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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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deren Verwirklichung auf den wichtigsten Einzelgebieten des Staats- und Volks¬
lebens andeutend zu bezeichnen.

Zunächst wurde das Verhältniß zwischen Staat und Kirche ans gesetz¬
lichem Wege geordnet. Das hier in grundlegender Weise maßgebende Gesetz
vom 9. Oktober 1860, die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen
Vereine in: Staate betr., huldigt nicht dem Gedanken einer "Trennung von
Staat und Kirche", wie sie die abstrakt nebelhafte Theorie des Liberalisinus
unter dem Beifallklatschen der Mtrcunvntanen im Jahre 1848 gewollt. Zwar
sollte die Kirche in ihrem inneren Leben frei und völlig unbegrenzt bleiben,
aber sie sollte unter jeder Bedingung der Souveränetät des Staats unter¬
worfen sein, und überdies wünschte man die Berührungspunkte zwischen Staat
und Kirche möglichst vermindert. Der Kirche sollte eine feste staatsrechtliche
Stellung gegeben, andrerseits aber sollten auch die Rechte der Staatsgewalt
mit fester Hand ergriffen werden*). In Anwendung dieser Grundsätze wurde
der evangelischen und der katholischen Kirche das Recht öffentlicher Korpora¬
tionen gewährleistet. Ihre Angelegenheiten ordnen und verwalten die Kirchen
frei und selbständig, der Verkehr mit den kirchlichen Oberen ist ungehindert.
Die Kirchenümter werden durch die Kirchen selbst verliehen, können aber nur
an solche vergabt werden, welche das badische Staatsbürgerrecht besitzen oder
erlangen und nicht von der Staatsregierung u,meer Angabe des Grundes als
ihr in bürgerlicher oder politischer Beziehung mißfällig erklärt werden. Ferner
ist die Zulassung zu einem Kirchenamt oder zur öffentlichen Ausübung kirch¬
licher Funktionen durch den vor einer staatlich eingesetzten Prüfungsbehörde zu
erbringenden Nachweis einer allgemein wissenschaftlichen Vorbildung bedingt.
Das Kirchenvermögen wird unter gemeinsamer Leitung der Kirche und des
Staates verwaltet. Religiöse Orden können nur mit Genehmigung der Staats¬
regierung eingeführt werden. Den Religionsunterricht überwachen und besorgen
die Kirchen für ihre Angehörigen, jedoch unbeschadet der einheitlichen Leitung
der Unterrichts- und Erziehungsanstalten. Die Kirchen sind befugt, Anstalten
zur theologischen praktischen Vorbildung der künftigen Geistlichen zu errichten
(die Kuabenseminare und Kucibenkonvikte, desgleichen die Kouvikte für Studirende
mußten zufolge des Gesetzes vom 19. Februar 1874 aufgehoben werden). In
ihren bürgerlichen und staatsbürgerlichen Beziehungen bleiben die Kirchen, deren
Anstalten und Diener den Staatsgesetzen unterworfen. Keine Kirche kann ans
ihrer Verfassung oder ihren Verordnungen Befugnisse ableiten, welche mit der



*) Vergl. die zutreffende Charakteristik der staatlich-kirchlichen Gesetzgebung Badens in
der interessanten Schrift von l^r. Zorn: Die wichtigsten neueren kirchenstaat¬
lichen Gesetze Deutschlands, Oesterreichs, der Schweiz und Italiens.

deren Verwirklichung auf den wichtigsten Einzelgebieten des Staats- und Volks¬
lebens andeutend zu bezeichnen.

Zunächst wurde das Verhältniß zwischen Staat und Kirche ans gesetz¬
lichem Wege geordnet. Das hier in grundlegender Weise maßgebende Gesetz
vom 9. Oktober 1860, die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen
Vereine in: Staate betr., huldigt nicht dem Gedanken einer „Trennung von
Staat und Kirche", wie sie die abstrakt nebelhafte Theorie des Liberalisinus
unter dem Beifallklatschen der Mtrcunvntanen im Jahre 1848 gewollt. Zwar
sollte die Kirche in ihrem inneren Leben frei und völlig unbegrenzt bleiben,
aber sie sollte unter jeder Bedingung der Souveränetät des Staats unter¬
worfen sein, und überdies wünschte man die Berührungspunkte zwischen Staat
und Kirche möglichst vermindert. Der Kirche sollte eine feste staatsrechtliche
Stellung gegeben, andrerseits aber sollten auch die Rechte der Staatsgewalt
mit fester Hand ergriffen werden*). In Anwendung dieser Grundsätze wurde
der evangelischen und der katholischen Kirche das Recht öffentlicher Korpora¬
tionen gewährleistet. Ihre Angelegenheiten ordnen und verwalten die Kirchen
frei und selbständig, der Verkehr mit den kirchlichen Oberen ist ungehindert.
Die Kirchenümter werden durch die Kirchen selbst verliehen, können aber nur
an solche vergabt werden, welche das badische Staatsbürgerrecht besitzen oder
erlangen und nicht von der Staatsregierung u,meer Angabe des Grundes als
ihr in bürgerlicher oder politischer Beziehung mißfällig erklärt werden. Ferner
ist die Zulassung zu einem Kirchenamt oder zur öffentlichen Ausübung kirch¬
licher Funktionen durch den vor einer staatlich eingesetzten Prüfungsbehörde zu
erbringenden Nachweis einer allgemein wissenschaftlichen Vorbildung bedingt.
Das Kirchenvermögen wird unter gemeinsamer Leitung der Kirche und des
Staates verwaltet. Religiöse Orden können nur mit Genehmigung der Staats¬
regierung eingeführt werden. Den Religionsunterricht überwachen und besorgen
die Kirchen für ihre Angehörigen, jedoch unbeschadet der einheitlichen Leitung
der Unterrichts- und Erziehungsanstalten. Die Kirchen sind befugt, Anstalten
zur theologischen praktischen Vorbildung der künftigen Geistlichen zu errichten
(die Kuabenseminare und Kucibenkonvikte, desgleichen die Kouvikte für Studirende
mußten zufolge des Gesetzes vom 19. Februar 1874 aufgehoben werden). In
ihren bürgerlichen und staatsbürgerlichen Beziehungen bleiben die Kirchen, deren
Anstalten und Diener den Staatsgesetzen unterworfen. Keine Kirche kann ans
ihrer Verfassung oder ihren Verordnungen Befugnisse ableiten, welche mit der



