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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Hoheit des Staats oder mit den Staatsgesetzen im Widerspruch stehen, Das
den kirchlichen Bedürfnissen und Anstalten gewidmete Vermögen unterliegt den
Gesetzen des Staates. Keine Verordnung der Kirche, welche in bürgerliche oder
staatsrechtliche Verhältnisse eingreift, kann rechtliche Geltung in Anspruch nehmen
oder in Vollzug gesetzt werden, bevor sie die Genehmigung des Staats erhalten
hat. Verfügungen und Erkenntnisse der Kirchengewalt können gegen die Frei¬
heit oder das Vermögen einer Person wider deren Willen nur von der Staats¬
gewalt und unter der Voraussetzung vollzogen werden, daß sie von der zuständigen
Staatsbehörde für vollzugsreif erklärt worden sind. Auf Verletzung dieser Ge¬
setzesbestimmungen sind Geld-, beziehungsweise Gefängnißstrafen gesetzt. Auch sind
solche Strafen angedroht den Geistlichen, welche ihre Amtsgewalt und ihren geistlichen
Einfluß zu politischen Agitationen, insbesondere bei Wahlen mißbrauchen, und
es kann derjenige Geistliche, welcher wegen solcher Gesetzesübertretung inner¬
halb zwei Jahren zweimal bestraft wurde, durch kollegialischer Beschluß der
Mitglieder des Staatsministeriums unter Zuzug von fünf Mitgliedern der Ge¬
richtshöfe seines Amtes entsetzt werden. Dies sind die Grundzüge des staatlich¬
kirchlichen Verhältnisses, wie dasselbe durch das Gesetz vom 9. Oktober 1860,
beziehungsweise durch das dieses erstere abändernde und ergänzende Gesetz vom
l9. Februar 1874 festgestellt wurden. Die Konsequenzen dieser Prinzipien
wurden in durchgreifender Weise gezogen. Zunächst wurde durch Einführung
der Notheivilehe, sodann mittelst Gesetzes vom 21. Dezember 1869 dnrch Ein¬
führung der obligatorischen Civilehe und Uebertragung der Benrknndnngen
des bürgerliche!: Standes an weltliche Beamte ein für das Staats- und Volks¬
leben in grundlegender Weise wichtiges Gebiet verwirrenden Einflüssen der
Kirchengewalt entzogen. Gleichzeitig (Gesetz vom 9. Oktober 1860) wurde das
Erziehungsrccht in Bezug auf die Religion der Kinder durch ausschließliche
Uebertragung an die Familie gegen kirchliche Uebergriffe sichergestellt, und ein
Gesetz über die Bestrafung von Amtsmißbräuchen der Geistlichen, ebenfalls vom
9- Oktober 1860, bekundete, noch ehe die bereits erwähnten verschärften Straf¬
bestimmungen des Gesetzes vom 19. Februar 1874 erlassen wurden, den vollen
Ernst der Staatsgewalt, sich nicht Trotz bieten zu lassen. Ans den Tag der
Verkündigung dieser Gesetze wurde unter dein 9. Oktober 1860 durch landes¬
herrliche Entschließung die die'Einführung des Konkordats verkündende Ver¬
ordnung vom 5. Dezember 1859 zurückgenommen und erklärt, daß jener Ueber-
einkunft eine rechtliche Wirkung nicht beizulegen sei. Unzertrennbar von der
Regulirung der kirchliche" Angelegenheiten war eine Neuordnung des Volks-
schulwcsens. Sie wurde im Jahre 1864 durch ein Gesetz über die Aufsichts¬
behörden für die Volksschulen in Augriff genommen, durch das Gesetz über
den Elementarunterricht vom 8. März 1868 umfassend festgestellt, endlich durch


Hoheit des Staats oder mit den Staatsgesetzen im Widerspruch stehen, Das
den kirchlichen Bedürfnissen und Anstalten gewidmete Vermögen unterliegt den
Gesetzen des Staates. Keine Verordnung der Kirche, welche in bürgerliche oder
staatsrechtliche Verhältnisse eingreift, kann rechtliche Geltung in Anspruch nehmen
oder in Vollzug gesetzt werden, bevor sie die Genehmigung des Staats erhalten
hat. Verfügungen und Erkenntnisse der Kirchengewalt können gegen die Frei¬
heit oder das Vermögen einer Person wider deren Willen nur von der Staats¬
gewalt und unter der Voraussetzung vollzogen werden, daß sie von der zuständigen
Staatsbehörde für vollzugsreif erklärt worden sind. Auf Verletzung dieser Ge¬
setzesbestimmungen sind Geld-, beziehungsweise Gefängnißstrafen gesetzt. Auch sind
solche Strafen angedroht den Geistlichen, welche ihre Amtsgewalt und ihren geistlichen
Einfluß zu politischen Agitationen, insbesondere bei Wahlen mißbrauchen, und
es kann derjenige Geistliche, welcher wegen solcher Gesetzesübertretung inner¬
halb zwei Jahren zweimal bestraft wurde, durch kollegialischer Beschluß der
Mitglieder des Staatsministeriums unter Zuzug von fünf Mitgliedern der Ge¬
richtshöfe seines Amtes entsetzt werden. Dies sind die Grundzüge des staatlich¬
kirchlichen Verhältnisses, wie dasselbe durch das Gesetz vom 9. Oktober 1860,
beziehungsweise durch das dieses erstere abändernde und ergänzende Gesetz vom
l9. Februar 1874 festgestellt wurden. Die Konsequenzen dieser Prinzipien
