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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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sich befand, das dem Eindringen in das nördlich gelegene russische Gebiet nicht
die geringste Schranke entgegensetzte. Eine Vorwärtsbewegung gegen den
Kirgisnyn-Alatau, den Boroldai und Karatan sollte jene weite Lücke schließen.

Die oben nur kurz erwähnte Circularnote des Fürsten Reichskanzler
Gortschakow giebt gerade über die damalige Situation Aufschluß, so daß es
nicht uninteressant sein dürfte, einige Hnnptstellen aus derselben hier hervorzu¬
heben: "Die Stellung Rußlands in Central-Asien"-- heißt es dort -- "ist die
aller civilisirten Staaten, welche sich mit halb wilden, umherstreifenden Völker¬
schaften ohne feste sociale Organisation im Contakt befinden. In dergleichen
Fällen verlangt das Interesse der Sicherheit der Grenzen und der Handelsbe¬
ziehungen stets, daß der civilisirte Staat ein gewisses Uebergewicht über Nach¬
barn übe, deren unruhige Nomadensitten sie äußerst unbequem machen. Man
hat Einfülle und Plünderungen zurückzuweisen. Um denselben ein Ende zu
machen, ist man genöthigt, die Grenzbevölkeruug zu eiuer mehr oder minder
directen Unterwürfigkeit zu zwingen." .... "Dies ist der Grund gewesen" --
ist dann weiter ausgeführt -- "welcher die kaiserliche Regierung veranlaßt hat,
sich zuerst einerseits am Ssyr-darja, anderseits am Jssik-tut festzusetzen, und
diese beiden Linien durch vorgeschobene Forts zu befestigen, welche all¬
mählich in das Herz dieser entfernten Gegenden gedrungen sind, ohne daß man
dahin gelangt wäre, jenseits derselben die für unsere Grenzen unerläßliche Ruhe
herzustellen. Die Ursache dieser Erfolglosigkeit lag zunächst in dem Umstände,
daß zwischen den Endpunkten dieser doppelten Linie ein ungeheurer wüster
Raum unbesetzt blieb, wo die Einfälle der räuberischen Stämme jede Colonisi-
rung und jeden Carawanenhandel unmöglich machten." .... Ferner heißt
es: "Trotz unserer Abneigung, unserer Grenze eine weitere Ausdeh¬
nung zu geben, waren diese Beweggründe doch mächtig genug, um die
kaiserliche Regierung zu veranlassen, die Continuität dieser Linie zwischen dem
Jssik-tut und dein Ssyr-darja herzustellen, indem die kürzlich von uns besetzte
Stadt Tschimkent von uns befestigt wurde. Indem Nur diese Linie annahmen,
erhalten wir ein doppeltes Resultat: einerseits ist die Gegend, welche sie um¬
faßt, fruchtbar, hvlzreich, von zahlreichen Gewässern durchströmt; sie ist theil¬
weise von Kirgisischer Stämmen bewohnt, welche unsere Herrschaft anerkannt haben;
sie bietet deshalb günstige Elemente für die Colonisation und für die Verprvvianti-
rung unserer Besatzungen. Andererseits giebt sie uns zu unmittelbaren Nachbarn die
angesiedelte ackerbau- und handeltreibende Bevölkerung von Kokain. Wir befinden
uns einer socialen Bevölkerung gegenüber, welche solider, kompakter, weniger
beweglich und besser organisirt ist, und diese Erwägung bezeichnet mit geo¬
graphischer Genauigkeit die Linie, zu welcher uns Interesse und Vernunft vor¬
zugehen rathen und hier still zu steheu heißen, weil einerseits jede fernere


sich befand, das dem Eindringen in das nördlich gelegene russische Gebiet nicht
die geringste Schranke entgegensetzte. Eine Vorwärtsbewegung gegen den
Kirgisnyn-Alatau, den Boroldai und Karatan sollte jene weite Lücke schließen.

Die oben nur kurz erwähnte Circularnote des Fürsten Reichskanzler
Gortschakow giebt gerade über die damalige Situation Aufschluß, so daß es
nicht uninteressant sein dürfte, einige Hnnptstellen aus derselben hier hervorzu¬
heben: „Die Stellung Rußlands in Central-Asien"— heißt es dort — „ist die
aller civilisirten Staaten, welche sich mit halb wilden, umherstreifenden Völker¬
schaften ohne feste sociale Organisation im Contakt befinden. In dergleichen
Fällen verlangt das Interesse der Sicherheit der Grenzen und der Handelsbe¬
ziehungen stets, daß der civilisirte Staat ein gewisses Uebergewicht über Nach¬
barn übe, deren unruhige Nomadensitten sie äußerst unbequem machen. Man
hat Einfülle und Plünderungen zurückzuweisen. Um denselben ein Ende zu
machen, ist man genöthigt, die Grenzbevölkeruug zu eiuer mehr oder minder
directen Unterwürfigkeit zu zwingen." .... „Dies ist der Grund gewesen" —
ist dann weiter ausgeführt — „welcher die kaiserliche Regierung veranlaßt hat,
sich zuerst einerseits am Ssyr-darja, anderseits am Jssik-tut festzusetzen, und
diese beiden Linien durch vorgeschobene Forts zu befestigen, welche all¬
mählich in das Herz dieser entfernten Gegenden gedrungen sind, ohne daß man
dahin gelangt wäre, jenseits derselben die für unsere Grenzen unerläßliche Ruhe
herzustellen. Die Ursache dieser Erfolglosigkeit lag zunächst in dem Umstände,
daß zwischen den Endpunkten dieser doppelten Linie ein ungeheurer wüster
Raum unbesetzt blieb, wo die Einfälle der räuberischen Stämme jede Colonisi-
rung und jeden Carawanenhandel unmöglich machten." .... Ferner heißt
es: „Trotz unserer Abneigung, unserer Grenze eine weitere Ausdeh¬
nung zu geben, waren diese Beweggründe doch mächtig genug, um die
kaiserliche Regierung zu veranlassen, die Continuität dieser Linie zwischen dem
Jssik-tut und dein Ssyr-darja herzustellen, indem die kürzlich von uns besetzte
Stadt Tschimkent von uns befestigt wurde. Indem Nur diese Linie annahmen,
erhalten wir ein doppeltes Resultat: einerseits ist die Gegend, welche sie um¬
faßt, fruchtbar, hvlzreich, von zahlreichen Gewässern durchströmt; sie ist theil¬
weise von Kirgisischer Stämmen bewohnt, welche unsere Herrschaft anerkannt haben;
sie bietet deshalb günstige Elemente für die Colonisation und für die Verprvvianti-
rung unserer Besatzungen. Andererseits giebt sie uns zu unmittelbaren Nachbarn die
angesiedelte ackerbau- und handeltreibende Bevölkerung von Kokain. Wir befinden
uns einer socialen Bevölkerung gegenüber, welche solider, kompakter, weniger
beweglich und besser organisirt ist, und diese Erwägung bezeichnet mit geo¬
graphischer Genauigkeit die Linie, zu welcher uns Interesse und Vernunft vor¬
zugehen rathen und hier still zu steheu heißen, weil einerseits jede fernere


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/92>, abgerufen am 23.07.2024.