*) Vergl. die zutreffende Charakteristik der staatlich-kirchlichen Gesetzgebung Badens in
der interessanten Schrift von l^r. Zorn: Die wichtigsten neueren kirchenstaat¬
lichen Gesetze Deutschlands, Oesterreichs, der Schweiz und Italiens.
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[0174] deren Verwirklichung auf den wichtigsten Einzelgebieten des Staats- und Volks¬ lebens andeutend zu bezeichnen. Zunächst wurde das Verhältniß zwischen Staat und Kirche ans gesetz¬ lichem Wege geordnet. Das hier in grundlegender Weise maßgebende Gesetz vom 9. Oktober 1860, die rechtliche Stellung der Kirchen und kirchlichen Vereine in: Staate betr., huldigt nicht dem Gedanken einer „Trennung von Staat und Kirche", wie sie die abstrakt nebelhafte Theorie des Liberalisinus unter dem Beifallklatschen der Mtrcunvntanen im Jahre 1848 gewollt. Zwar sollte die Kirche in ihrem inneren Leben frei und völlig unbegrenzt bleiben, aber sie sollte unter jeder Bedingung der Souveränetät des Staats unter¬ worfen sein, und überdies wünschte man die Berührungspunkte zwischen Staat und Kirche möglichst vermindert. Der Kirche sollte eine feste staatsrechtliche Stellung gegeben, andrerseits aber sollten auch die Rechte der Staatsgewalt mit fester Hand ergriffen werden*). In Anwendung dieser Grundsätze wurde der evangelischen und der katholischen Kirche das Recht öffentlicher Korpora¬ tionen gewährleistet. Ihre Angelegenheiten ordnen und verwalten die Kirchen frei und selbständig, der Verkehr mit den kirchlichen Oberen ist ungehindert. Die Kirchenümter werden durch die Kirchen selbst verliehen, können aber nur an solche vergabt werden, welche das badische Staatsbürgerrecht besitzen oder erlangen und nicht von der Staatsregierung u,meer Angabe des Grundes als ihr in bürgerlicher oder politischer Beziehung mißfällig erklärt werden. Ferner ist die Zulassung zu einem Kirchenamt oder zur öffentlichen Ausübung kirch¬ licher Funktionen durch den vor einer staatlich eingesetzten Prüfungsbehörde zu erbringenden Nachweis einer allgemein wissenschaftlichen Vorbildung bedingt. Das Kirchenvermögen wird unter gemeinsamer Leitung der Kirche und des Staates verwaltet. Religiöse Orden können nur mit Genehmigung der Staats¬ regierung eingeführt werden. Den Religionsunterricht überwachen und besorgen die Kirchen für ihre Angehörigen, jedoch unbeschadet der einheitlichen Leitung der Unterrichts- und Erziehungsanstalten. Die Kirchen sind befugt, Anstalten zur theologischen praktischen Vorbildung der künftigen Geistlichen zu errichten (die Kuabenseminare und Kucibenkonvikte, desgleichen die Kouvikte für Studirende mußten zufolge des Gesetzes vom 19. Februar 1874 aufgehoben werden). In ihren bürgerlichen und staatsbürgerlichen Beziehungen bleiben die Kirchen, deren Anstalten und Diener den Staatsgesetzen unterworfen. Keine Kirche kann ans ihrer Verfassung oder ihren Verordnungen Befugnisse ableiten, welche mit der *) Vergl. die zutreffende Charakteristik der staatlich-kirchlichen Gesetzgebung Badens in der interessanten Schrift von l^r. Zorn: Die wichtigsten neueren kirchenstaat¬ lichen Gesetze Deutschlands, Oesterreichs, der Schweiz und Italiens.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/174>, abgerufen am 23.07.2024.