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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Session wurde nun in einem vom Abgeordneten Löwe eingebrachten Antrage
rundweg die Wiedereinführung der eben erst beseitigten Eisenzölle gefordert.
Als dieser Antrag sich völlig aussichtslos erwies, tauchte wiederum von Seiten
des Bundesraths die "Ausgleichungsvorlage" auf, diesmal ausschließlich auf Eisen
beschränkt. Das Gesetz soll außer Kraft treten, "sobald die in anderen Ländern
thatsächlich bestehende Begünstigung der Ausfuhr von Eisen und Eisenfabrikaten
durch Ausfuhrprämien in Wegfall gekommen sein wird."

Die Motivirung klingt ganz plausibel. Andere Länder gewähren eine
vertragswidrige Exportbonifikation. Unsere Reklamationen dagegen haben nichts
geholfen. Also zwingen wir sie im Wege der Retorsion, von dem unberech¬
tigten und unser Interesse schädigenden Verfahren abzustehen. Leider nimmt
sich die Sache bei Licht betrachtet sehr anders aus. Der Gesetzentwurf ist ein¬
gestandenermaßen gegen den mit den französischen aecMts-a-Kaution getriebenen
Mißbrauch gerichtet. Die deutsche Eiseneinfuhr aus Frankreich mit noquits ist
verhältnißmäßig sehr gering gegenüber der gesammten Eiseneinfuhr Deutsch¬
lands, namentlich derjenigen aus Englciud. Da aber nach der Klausel der
meistbegünstigten Nationen ein speziell gegen Frankreich gerichteter Differential¬
zoll nicht gestattet ist, so müßte eben die gesammte Eiseneinfuhr mit der "Aus¬
gleichungsabgabe" belegt werden, d. h. der Eisenzoll wäre einstweilen that¬
sächlich wieder hergestellt. Und obendrein ist selbst die mißbräuchliche Anwen¬
dung der aeWits-Z.-canela>n mit dem französischen Steuersystem derart verwachsen,
daß die mit der deutschen Ausgleichsabgabe beabsichtigte Wirkung schwerlich
erreicht werden würde. Mit dieser Aussicht würde auch die Vertröstung auf
eine demnächstige Wiederaufhebung der Abgabe hinfällig werden. Unter solchen
Umständen liegt denn der Argwohn nahe genug, daß das geplante Gesetz nur
der erste Schritt auf der Bahn der Umkehr zum Schutzzoll sein würde. Die
Minister Camphausen und Ueberhand versichern uns hoch und heilig das
Gegentheil, und kein Mensch setzt in die subjektive Wahrheit ihrer Erklärungen
den geringsten Zweifel. ''Wie aber, wenn jener Argwohn doch berechtigt wäre?
Die Herren Camphausen und Ueberhand werden dann ihre Entlassung geben,
der Reichstag aber bleibt auf der falschen Bahn und mag sehen, wie er sich
der Consequenzen des ersten verhängnißvollen Schrittes erwehren will. Haupt¬
sächlich unter diesen Gesichtspunkten bewegte sich die Debatte. Das Endschicksal
der Vorlage ist indeß im Augenblick noch nicht mit Sicherheit vorherzusagen.

Als Intermezzo zwischen den wirthschaftlichen Fragen erschien abermals
die Affäre Kantecki auf dem Plane. Der eigenthümliche Zufall, daß der schul¬
dige Postagent gerade einen Tag vor der erneuten Verhandlung entdeckt wurde,
konnte die Position des Generalpostmeisters nicht gerade verbessern. Für das
von Laster beantragte Nothgesetz war dnrch die Freilassung Kanteckis die um-


Session wurde nun in einem vom Abgeordneten Löwe eingebrachten Antrage
rundweg die Wiedereinführung der eben erst beseitigten Eisenzölle gefordert.
Als dieser Antrag sich völlig aussichtslos erwies, tauchte wiederum von Seiten
des Bundesraths die „Ausgleichungsvorlage" auf, diesmal ausschließlich auf Eisen
beschränkt. Das Gesetz soll außer Kraft treten, „sobald die in anderen Ländern
thatsächlich bestehende Begünstigung der Ausfuhr von Eisen und Eisenfabrikaten
durch Ausfuhrprämien in Wegfall gekommen sein wird."

Die Motivirung klingt ganz plausibel. Andere Länder gewähren eine
vertragswidrige Exportbonifikation. Unsere Reklamationen dagegen haben nichts
geholfen. Also zwingen wir sie im Wege der Retorsion, von dem unberech¬
tigten und unser Interesse schädigenden Verfahren abzustehen. Leider nimmt
sich die Sache bei Licht betrachtet sehr anders aus. Der Gesetzentwurf ist ein¬
gestandenermaßen gegen den mit den französischen aecMts-a-Kaution getriebenen
Mißbrauch gerichtet. Die deutsche Eiseneinfuhr aus Frankreich mit noquits ist
verhältnißmäßig sehr gering gegenüber der gesammten Eiseneinfuhr Deutsch¬
lands, namentlich derjenigen aus Englciud. Da aber nach der Klausel der
meistbegünstigten Nationen ein speziell gegen Frankreich gerichteter Differential¬
zoll nicht gestattet ist, so müßte eben die gesammte Eiseneinfuhr mit der „Aus¬
gleichungsabgabe" belegt werden, d. h. der Eisenzoll wäre einstweilen that¬
sächlich wieder hergestellt. Und obendrein ist selbst die mißbräuchliche Anwen¬
dung der aeWits-Z.-canela>n mit dem französischen Steuersystem derart verwachsen,
daß die mit der deutschen Ausgleichsabgabe beabsichtigte Wirkung schwerlich
erreicht werden würde. Mit dieser Aussicht würde auch die Vertröstung auf
eine demnächstige Wiederaufhebung der Abgabe hinfällig werden. Unter solchen
Umständen liegt denn der Argwohn nahe genug, daß das geplante Gesetz nur
der erste Schritt auf der Bahn der Umkehr zum Schutzzoll sein würde. Die
Minister Camphausen und Ueberhand versichern uns hoch und heilig das
Gegentheil, und kein Mensch setzt in die subjektive Wahrheit ihrer Erklärungen
den geringsten Zweifel. ''Wie aber, wenn jener Argwohn doch berechtigt wäre?
Die Herren Camphausen und Ueberhand werden dann ihre Entlassung geben,
der Reichstag aber bleibt auf der falschen Bahn und mag sehen, wie er sich
der Consequenzen des ersten verhängnißvollen Schrittes erwehren will. Haupt¬
sächlich unter diesen Gesichtspunkten bewegte sich die Debatte. Das Endschicksal
der Vorlage ist indeß im Augenblick noch nicht mit Sicherheit vorherzusagen.

Als Intermezzo zwischen den wirthschaftlichen Fragen erschien abermals
die Affäre Kantecki auf dem Plane. Der eigenthümliche Zufall, daß der schul¬
dige Postagent gerade einen Tag vor der erneuten Verhandlung entdeckt wurde,
konnte die Position des Generalpostmeisters nicht gerade verbessern. Für das
von Laster beantragte Nothgesetz war dnrch die Freilassung Kanteckis die um-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/200>, abgerufen am 23.07.2024.