüberzieht. Wie treuen Antheil ich zu allen Zeiten und bei allen Betrachtungen des Lebens an Ihnen, gnädige Fürstin, und an Ihrer Familie nehme, möchte ich Ihnen aussprechen können.------Ich könnte noch viele Blätter an- füllen und immer würde ich noch Stoff zur Unterhaltung finden. Aber jetzt erlauben Sie mir, gnädigste Fürstin, indem ich Ihnen die Hand drücke, Sie meiner Ehrfurcht zu versichern, wie meiner Liebe. Ihre unterthänige Charlotte v. Schiller.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/239>, abgerufen am 23.07.2024.