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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Er bewohnte hier vor dem Thore ein ungeheures Wiharci, welches in den Gärten
stand, die ihm Kalanta, ein reicher Kaufmann, bei seinem Uebertritt zum
Buddhismus geschenkt hatte. Hier war es, wo er seine berühmtesten Schüler
Ssariputra, Maudgaljajana und Katjajama um sich vereinigte und in die tieferen
Gedanken seiner Lehre einweihte. Zu Ssrawasti gewann er für diese Prasenadjit,
den König von Kossala. Wenn er von seinen Reisen durch das Land zurück¬
kam, bewohnte er hier ein prachtvolles Kloster, welches ihm der erste Minister
dieses Staates, Anatha Pindika, erbaut hatte, ein Mann von unbegrenzter
Freigebigkeit gegen die Armen, der zuletzt seine hohe Stellung aufgab, um dem
Reformator als Jünger zu folgen. Neben diesem Kloster war allmählich eins
für Frauen entstanden, welchem Pradjapati Gautami, die Tante Ssakjcununis,
die ihn als Kind gepflegt hatte, vorstand.

Ungefähr sechs Meilen von Ssrawasti zeigte man noch im sechsten Jahr¬
hundert unserer Aera die Stelle, wo der Buddha nach zwölfjähriger Abwesen¬
heit zum ersten Male seinen Vater wiedergesehen haben sollte. Derselbe hatte
nach der Legende wiederholt Versuche gemacht, ihn zur Heimkehr zu bewegen.
Er hatte ihm acht Gesandte nach einander geschickt, aber alle waren durch die
Beredsamkeit Ssakjamunis bekehrt bei diesem geblieben und Bhikschus geworden.
Endlich hatte er ihm seinen Minister Tscharka zugesandt, und auch dieser war
Wen Buddhismus übergetreten, aber doch zu dem alten Könige zurückgekehrt,
um ihm zu melden, daß sein Sohn ihm bald einen Besuch zu machen vor¬
habe. Es scheint, daß Ssuddhodana dieser Reise zuvorkam, indem er sich
zu dem Buddha begab. Aber dieser kam dessen ungeachtet später nach Kapilawastu,
und dort nahmen mit dem Könige alle Ssakias die neue Lehre an und traten
zum größten Theil in den geistlichen Stand, was namentlich auch von den
drei Frauen Ssakjamunis berichtet wird.

Nach tibetanischen Legenden hatte der Prophet gegen das Ende seines
Lebens noch den Schmerz, den Untergang seiner Vaterstadt und die Ermordung
der Seinen sehen zu müssen. Der Nachfolger Prasenadjits, Wirudhaka, hegte,
so wird dort erzählt, einen tiefen Haß gegen die Ssakias. Er zog gegen sie
mit einem Heere aus, erstürmte Kapilawastu und ließ alle Einwohner des
Ortes niederhauen. Ssakjamuni hörte das Toben der Krieger von Kossala
und das Aechzen und Wimmern der Sterbenden. Nachdem Wirudhaka wieder ab¬
gezogen, eilte er durch die mit Trümmern und Leichnamen bedeckten Straßen. Im
Parke neben dem Schlosse seines Vaters, wo er als Kind gespielt, zuckten und wanden
sich die Körper der jungen Mädchen, welchen der Feind Hände und Füße ab¬
gehauen, nachdem man ihnen vorher allerlei Gewalt angethan hatte. Einige
athmeten noch. Der Buddha weinte mit ihnen und tröstete sie. So erzählt
der Norden, aber die Buddhisten des Südens, deren Ueberlieferungen glaub-


Er bewohnte hier vor dem Thore ein ungeheures Wiharci, welches in den Gärten
stand, die ihm Kalanta, ein reicher Kaufmann, bei seinem Uebertritt zum
Buddhismus geschenkt hatte. Hier war es, wo er seine berühmtesten Schüler
Ssariputra, Maudgaljajana und Katjajama um sich vereinigte und in die tieferen
Gedanken seiner Lehre einweihte. Zu Ssrawasti gewann er für diese Prasenadjit,
den König von Kossala. Wenn er von seinen Reisen durch das Land zurück¬
kam, bewohnte er hier ein prachtvolles Kloster, welches ihm der erste Minister
dieses Staates, Anatha Pindika, erbaut hatte, ein Mann von unbegrenzter
Freigebigkeit gegen die Armen, der zuletzt seine hohe Stellung aufgab, um dem
Reformator als Jünger zu folgen. Neben diesem Kloster war allmählich eins
für Frauen entstanden, welchem Pradjapati Gautami, die Tante Ssakjcununis,
die ihn als Kind gepflegt hatte, vorstand.

Ungefähr sechs Meilen von Ssrawasti zeigte man noch im sechsten Jahr¬
hundert unserer Aera die Stelle, wo der Buddha nach zwölfjähriger Abwesen¬
heit zum ersten Male seinen Vater wiedergesehen haben sollte. Derselbe hatte
nach der Legende wiederholt Versuche gemacht, ihn zur Heimkehr zu bewegen.
Er hatte ihm acht Gesandte nach einander geschickt, aber alle waren durch die
Beredsamkeit Ssakjamunis bekehrt bei diesem geblieben und Bhikschus geworden.
Endlich hatte er ihm seinen Minister Tscharka zugesandt, und auch dieser war
Wen Buddhismus übergetreten, aber doch zu dem alten Könige zurückgekehrt,
um ihm zu melden, daß sein Sohn ihm bald einen Besuch zu machen vor¬
habe. Es scheint, daß Ssuddhodana dieser Reise zuvorkam, indem er sich
zu dem Buddha begab. Aber dieser kam dessen ungeachtet später nach Kapilawastu,
und dort nahmen mit dem Könige alle Ssakias die neue Lehre an und traten
zum größten Theil in den geistlichen Stand, was namentlich auch von den
drei Frauen Ssakjamunis berichtet wird.

Nach tibetanischen Legenden hatte der Prophet gegen das Ende seines
Lebens noch den Schmerz, den Untergang seiner Vaterstadt und die Ermordung
der Seinen sehen zu müssen. Der Nachfolger Prasenadjits, Wirudhaka, hegte,
so wird dort erzählt, einen tiefen Haß gegen die Ssakias. Er zog gegen sie
mit einem Heere aus, erstürmte Kapilawastu und ließ alle Einwohner des
Ortes niederhauen. Ssakjamuni hörte das Toben der Krieger von Kossala
und das Aechzen und Wimmern der Sterbenden. Nachdem Wirudhaka wieder ab¬
gezogen, eilte er durch die mit Trümmern und Leichnamen bedeckten Straßen. Im
Parke neben dem Schlosse seines Vaters, wo er als Kind gespielt, zuckten und wanden
sich die Körper der jungen Mädchen, welchen der Feind Hände und Füße ab¬
gehauen, nachdem man ihnen vorher allerlei Gewalt angethan hatte. Einige
athmeten noch. Der Buddha weinte mit ihnen und tröstete sie. So erzählt
der Norden, aber die Buddhisten des Südens, deren Ueberlieferungen glaub-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/143>, abgerufen am 23.07.2024.