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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band.

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dem zur Manie gewordenen Hasse gegen Deutschland zu vergleichen, dem man
in den Kreisen des haager Dagvlad begegnet, und der bei ihren politischen
Schritten nur zu oft alle ruhige Ueberlegung verdrängt." Die konservative
Partei hat nichts mit den alten statthalterlichen Tendenzen zu thun. Dein
Schrecken vor der französischen Revolution entsprungen, der sie das göttliche
Recht des Absolutismus entgegenstellt, hat sie von der Verbindung mit Belgien
ihren eigentlichen Charakter bekommen. Belgische Staatsmänner waren die
ersten Vertreter ihrer Grundsätze, und auf belgische Verhältnisse richteten sich
die Hauptbestrebungen der Partei. Nach der Trennung von Belgien aber
waren es nicht etwa ergraute Konservative, welche den absolutistischen Neigungen
huldigten; wir finden vielmehr fast alle die Namen, denen wir später als
Führern der Konservativen begegnen, ursprünglich unter der liberalen Fahne,
ja die Konservativen wollen die eigentlichen Liberalen sein. Es gilt von ihnen
der Spruch, nach welchem sich, wo die Begriffe fehlen, zur rechten Zeit das
Wort einstellt, und so kann es kaum verwundern, wenn ihnen, denen die eigne
Ueberzeugung mangelt, in Sachen wirklicher Ueberzeugung, wie in der Schul-
und Kirchenfrage, möglich ward, den klerikalen Bestrebungen Beistand
zu leisten.

Der ehemalige rechte Flügel der Konservativen, die jetzt unter Groen van
Prinsterer und Kuyper eine besondere Partei bildenden Antirevolutionären stehen
in engem Bunde mit den Ultramontanen, mit denen sie offen übereinstimmen.
Daß auch Groen, ein Mann von gründlicher Gelehrsamkeit, reinem Charakter
und eiserner Konsequenz bei Verfolgung seiner Ueberzeugung, sich hierbei nicht
mehr ausschließt, liegt einfach in seiner Stellung zur Schulfrage; denn die
konfessionslose Staatsschule ist ihm die "moderne Sektenschule." "Weil seine
politischen Freunde 1853 und 1856 das "Staatsmonopol" auf die Schule
nicht brachen, brach er mit ihnen. Diese Frage wurde bei ihm ähnlich zur
fixen Idee wie bei Friedrich Wilhelm dem Vierten die neuenburger Frage, sie
ist das ceterum censeo in seinem Programm und dem seiner Partei, und wer
seiner Beantwortung derselben beipflichtet, mit dem fühlt er sich verbunden."
"numerisch ist die antirevolutionäre Partei stark im Wachsthum begriffen, aber
eben diese Erhitzung der konfessionellen Leidenschaften in den untern Klassen
stellt höhere Kämpfe als zuvor in Aussicht. Der genfer Wechselbalg der
Inquisition hat selbst die glorreichste Generation der alten Generalstaaten in
arge Wirren gestürzt und einen Vorbei dem Katholizismus in die Arme geführt.
Hierdurch belehrt hatten die innerkirchlichen Parteien in der reformirten
Kirche sich wenigstens in unserm Jahrhundert auf ihrem innerkirchlichen Boden
gehalten." Und noch vor zehn Jahren war im Gegensatz zu der damaligen
Vermischung kirchlicher und politischer Parteiung dieses Urtheil zutreffend. Seit-


dem zur Manie gewordenen Hasse gegen Deutschland zu vergleichen, dem man
in den Kreisen des haager Dagvlad begegnet, und der bei ihren politischen
Schritten nur zu oft alle ruhige Ueberlegung verdrängt." Die konservative
Partei hat nichts mit den alten statthalterlichen Tendenzen zu thun. Dein
Schrecken vor der französischen Revolution entsprungen, der sie das göttliche
Recht des Absolutismus entgegenstellt, hat sie von der Verbindung mit Belgien
ihren eigentlichen Charakter bekommen. Belgische Staatsmänner waren die
ersten Vertreter ihrer Grundsätze, und auf belgische Verhältnisse richteten sich
die Hauptbestrebungen der Partei. Nach der Trennung von Belgien aber
waren es nicht etwa ergraute Konservative, welche den absolutistischen Neigungen
huldigten; wir finden vielmehr fast alle die Namen, denen wir später als
Führern der Konservativen begegnen, ursprünglich unter der liberalen Fahne,
ja die Konservativen wollen die eigentlichen Liberalen sein. Es gilt von ihnen
der Spruch, nach welchem sich, wo die Begriffe fehlen, zur rechten Zeit das
Wort einstellt, und so kann es kaum verwundern, wenn ihnen, denen die eigne
Ueberzeugung mangelt, in Sachen wirklicher Ueberzeugung, wie in der Schul-
und Kirchenfrage, möglich ward, den klerikalen Bestrebungen Beistand
zu leisten.

Der ehemalige rechte Flügel der Konservativen, die jetzt unter Groen van
Prinsterer und Kuyper eine besondere Partei bildenden Antirevolutionären stehen
in engem Bunde mit den Ultramontanen, mit denen sie offen übereinstimmen.
Daß auch Groen, ein Mann von gründlicher Gelehrsamkeit, reinem Charakter
und eiserner Konsequenz bei Verfolgung seiner Ueberzeugung, sich hierbei nicht
mehr ausschließt, liegt einfach in seiner Stellung zur Schulfrage; denn die
konfessionslose Staatsschule ist ihm die „moderne Sektenschule." „Weil seine
politischen Freunde 1853 und 1856 das „Staatsmonopol" auf die Schule
nicht brachen, brach er mit ihnen. Diese Frage wurde bei ihm ähnlich zur
fixen Idee wie bei Friedrich Wilhelm dem Vierten die neuenburger Frage, sie
ist das ceterum censeo in seinem Programm und dem seiner Partei, und wer
seiner Beantwortung derselben beipflichtet, mit dem fühlt er sich verbunden."
„numerisch ist die antirevolutionäre Partei stark im Wachsthum begriffen, aber
eben diese Erhitzung der konfessionellen Leidenschaften in den untern Klassen
stellt höhere Kämpfe als zuvor in Aussicht. Der genfer Wechselbalg der
Inquisition hat selbst die glorreichste Generation der alten Generalstaaten in
arge Wirren gestürzt und einen Vorbei dem Katholizismus in die Arme geführt.
Hierdurch belehrt hatten die innerkirchlichen Parteien in der reformirten
Kirche sich wenigstens in unserm Jahrhundert auf ihrem innerkirchlichen Boden
gehalten." Und noch vor zehn Jahren war im Gegensatz zu der damaligen
Vermischung kirchlicher und politischer Parteiung dieses Urtheil zutreffend. Seit-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. II. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157642/106>, abgerufen am 23.07.2024.