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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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letztern aber nur noch zehn Jahre. Im Zeitalter des Vergehens werden
die Millionen mal Millionen Welten, aus denen das All besteht, durch Feuer,
Wasser oder Wind vernichtet. Nach dem Kalpa der Nichtigkeit beginnt ein
neues All wieder mit einem Kalpa der Wiedergeburt, und sofort ins Unend¬
liche. Jedes von den Kalpas eines Alls hat seinen besonderen Namen. Das,
in welchem wir leben, heißt Badhrakalpa, "die glückselige Periode", weil die
Erde in demselben von fünf Buddhas nach einander besucht wird, von denen
vier bereits erschienen sind. Der fünfte, Mciitreja, wird erscheinen, wenn das
Gesetz Ssakjamunis durch die Ungerechtigkeit der Menschen seine Kraft ver¬
loren hat.

Sehr zahlreich sind die Legenden des Buddhismus von seinem Stifter,
seinen Wundern, seinen früheren Existenzen, seinen Wiedergeburten als Elephant,
als Vogel, als Hirsch, Mensch und dergl., bevor er in den Stand eines voll¬
kommenen Buddha gelangte -- Geburten, deren uns die singhalesijchen Djatakas.
allein fünfhundert fünfzig mit den umständlichsten und abgeschmacktesten Einzel¬
heiten erzählen. Das darf nicht zu sehr Wunder nehmen; denn die Einbildungskraft
der Hindu verwirrt sich sehr häufig in groteske und fratzenhaft maßlose Gestaltung,
und auch der Bramaismus gefällt sich vielfach in Uebertreibungen und Absurditäten
Indeß haben die Mythen des letzteren, doch immer neben ihren Thorheiten
und Geschmacklosigkeiten hochpoetische und erhabne Stellen. Der Nihilismus
der Buddhisten aber hat gar keine poetische Ader, und seine Legenden, im All¬
gemeinen von monströser Plattheit, zeigen eine oft geradezu läppische und
possenhaft alberne Erfindung. Ein Beispiel davon wird genügen. Es be¬
findet sich im zwanzigsten Kapitel des "Lotus des guten Gesetzes", einer
Schrift, welche für eine der heiligsten und verehrungswürdigsten unter den
kanonischen Sudras gilt, und wir erfahren da Folgendes.

Ssakjamuni lehrt feinen Jüngern das Gesetz bei Radjagriha. Prabhutaratna,
einer der früheren Buddhas, ist vom Himmel herabgekommen, um ihm Glück
zu wünschen, und setzt sich neben ihn. "Sie sind umgeben von hunderttausend
Myriaden von Millionen Bodhisatwas, d. h. "beschaulicher Buddhas", an Zahl
derjenigen der Atome von tausend Welten gleich, hervorgegangen ans den
Spalten der Erde auf den Ruf eines Lichtstrahls, der zwischen den Augen¬
brauen Ssakjamunis entsprungen ist. Sie beten mit gefalteten Händen den
Buddha an, welcher sie vereinigt hat, und versprechen ihm, wenn er in d5s,
vollkommene Nirwana eingegangen sein wird, das Gesch an seiner Stelle zu
verkündigen. Da lächeln, als sie dies Versprechen hören, der selige Ssakjamuni
und der selige Prabhutaratna. Ihre Zunge fährt aus ihrem Munde
und reicht hinauf bis zum Himmel Bramas, wobei aus ihr mehrere
hunderttausend Myriaden Strahlen hervorbrechen. Die unzählbaren Bodhisatwas,


letztern aber nur noch zehn Jahre. Im Zeitalter des Vergehens werden
die Millionen mal Millionen Welten, aus denen das All besteht, durch Feuer,
Wasser oder Wind vernichtet. Nach dem Kalpa der Nichtigkeit beginnt ein
neues All wieder mit einem Kalpa der Wiedergeburt, und sofort ins Unend¬
liche. Jedes von den Kalpas eines Alls hat seinen besonderen Namen. Das,
in welchem wir leben, heißt Badhrakalpa, „die glückselige Periode", weil die
Erde in demselben von fünf Buddhas nach einander besucht wird, von denen
vier bereits erschienen sind. Der fünfte, Mciitreja, wird erscheinen, wenn das
Gesetz Ssakjamunis durch die Ungerechtigkeit der Menschen seine Kraft ver¬
loren hat.

Sehr zahlreich sind die Legenden des Buddhismus von seinem Stifter,
seinen Wundern, seinen früheren Existenzen, seinen Wiedergeburten als Elephant,
als Vogel, als Hirsch, Mensch und dergl., bevor er in den Stand eines voll¬
kommenen Buddha gelangte — Geburten, deren uns die singhalesijchen Djatakas.
allein fünfhundert fünfzig mit den umständlichsten und abgeschmacktesten Einzel¬
heiten erzählen. Das darf nicht zu sehr Wunder nehmen; denn die Einbildungskraft
der Hindu verwirrt sich sehr häufig in groteske und fratzenhaft maßlose Gestaltung,
und auch der Bramaismus gefällt sich vielfach in Uebertreibungen und Absurditäten
Indeß haben die Mythen des letzteren, doch immer neben ihren Thorheiten
und Geschmacklosigkeiten hochpoetische und erhabne Stellen. Der Nihilismus
der Buddhisten aber hat gar keine poetische Ader, und seine Legenden, im All¬
gemeinen von monströser Plattheit, zeigen eine oft geradezu läppische und
possenhaft alberne Erfindung. Ein Beispiel davon wird genügen. Es be¬
findet sich im zwanzigsten Kapitel des „Lotus des guten Gesetzes", einer
Schrift, welche für eine der heiligsten und verehrungswürdigsten unter den
kanonischen Sudras gilt, und wir erfahren da Folgendes.

