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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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Also wenn irgend möglich mit Oesterreich, keinesfalls ohne seine Zu¬
stimmung wollte Preußen sich erheben, und nur im Nothfall sich allein an
Rußland anschließen. Woher aber doch diese kühle Reserve einer Macht
gegenüber, mit welcher man früher in so engen Beziehungen gestanden?

Man hatte allerdings damals in Berlin Kunde von den Anerbietungen
der Russen an York. Aber diese rührten nicht von der Regierung des Zaren,
sondern von seinen Generalen her, von Essen, Paulucci, Wittgenstein, und be¬
trafen zunächst wesentlich nur das Schicksal des mit Macdonald noch in Kur¬
land stehenden Corps, dessen Trennung von den Franzosen und Anschluß an
die Russen dringend begehrt ward. Der General hatte, wie bekannt, sie nicht
unbedingt von der Hand gewiesen, aber ohne seine Regierung nichts thun
können und thun wollen, deshalb schon am 5. November den Grafen Branden¬
burg, noch am 5. Dezember seinen vertrauten Adjutanten Seydlitz nach Berlin
entsandt, "um die Entschließungen Sr. Majestät zu erbitten." Dieser traf hier
am 13. früh ein, wenige Tage vor den entscheidenden Berathungen, welche der
Dresdner Brief Napoleons vom 14. veranlaßt hatte. Sehr natürlich deshalb,
daß man den Boten Yorks aufhielt*). Und wie konnte man auch auf jene
russischen Forderungen eingehen, ehe von dieser Seite irgend eine bindende
Zusage gemacht wurde! Diese aber fehlte, und die ganze Richtung, welche
man eben einzuschlagen im Begriffe stand, wie nicht minder die unerhört
schwierige Lage des Staates mahnte zur äußersten Vorsicht. Deshalb hat
Nork keinerlei bindende Instruktionen erhalten können; konnte doch auch die
Situation sich im Momente des Eintreffens einer Botschaft, eines Befehls so
^rändert haben, daß beide ihren Sinn verloren. Graf Brandenburg nahm
deshalb nebst einem Schreiben Hardenbergs vom 17. Dezember, welches ihm
von der Verstärknngsforderung Napoleons Kunde gab, nur die mündliche
Aeußerung mit, es fänden Verhandlungen mit Oesterreich statt**); Seydlitz aber,
welcher am 21. Dezember abreiste, erhielt auf seine flehentliche Bitte um In¬
struktionen für seinen General nur die karge Bemerkung des Königs: York
'Nvge "nach den Umständen handeln", "nicht über die Schnur hauen"; übrigens
sei der Monarch entschlossen, das französische Bündniß zu brechen, sobald die
Verhältnisse sich geklärt hätten. Daneben überbrachte er, gewiß ein bedeut¬
sames Zeichen königlichen Vertrauens, an York die Ernennung zum General¬
gouvemeur der Provinz Preußen***). Man konnte in Berlin nicht ahnen, daß
w diesem Augenblicke Macdonald und York bereits auf dem Rückzüge, somit
die Lage völlig verändert sei. Aber selbst dann wäre damals eine rasche Ent-





*) Droysen, Leben Yorks I' 309. 320. Duncker 462.
*) Droysen I? 320 ff. Duncker 4S4 f.
*
) Duncker 454 f. Droysen I, 447 s. Häußer IV 15 beurtheilt den Hof hier zu ungünstig.
Grenzboten II. 1377. 2

Also wenn irgend möglich mit Oesterreich, keinesfalls ohne seine Zu¬
stimmung wollte Preußen sich erheben, und nur im Nothfall sich allein an
Rußland anschließen. Woher aber doch diese kühle Reserve einer Macht
gegenüber, mit welcher man früher in so engen Beziehungen gestanden?

Man hatte allerdings damals in Berlin Kunde von den Anerbietungen
der Russen an York. Aber diese rührten nicht von der Regierung des Zaren,
sondern von seinen Generalen her, von Essen, Paulucci, Wittgenstein, und be¬
trafen zunächst wesentlich nur das Schicksal des mit Macdonald noch in Kur¬
land stehenden Corps, dessen Trennung von den Franzosen und Anschluß an
die Russen dringend begehrt ward. Der General hatte, wie bekannt, sie nicht
unbedingt von der Hand gewiesen, aber ohne seine Regierung nichts thun
können und thun wollen, deshalb schon am 5. November den Grafen Branden¬
burg, noch am 5. Dezember seinen vertrauten Adjutanten Seydlitz nach Berlin
entsandt, „um die Entschließungen Sr. Majestät zu erbitten." Dieser traf hier
am 13. früh ein, wenige Tage vor den entscheidenden Berathungen, welche der
Dresdner Brief Napoleons vom 14. veranlaßt hatte. Sehr natürlich deshalb,
daß man den Boten Yorks aufhielt*). Und wie konnte man auch auf jene
russischen Forderungen eingehen, ehe von dieser Seite irgend eine bindende
Zusage gemacht wurde! Diese aber fehlte, und die ganze Richtung, welche
man eben einzuschlagen im Begriffe stand, wie nicht minder die unerhört
schwierige Lage des Staates mahnte zur äußersten Vorsicht. Deshalb hat
Nork keinerlei bindende Instruktionen erhalten können; konnte doch auch die
Situation sich im Momente des Eintreffens einer Botschaft, eines Befehls so
^rändert haben, daß beide ihren Sinn verloren. Graf Brandenburg nahm
deshalb nebst einem Schreiben Hardenbergs vom 17. Dezember, welches ihm
von der Verstärknngsforderung Napoleons Kunde gab, nur die mündliche
Aeußerung mit, es fänden Verhandlungen mit Oesterreich statt**); Seydlitz aber,
welcher am 21. Dezember abreiste, erhielt auf seine flehentliche Bitte um In¬
struktionen für seinen General nur die karge Bemerkung des Königs: York
'Nvge „nach den Umständen handeln", „nicht über die Schnur hauen"; übrigens
sei der Monarch entschlossen, das französische Bündniß zu brechen, sobald die
Verhältnisse sich geklärt hätten. Daneben überbrachte er, gewiß ein bedeut¬
sames Zeichen königlichen Vertrauens, an York die Ernennung zum General¬
gouvemeur der Provinz Preußen***). Man konnte in Berlin nicht ahnen, daß
w diesem Augenblicke Macdonald und York bereits auf dem Rückzüge, somit
die Lage völlig verändert sei. Aber selbst dann wäre damals eine rasche Ent-





*) Droysen, Leben Yorks I' 309. 320. Duncker 462.
*) Droysen I? 320 ff. Duncker 4S4 f.
*
) Duncker 454 f. Droysen I, 447 s. Häußer IV 15 beurtheilt den Hof hier zu ungünstig.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/13>, abgerufen am 10.01.2025.