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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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da er seinem Eide nachgekommen war, und so sagte er: "Gute Nacht, liebe
Herren Domnauer" und ging von bannen in alle Welt.

Die Schippenbeiler führen den Namen der Erbsenschmecker, indem sie
einem Bauer, wie ein Lied ausführlich erzählt, seine ganze Ladung grauer
Erbsen in entnommenen Proben "aufgeschmeckt", d. h. weggekostet haben sollen,
'kund nennt man sie Bärenstecher, weil sie ihren Bürgermeister, als er sich in
Königsberg einen Bärenpelz angeschafft hatte und in dem neuen Staate pran¬
gend heimkehrte, für einen Bären hielten und mit Spießen und Büchsen an¬
alem. "Ga na Rominte, Zigge opschwänze", ist eine Redensart, die sich auf
das Dorf Rominten im Goldapper Kreise bezieht. Dasselbe war früher sehr
schmutzig und arm. Man konnte sich keine Kühe, sondern nur Ziegen halten,
und der Koth im Orte war so tief, daß er diesen bis an die Schwänze reichte.
Daher gab man ihnen spottweise den Rath, ihre Ziegen anfznschwünzen. Die
Einwohner des Dorfes Fischhausen im Samlande heißen "Möckeprötscher",
h. Mückenspritzer. Einmal nämlich, so wird erzählt, wurde plötzlich Feuer¬
arm geschlagen, es hieß, der Kirchthurm brenne, und in der That sah man
^cke Rauchwolken um ihn Herumwirbeln. Die Leute liefen also rasch mit ihren
Löschgeräthen herzu und spritzten, was das Zeug hielt, worauf sich der Rauch
"ach einer Weile verzog. Als man aber näher zusah, war es gar kein Rauch,
sichern nur ein großer Schwarm sogenannter Hnffmücken gewesen. Die Königs-
berger heißen bald "Glomsnickels", bald "Sperlingsschlucker". Der erstere
Beiname wird von ihrer Vorliebe für "Schuaut und Glumse", Sahne und
l^ure Milch, der letztere von einem Mißgeschick des sogenannten altstädtischen
^appers hergeleitet. Dieser am altstädtischen Rathhause angebrachte, früher
'uit einer Krone geschmückte Kopf bezeichnete jeden Stundenschlag durch Auf¬
zerren und Zuklappen seines großen Mundes, bis ihm dabei einmal ein
Sperling hineinflog, der den Mechanismus verdarb. Die Bewohner des Städt¬
chens Löbenicht, welches jetzt einen Theil von Königsberg bildet, hießen früher
^e "Bauern". Ein dortiger Bürger begann ein Haus zu bauen, starb aber,
He es fertig war. Sein Sohn, welcher studirte, mußte die hohe Schule ver¬
russen, um den Handel seines Vaters fortzuführen und seiner Mutter bei der
Wirthschaft zu helfen. Er baute das Haus ans und ließ anf dasselbe einen
Neptun mit dem Dreizack setzen. Die Löbenichter aber glaubten, "der Bauer
'uit der Mistgabel" sei ihnen zum Spott aufgestellt worden. Männer und
Leiber rotteten sich mit Spießen und Stangen, Spinnrocken und Besenstielen
Zusammen und wollten dem guten Manne das Haus stürmen. Er sah oben
Zum Fenster hinaus und fragte: "Liebe Nachbarn, was bedeutet das?" Die
Gemeinde schrie hinauf: "Den Bauern vom Hanse herunter!" Er erwiderte:
"Aber, liebe Nachbarn, es ist ja gar kein Bauer, es ist der Neptuns." "Was?"


da er seinem Eide nachgekommen war, und so sagte er: „Gute Nacht, liebe
Herren Domnauer" und ging von bannen in alle Welt.

Die Schippenbeiler führen den Namen der Erbsenschmecker, indem sie
einem Bauer, wie ein Lied ausführlich erzählt, seine ganze Ladung grauer
Erbsen in entnommenen Proben „aufgeschmeckt", d. h. weggekostet haben sollen,
'kund nennt man sie Bärenstecher, weil sie ihren Bürgermeister, als er sich in
Königsberg einen Bärenpelz angeschafft hatte und in dem neuen Staate pran¬
gend heimkehrte, für einen Bären hielten und mit Spießen und Büchsen an¬
alem. „Ga na Rominte, Zigge opschwänze", ist eine Redensart, die sich auf
das Dorf Rominten im Goldapper Kreise bezieht. Dasselbe war früher sehr
schmutzig und arm. Man konnte sich keine Kühe, sondern nur Ziegen halten,
und der Koth im Orte war so tief, daß er diesen bis an die Schwänze reichte.
Daher gab man ihnen spottweise den Rath, ihre Ziegen anfznschwünzen. Die
Einwohner des Dorfes Fischhausen im Samlande heißen „Möckeprötscher",
h. Mückenspritzer. Einmal nämlich, so wird erzählt, wurde plötzlich Feuer¬
arm geschlagen, es hieß, der Kirchthurm brenne, und in der That sah man
^cke Rauchwolken um ihn Herumwirbeln. Die Leute liefen also rasch mit ihren
Löschgeräthen herzu und spritzten, was das Zeug hielt, worauf sich der Rauch
"ach einer Weile verzog. Als man aber näher zusah, war es gar kein Rauch,
sichern nur ein großer Schwarm sogenannter Hnffmücken gewesen. Die Königs-
berger heißen bald „Glomsnickels", bald „Sperlingsschlucker". Der erstere
Beiname wird von ihrer Vorliebe für „Schuaut und Glumse", Sahne und
l^ure Milch, der letztere von einem Mißgeschick des sogenannten altstädtischen
^appers hergeleitet. Dieser am altstädtischen Rathhause angebrachte, früher
'uit einer Krone geschmückte Kopf bezeichnete jeden Stundenschlag durch Auf¬
zerren und Zuklappen seines großen Mundes, bis ihm dabei einmal ein
Sperling hineinflog, der den Mechanismus verdarb. Die Bewohner des Städt¬
chens Löbenicht, welches jetzt einen Theil von Königsberg bildet, hießen früher
^e „Bauern". Ein dortiger Bürger begann ein Haus zu bauen, starb aber,
He es fertig war. Sein Sohn, welcher studirte, mußte die hohe Schule ver¬
russen, um den Handel seines Vaters fortzuführen und seiner Mutter bei der
Wirthschaft zu helfen. Er baute das Haus ans und ließ anf dasselbe einen
Neptun mit dem Dreizack setzen. Die Löbenichter aber glaubten, „der Bauer
'uit der Mistgabel" sei ihnen zum Spott aufgestellt worden. Männer und
Leiber rotteten sich mit Spießen und Stangen, Spinnrocken und Besenstielen
Zusammen und wollten dem guten Manne das Haus stürmen. Er sah oben
Zum Fenster hinaus und fragte: „Liebe Nachbarn, was bedeutet das?" Die
Gemeinde schrie hinauf: „Den Bauern vom Hanse herunter!" Er erwiderte:
"Aber, liebe Nachbarn, es ist ja gar kein Bauer, es ist der Neptuns." „Was?"


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/223>, abgerufen am 23.07.2024.