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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Wir geben als Proben der Reichhaltigkeit des Mitgetheilten und der an-
muthigen Art, mit der die längeren Geschichten erzählt werden, den Abschnitt
über die Provinz Preußen und über die Spitznamen der aargauischen Städte
wieder.

"Die Bartener in der Provinz Preußen werde" "Rekel" genannt. Von
den Bauern in Butsch bei Christburg wird erzählt: sie waren einmal im Kruge
zur Schulzenwahl versammelt, es wollte aber niemand Schutz werden. Zu-"
fällig kroch eine Laus, die ein Bettler verloren hatte, über die Bank. Da kam
man überein, die Laus auf den Tisch zu setzen und den, auf welchen sie zu-
krieche, zum Schulzen zu macheu. Dann legte man die Lans für ähnliche
Gelegenheiten an eine Kette. Daher die Redensart, "Om Butsch steil de Lus
an de Keed". "Sechs Dinge findet man in Danzig an jedem Flecke: Hurer
und Diebe, Flöhe und Fliegen, Hunde und Dreck." Von dem Dorfe Dan-
barre ist das Neckwort im Umlaufe: "Daubarre, wo de junge Hundkes
gemalt wäre".

Domnan ist das Abdera Preußens. Ironisch sagt man: "Aus Domnau
Verstand holen;" spöttisch erklärt man von jemand, der schwer von Begriffen
ist: "Er ist ans Domnau". Einst wurde in Domnau ein Dieb zum Galgen
geführt, wobei ihn alle Rathsherren begleiteten. Der Richtstätte nahe, bat er
um die Vergünstigung, sich noch beim nächsten Bäcker ein Düttchenbrot kaufen
zu dürfen. Die Bitte wurde ihm gewährt, und der Bürgermeister schenkte ihm
sogar das Düttchen (Silbergroschen). Der Delinquent kaufte sich darauf bei dem
am Thore wohnenden Bäcker das Brot, entwischte aber damit und rief den
ihm verblüfft nachstarrenden Rathsherrn zu: "Dank, Domnauer, fert Düttken-
brot." Seitdem nehmen es die Bäcker dort übel, wenn man ein Düttchenbrot
bei ihnen verlangt, man muß "Silbergroscheubrvt" sagen. Eine Redensart
lautet: He löckmnlt wie de Domnansche Stadtboll". Die Domnauer sahen
nämlich einmal auf ihrem Thorthurme schönes Gras wachsen, und damit das
nicht umkomme, nahmen sie den Stadthütten, warfen ihm eine Schlinge um
den Hals und zogen ihn auf den Thurm hinauf, damit er das Gras abweide.
Dem Ersticken nahe, streckte er unterwegs die Zunge zum Maule heraus. Da
schrieen die Domnauer (wie einst die Lalenburger): "Seht, seht, er leckmault
schon darnach!" Das Sprichwort: "Gute Nacht, meine Herren Domnauer^
soll folgenden Ursprung haben. Ein Dieb, der zum Galgen verurtheilt war,
bat, ihn ein paar Tage frei zu lassen, da es im Gefängniß so langweilig sei-
Man entließ ihn, nachdem er eidlich gelobt, sich an dem zur Execution be¬
stimmten Tage zu stellen. Er kam auch richtig in der Nacht vor diesem Tage
wieder. Aber als er sich am Thore meldete, ließ man ihn nicht ein und sagte,
er möchte bei Hellem Tage wiederkommen. Das hielt er aber nicht für nöthig,


Wir geben als Proben der Reichhaltigkeit des Mitgetheilten und der an-
muthigen Art, mit der die längeren Geschichten erzählt werden, den Abschnitt
über die Provinz Preußen und über die Spitznamen der aargauischen Städte
wieder.

„Die Bartener in der Provinz Preußen werde» „Rekel" genannt. Von
den Bauern in Butsch bei Christburg wird erzählt: sie waren einmal im Kruge
zur Schulzenwahl versammelt, es wollte aber niemand Schutz werden. Zu-"
fällig kroch eine Laus, die ein Bettler verloren hatte, über die Bank. Da kam
man überein, die Laus auf den Tisch zu setzen und den, auf welchen sie zu-
krieche, zum Schulzen zu macheu. Dann legte man die Lans für ähnliche
Gelegenheiten an eine Kette. Daher die Redensart, „Om Butsch steil de Lus
an de Keed". „Sechs Dinge findet man in Danzig an jedem Flecke: Hurer
und Diebe, Flöhe und Fliegen, Hunde und Dreck." Von dem Dorfe Dan-
barre ist das Neckwort im Umlaufe: „Daubarre, wo de junge Hundkes
gemalt wäre".

Domnan ist das Abdera Preußens. Ironisch sagt man: „Aus Domnau
Verstand holen;" spöttisch erklärt man von jemand, der schwer von Begriffen
ist: „Er ist ans Domnau". Einst wurde in Domnau ein Dieb zum Galgen
geführt, wobei ihn alle Rathsherren begleiteten. Der Richtstätte nahe, bat er
um die Vergünstigung, sich noch beim nächsten Bäcker ein Düttchenbrot kaufen
zu dürfen. Die Bitte wurde ihm gewährt, und der Bürgermeister schenkte ihm
sogar das Düttchen (Silbergroschen). Der Delinquent kaufte sich darauf bei dem
am Thore wohnenden Bäcker das Brot, entwischte aber damit und rief den
ihm verblüfft nachstarrenden Rathsherrn zu: „Dank, Domnauer, fert Düttken-
brot." Seitdem nehmen es die Bäcker dort übel, wenn man ein Düttchenbrot
bei ihnen verlangt, man muß „Silbergroscheubrvt" sagen. Eine Redensart
lautet: He löckmnlt wie de Domnansche Stadtboll". Die Domnauer sahen
nämlich einmal auf ihrem Thorthurme schönes Gras wachsen, und damit das
nicht umkomme, nahmen sie den Stadthütten, warfen ihm eine Schlinge um
den Hals und zogen ihn auf den Thurm hinauf, damit er das Gras abweide.
Dem Ersticken nahe, streckte er unterwegs die Zunge zum Maule heraus. Da
schrieen die Domnauer (wie einst die Lalenburger): „Seht, seht, er leckmault
schon darnach!" Das Sprichwort: „Gute Nacht, meine Herren Domnauer^
soll folgenden Ursprung haben. Ein Dieb, der zum Galgen verurtheilt war,
bat, ihn ein paar Tage frei zu lassen, da es im Gefängniß so langweilig sei-
Man entließ ihn, nachdem er eidlich gelobt, sich an dem zur Execution be¬
stimmten Tage zu stellen. Er kam auch richtig in der Nacht vor diesem Tage
wieder. Aber als er sich am Thore meldete, ließ man ihn nicht ein und sagte,
er möchte bei Hellem Tage wiederkommen. Das hielt er aber nicht für nöthig,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/222>, abgerufen am 03.07.2024.