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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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unerfreuliche Eigenschaften nachsagt, wobei der Verfasser da, wo er Italien er¬
wähnt, darein hätte erinnern können, daß hier um die Mitte des vierzehnten
Jahrhunderts eine ganz ähnliche Richtung des Volksgeistes auf das Komische,
spöttische und Ironische sich kundgab wie in Deutschland zur Zeit der Ent¬
stehung der Schwänke des Pfaffen Aeneis, Till Eulenspiegels und des Reineke
Fuchs*). Im nächsten Abschnitte bespricht das Buch die Epigramme des
Volkshumors, denen wir in der Gestalt von Inschriften an Häusern, Gerathen
und Gräbern begegnen, und theilt deren eine große Anzahl aus verschiedenen
Sammlungen und nach eigener Entdeckung mit. Darunter befinden sich über¬
aus komische Sachen, von denen wir aus Mangel an Raum nur die lustigen
Reime mittheilen, mit denen ein Bauer in Franken dem Heiligen den Laufpaß
gab, der in katholischen Gegenden die Häuser vor Feuersbrünsten schützt. Dieser
Spaßvogel schrieb, als er sein Haus versichert hatte, über seine Thür:


"Heiliger Florian, Du sackrischer Schwanz,
Wir brauchen Dich nimmer, wir hab'n Assecuranz."

Weiterhin werden Dinge, Zustände und Thätigkeiten des Lebens nach den
Ausdrücken, mit denen sie der Volkshumor bezeichnet, ins Auge gefaßt, wobei
vorzüglich die Spitznamen, die er Kleidungsstücken, Werkzeugen, Waffen, Speise"
und Getränken gegeben hat, in Betracht kommen. Die Getränke bringen den
Verfasser auf einen interessanten Exkurs, in welchem er den deutschen Sans-
teufel im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert schildert und einen Auszug
aus dem "5us potaiM", dem ältesten Trinkkomment, gibt. Daran schließen
sich die Bezeichnungen für den Zustand des Betrunkenseins, soweit sie den
Humor zum Vater haben, die für das Durchprügeln, für einen gewissen den
unverheiratheten Frauen übelstehenden Zustand und endlich die für das Sterben.
Das nächste Kapitel bringt zunächst eine Auswahl bildlicher Redensarten mit
komischer Färbung, z. B.: "Sie machen den russischen Adler" (wenn ein Paar
am Tische sich schmollend den Rucke" zukehrt), "Er sieht einen an wie die
Krähe das kranke Ferkel", "Es geschah Anno dazumal, wo die Elbe brannte
und die Bauern mit Strohwischen löschen kamen", "Er hat mit dem Gesicht
auf einem Rohrstuhle gesessen" oder: "Der Teufel hat Erbsen auf ihm ge¬
droschen" (beides von einem Pockennarbigen gesagt), "Er ist so dumm wie der
Dreck auf der Gasse" u. d. Darauf folgt eine reichliche Auswahl vom Volks¬
witz geschaffener Sprichwörter, unter denen natürlich die Appositionen nicht
fehlen, welche der Verfasser richtig und erschöpfend als "Sprichwörter" definirt,
"wo der Volkshumor einen ernsten Spruch, eine Erfahrnngsregel oder sonst
eine weise Lehre durch Anhängung eines Beispiels in eine Lächerlichkeit ver-



*) Vergl, die Kultur der Renaissance in Italien. Bon I. Burckhardt. S. 122--131.

unerfreuliche Eigenschaften nachsagt, wobei der Verfasser da, wo er Italien er¬
wähnt, darein hätte erinnern können, daß hier um die Mitte des vierzehnten
Jahrhunderts eine ganz ähnliche Richtung des Volksgeistes auf das Komische,
spöttische und Ironische sich kundgab wie in Deutschland zur Zeit der Ent¬
stehung der Schwänke des Pfaffen Aeneis, Till Eulenspiegels und des Reineke
Fuchs*). Im nächsten Abschnitte bespricht das Buch die Epigramme des
Volkshumors, denen wir in der Gestalt von Inschriften an Häusern, Gerathen
und Gräbern begegnen, und theilt deren eine große Anzahl aus verschiedenen
Sammlungen und nach eigener Entdeckung mit. Darunter befinden sich über¬
aus komische Sachen, von denen wir aus Mangel an Raum nur die lustigen
Reime mittheilen, mit denen ein Bauer in Franken dem Heiligen den Laufpaß
gab, der in katholischen Gegenden die Häuser vor Feuersbrünsten schützt. Dieser
Spaßvogel schrieb, als er sein Haus versichert hatte, über seine Thür:


„Heiliger Florian, Du sackrischer Schwanz,
Wir brauchen Dich nimmer, wir hab'n Assecuranz."

Weiterhin werden Dinge, Zustände und Thätigkeiten des Lebens nach den
Ausdrücken, mit denen sie der Volkshumor bezeichnet, ins Auge gefaßt, wobei
vorzüglich die Spitznamen, die er Kleidungsstücken, Werkzeugen, Waffen, Speise»
und Getränken gegeben hat, in Betracht kommen. Die Getränke bringen den
Verfasser auf einen interessanten Exkurs, in welchem er den deutschen Sans-
teufel im sechzehnten und siebzehnten Jahrhundert schildert und einen Auszug
aus dem „5us potaiM", dem ältesten Trinkkomment, gibt. Daran schließen
sich die Bezeichnungen für den Zustand des Betrunkenseins, soweit sie den
Humor zum Vater haben, die für das Durchprügeln, für einen gewissen den
unverheiratheten Frauen übelstehenden Zustand und endlich die für das Sterben.
Das nächste Kapitel bringt zunächst eine Auswahl bildlicher Redensarten mit
komischer Färbung, z. B.: „Sie machen den russischen Adler" (wenn ein Paar
am Tische sich schmollend den Rucke» zukehrt), „Er sieht einen an wie die
Krähe das kranke Ferkel", „Es geschah Anno dazumal, wo die Elbe brannte
und die Bauern mit Strohwischen löschen kamen", „Er hat mit dem Gesicht
auf einem Rohrstuhle gesessen" oder: „Der Teufel hat Erbsen auf ihm ge¬
droschen" (beides von einem Pockennarbigen gesagt), „Er ist so dumm wie der
Dreck auf der Gasse" u. d. Darauf folgt eine reichliche Auswahl vom Volks¬
witz geschaffener Sprichwörter, unter denen natürlich die Appositionen nicht
fehlen, welche der Verfasser richtig und erschöpfend als „Sprichwörter" definirt,
»wo der Volkshumor einen ernsten Spruch, eine Erfahrnngsregel oder sonst
eine weise Lehre durch Anhängung eines Beispiels in eine Lächerlichkeit ver-



*) Vergl, die Kultur der Renaissance in Italien. Bon I. Burckhardt. S. 122—131.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/227>, abgerufen am 23.07.2024.