wurden in durchgreifender Weise gezogen. Zunächst wurde durch Einführung
der Notheivilehe, sodann mittelst Gesetzes vom 21. Dezember 1869 dnrch Ein¬
führung der obligatorischen Civilehe und Uebertragung der Benrknndnngen
des bürgerliche!: Standes an weltliche Beamte ein für das Staats- und Volks¬
leben in grundlegender Weise wichtiges Gebiet verwirrenden Einflüssen der
Kirchengewalt entzogen. Gleichzeitig (Gesetz vom 9. Oktober 1860) wurde das
Erziehungsrccht in Bezug auf die Religion der Kinder durch ausschließliche
Uebertragung an die Familie gegen kirchliche Uebergriffe sichergestellt, und ein
Gesetz über die Bestrafung von Amtsmißbräuchen der Geistlichen, ebenfalls vom
9- Oktober 1860, bekundete, noch ehe die bereits erwähnten verschärften Straf¬
bestimmungen des Gesetzes vom 19. Februar 1874 erlassen wurden, den vollen
Ernst der Staatsgewalt, sich nicht Trotz bieten zu lassen. Ans den Tag der
Verkündigung dieser Gesetze wurde unter dein 9. Oktober 1860 durch landes¬
herrliche Entschließung die die'Einführung des Konkordats verkündende Ver¬
ordnung vom 5. Dezember 1859 zurückgenommen und erklärt, daß jener Ueber-
einkunft eine rechtliche Wirkung nicht beizulegen sei. Unzertrennbar von der
Regulirung der kirchliche» Angelegenheiten war eine Neuordnung des Volks-
schulwcsens. Sie wurde im Jahre 1864 durch ein Gesetz über die Aufsichts¬
behörden für die Volksschulen in Augriff genommen, durch das Gesetz über
den Elementarunterricht vom 8. März 1868 umfassend festgestellt, endlich durch


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[0175] Hoheit des Staats oder mit den Staatsgesetzen im Widerspruch stehen, Das den kirchlichen Bedürfnissen und Anstalten gewidmete Vermögen unterliegt den Gesetzen des Staates. Keine Verordnung der Kirche, welche in bürgerliche oder staatsrechtliche Verhältnisse eingreift, kann rechtliche Geltung in Anspruch nehmen oder in Vollzug gesetzt werden, bevor sie die Genehmigung des Staats erhalten hat. Verfügungen und Erkenntnisse der Kirchengewalt können gegen die Frei¬ heit oder das Vermögen einer Person wider deren Willen nur von der Staats¬ gewalt und unter der Voraussetzung vollzogen werden, daß sie von der zuständigen Staatsbehörde für vollzugsreif erklärt worden sind. Auf Verletzung dieser Ge¬ setzesbestimmungen sind Geld-, beziehungsweise Gefängnißstrafen gesetzt. Auch sind solche Strafen angedroht den Geistlichen, welche ihre Amtsgewalt und ihren geistlichen Einfluß zu politischen Agitationen, insbesondere bei Wahlen mißbrauchen, und es kann derjenige Geistliche, welcher wegen solcher Gesetzesübertretung inner¬ halb zwei Jahren zweimal bestraft wurde, durch kollegialischer Beschluß der Mitglieder des Staatsministeriums unter Zuzug von fünf Mitgliedern der Ge¬ richtshöfe seines Amtes entsetzt werden. Dies sind die Grundzüge des staatlich¬ kirchlichen Verhältnisses, wie dasselbe durch das Gesetz vom 9. Oktober 1860, beziehungsweise durch das dieses erstere abändernde und ergänzende Gesetz vom l9. Februar 1874 festgestellt wurden. Die Konsequenzen dieser Prinzipien wurden in durchgreifender Weise gezogen. Zunächst wurde durch Einführung der Notheivilehe, sodann mittelst Gesetzes vom 21. Dezember 1869 dnrch Ein¬ führung der obligatorischen Civilehe und Uebertragung der Benrknndnngen des bürgerliche!: Standes an weltliche Beamte ein für das Staats- und Volks¬ leben in grundlegender Weise wichtiges Gebiet verwirrenden Einflüssen der Kirchengewalt entzogen. Gleichzeitig (Gesetz vom 9. Oktober 1860) wurde das Erziehungsrccht in Bezug auf die Religion der Kinder durch ausschließliche Uebertragung an die Familie gegen kirchliche Uebergriffe sichergestellt, und ein Gesetz über die Bestrafung von Amtsmißbräuchen der Geistlichen, ebenfalls vom 9- Oktober 1860, bekundete, noch ehe die bereits erwähnten verschärften Straf¬ bestimmungen des Gesetzes vom 19. Februar 1874 erlassen wurden, den vollen Ernst der Staatsgewalt, sich nicht Trotz bieten zu lassen. Ans den Tag der Verkündigung dieser Gesetze wurde unter dein 9. Oktober 1860 durch landes¬ herrliche Entschließung die die'Einführung des Konkordats verkündende Ver¬ ordnung vom 5. Dezember 1859 zurückgenommen und erklärt, daß jener Ueber- einkunft eine rechtliche Wirkung nicht beizulegen sei. Unzertrennbar von der Regulirung der kirchliche» Angelegenheiten war eine Neuordnung des Volks- schulwcsens. Sie wurde im Jahre 1864 durch ein Gesetz über die Aufsichts¬ behörden für die Volksschulen in Augriff genommen, durch das Gesetz über den Elementarunterricht vom 8. März 1868 umfassend festgestellt, endlich durch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/175>, abgerufen am 03.07.2024.