Ssakjamuni lehrt feinen Jüngern das Gesetz bei Radjagriha. Prabhutaratna,
einer der früheren Buddhas, ist vom Himmel herabgekommen, um ihm Glück
zu wünschen, und setzt sich neben ihn. „Sie sind umgeben von hunderttausend
Myriaden von Millionen Bodhisatwas, d. h. „beschaulicher Buddhas", an Zahl
derjenigen der Atome von tausend Welten gleich, hervorgegangen ans den
Spalten der Erde auf den Ruf eines Lichtstrahls, der zwischen den Augen¬
brauen Ssakjamunis entsprungen ist. Sie beten mit gefalteten Händen den
Buddha an, welcher sie vereinigt hat, und versprechen ihm, wenn er in d5s,
vollkommene Nirwana eingegangen sein wird, das Gesch an seiner Stelle zu
verkündigen. Da lächeln, als sie dies Versprechen hören, der selige Ssakjamuni
und der selige Prabhutaratna. Ihre Zunge fährt aus ihrem Munde
und reicht hinauf bis zum Himmel Bramas, wobei aus ihr mehrere
hunderttausend Myriaden Strahlen hervorbrechen. Die unzählbaren Bodhisatwas,


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[0192] letztern aber nur noch zehn Jahre. Im Zeitalter des Vergehens werden die Millionen mal Millionen Welten, aus denen das All besteht, durch Feuer, Wasser oder Wind vernichtet. Nach dem Kalpa der Nichtigkeit beginnt ein neues All wieder mit einem Kalpa der Wiedergeburt, und sofort ins Unend¬ liche. Jedes von den Kalpas eines Alls hat seinen besonderen Namen. Das, in welchem wir leben, heißt Badhrakalpa, „die glückselige Periode", weil die Erde in demselben von fünf Buddhas nach einander besucht wird, von denen vier bereits erschienen sind. Der fünfte, Mciitreja, wird erscheinen, wenn das Gesetz Ssakjamunis durch die Ungerechtigkeit der Menschen seine Kraft ver¬ loren hat. Sehr zahlreich sind die Legenden des Buddhismus von seinem Stifter, seinen Wundern, seinen früheren Existenzen, seinen Wiedergeburten als Elephant, als Vogel, als Hirsch, Mensch und dergl., bevor er in den Stand eines voll¬ kommenen Buddha gelangte — Geburten, deren uns die singhalesijchen Djatakas. allein fünfhundert fünfzig mit den umständlichsten und abgeschmacktesten Einzel¬ heiten erzählen. Das darf nicht zu sehr Wunder nehmen; denn die Einbildungskraft der Hindu verwirrt sich sehr häufig in groteske und fratzenhaft maßlose Gestaltung, und auch der Bramaismus gefällt sich vielfach in Uebertreibungen und Absurditäten Indeß haben die Mythen des letzteren, doch immer neben ihren Thorheiten und Geschmacklosigkeiten hochpoetische und erhabne Stellen. Der Nihilismus der Buddhisten aber hat gar keine poetische Ader, und seine Legenden, im All¬ gemeinen von monströser Plattheit, zeigen eine oft geradezu läppische und possenhaft alberne Erfindung. Ein Beispiel davon wird genügen. Es be¬ findet sich im zwanzigsten Kapitel des „Lotus des guten Gesetzes", einer Schrift, welche für eine der heiligsten und verehrungswürdigsten unter den kanonischen Sudras gilt, und wir erfahren da Folgendes. Ssakjamuni lehrt feinen Jüngern das Gesetz bei Radjagriha. Prabhutaratna, einer der früheren Buddhas, ist vom Himmel herabgekommen, um ihm Glück zu wünschen, und setzt sich neben ihn. „Sie sind umgeben von hunderttausend Myriaden von Millionen Bodhisatwas, d. h. „beschaulicher Buddhas", an Zahl derjenigen der Atome von tausend Welten gleich, hervorgegangen ans den Spalten der Erde auf den Ruf eines Lichtstrahls, der zwischen den Augen¬ brauen Ssakjamunis entsprungen ist. Sie beten mit gefalteten Händen den Buddha an, welcher sie vereinigt hat, und versprechen ihm, wenn er in d5s, vollkommene Nirwana eingegangen sein wird, das Gesch an seiner Stelle zu verkündigen. Da lächeln, als sie dies Versprechen hören, der selige Ssakjamuni und der selige Prabhutaratna. Ihre Zunge fährt aus ihrem Munde und reicht hinauf bis zum Himmel Bramas, wobei aus ihr mehrere hunderttausend Myriaden Strahlen hervorbrechen. Die unzählbaren Bodhisatwas,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/192>, abgerufen am 01.10.2024.