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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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es ungerecht sie deshalb zu tadeln. Es ist das Grundgesetz aller Entwickelung,
daß dem Vollkommenerer das Rohere vorhergeht. Ein Fortschritt zum Voll-
kvmmneren aber ist auch auf diesen: Gebiete deutlich zu erkennen. Er ist zu
Neunen auf seinem Gange von den Griechen zu den Römern, die der Frau
ein noch größeres Maß von Rechten und weitere Schritte nach dem Ziele der
Gleichstellung hin eingeräumt haben, und ebenso ist er zu verfolgen innerhalb
der griechischen Welt. Aber es wird sich anch zeigen, daß dieser Fortschritt
von Schäden begleitet gewesen ist, und daß der rohe Anfang, frei von diesen
Schäden, schon eine Höhe gehabt hat, die dem Volke zu nicht geringer Ehre
gereicht.

Allerdings sind die Griechen in der Zeit, ans welcher uns die erste noch
sagenhafte Kunde zukommt, bereits ein Volk von hoher Entwickelung. Städte
spiegeln sich im Meere; auf den Wellen der Häfen schaukeln Schiffe, welche
von Kleinasiens Küste, von Phönicien, Aegypten und dem schwarzen Meere
die Schätze des Handels oder auch Beute des Krieges und Seeranbes heim
bringen. Gewaltige Mauern umgürten die Städte, Burgen und Paläste der
Herrscher erheben sich auf den Höhen, und in herrlichen Tempeln wird den
Göttern geopfert.

Wir vermuthen, woher das Griechenvolk gekommen ist. Wir wissen nichts
von der Zeit seiner Einwanderung, nichts von seinen Kämpfen mit den früheren
Besitzern der gesegneten Fluren von Hellas. Es ist uns unbekannt, ob und
wie lange sie ein Leben als Jäger in den Eichen- und Olivenwäldern, als
noinadisirende Hirten in den wasserreichen Thalgründen und auf den heiteren
Berghöhen geführt haben, ehe sie Städte bauten, den Pflug handhabten und
von edlen Königen geführt ein ritterliches Volk wurden.

Unsere älteste Urkunde, die homerischen Gedichte, stellen sie als solches
dar. Mächtige Herrscher gebieten über weite Strecken des Landes und bean¬
spruchen die Kräfte des Volkes zu den riesigen Bauten, deren Reste wir in
Mhkenä, Tirhns und Argos noch heute anstaunen. Ein Rath von erfahrenen
Greisen steht dem Könige zur Seite, ein ritterlicher Herrenstand folgt ihm auf
den Kriegszügen. Der gemeine Mann bebaut den Acker, der Getreide, Oel
und Wein in Fülle hervorbringt; zahllose Heerden weiden, von Sklaven be¬
wacht, ans den grasreichen Waldtriftcn, so daß es nie fehlt an Fleisch für
die Opferaltäre und für die Tafel des Herrenhofes. Ein frisches fröhliches
Leben herrscht in dem schönen Hellas. Der Wald hallt wieder vom Rufe der
sagende", die den Berglöwen, den Bär und den Hirsch erlegen, der Burghof
vom Klänge der Waffen, in denen die edlen Jünglinge sich üben, die hohe
Halle vom Gesang des Dichters, der zur Cither die Thaten der Helden singt
und das fröhliche Mahl dadurch würzt. Gesang nud Tanz, Festreigen der


es ungerecht sie deshalb zu tadeln. Es ist das Grundgesetz aller Entwickelung,
daß dem Vollkommenerer das Rohere vorhergeht. Ein Fortschritt zum Voll-
kvmmneren aber ist auch auf diesen: Gebiete deutlich zu erkennen. Er ist zu
Neunen auf seinem Gange von den Griechen zu den Römern, die der Frau
ein noch größeres Maß von Rechten und weitere Schritte nach dem Ziele der
Gleichstellung hin eingeräumt haben, und ebenso ist er zu verfolgen innerhalb
der griechischen Welt. Aber es wird sich anch zeigen, daß dieser Fortschritt
von Schäden begleitet gewesen ist, und daß der rohe Anfang, frei von diesen
Schäden, schon eine Höhe gehabt hat, die dem Volke zu nicht geringer Ehre
gereicht.

Allerdings sind die Griechen in der Zeit, ans welcher uns die erste noch
sagenhafte Kunde zukommt, bereits ein Volk von hoher Entwickelung. Städte
spiegeln sich im Meere; auf den Wellen der Häfen schaukeln Schiffe, welche
von Kleinasiens Küste, von Phönicien, Aegypten und dem schwarzen Meere
die Schätze des Handels oder auch Beute des Krieges und Seeranbes heim
bringen. Gewaltige Mauern umgürten die Städte, Burgen und Paläste der
Herrscher erheben sich auf den Höhen, und in herrlichen Tempeln wird den
Göttern geopfert.

Wir vermuthen, woher das Griechenvolk gekommen ist. Wir wissen nichts
von der Zeit seiner Einwanderung, nichts von seinen Kämpfen mit den früheren
Besitzern der gesegneten Fluren von Hellas. Es ist uns unbekannt, ob und
wie lange sie ein Leben als Jäger in den Eichen- und Olivenwäldern, als
noinadisirende Hirten in den wasserreichen Thalgründen und auf den heiteren
Berghöhen geführt haben, ehe sie Städte bauten, den Pflug handhabten und
von edlen Königen geführt ein ritterliches Volk wurden.

Unsere älteste Urkunde, die homerischen Gedichte, stellen sie als solches
dar. Mächtige Herrscher gebieten über weite Strecken des Landes und bean¬
spruchen die Kräfte des Volkes zu den riesigen Bauten, deren Reste wir in
Mhkenä, Tirhns und Argos noch heute anstaunen. Ein Rath von erfahrenen
Greisen steht dem Könige zur Seite, ein ritterlicher Herrenstand folgt ihm auf
den Kriegszügen. Der gemeine Mann bebaut den Acker, der Getreide, Oel
und Wein in Fülle hervorbringt; zahllose Heerden weiden, von Sklaven be¬
wacht, ans den grasreichen Waldtriftcn, so daß es nie fehlt an Fleisch für
die Opferaltäre und für die Tafel des Herrenhofes. Ein frisches fröhliches
Leben herrscht in dem schönen Hellas. Der Wald hallt wieder vom Rufe der
sagende», die den Berglöwen, den Bär und den Hirsch erlegen, der Burghof
vom Klänge der Waffen, in denen die edlen Jünglinge sich üben, die hohe
Halle vom Gesang des Dichters, der zur Cither die Thaten der Helden singt
und das fröhliche Mahl dadurch würzt. Gesang nud Tanz, Festreigen der


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/207>, abgerufen am 23.07.2024.