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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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die Lage seines Vorgängers ans dein Gute, des Obersten von Woyna-Citronski
und seiner Angehörigen bestimmt gewesen sein. Citronski hatte durch seine
Verschwendung und Trunksucht seine Vermögensverhältnisse dermaßen zerrüttet
daß er das Gut an Pruski verkaufen mußte und nur einen Bauernhof im
zugehörigen Dorfe übrig behielt, auf dem der Branntwein seinem Leben bald
ein Ende machte. Ohne sich durch dieses Vorbild abschrecken zu lassen, schlug
Pruski dieselben Wege ein, wie Citronski, und er würde es auch noch ebeu
soweit gebracht haben, wenn ihn nicht noch zu rechter Zeit der Tod von der
Flasche gerissen hätte, als die Schulden den Werth des Gutes noch nicht er¬
reichten. Von dem brutalen Peiniger erlöst, that seine Wittwe alles, was zur
Herstellung der Wohlfahrt der Familie dienen konnte und in ihren Kräften
stand. Was das Laster des Vaters an der Seele ihrer Kinder verbrochen
hatte, das vermochte sie freilich nicht wieder gut zu machen; ihnen fehlte es
durchweg an Verstand -- ein Mangel, den man der polnischen Jugend im
Allgemeinen uicht zum Vorwurf machen kann. Der älteste Sohn litt außer¬
dem an einer seltsamen Muskelschlaffheit, die ich auf Schwäche der Nerven
zurückführen möchte, und die sich auch auf seinen Geist übertrug; knickbeinig,
mit gesenktem Nacken und kraftlos herabhangenden Armen und Händen, blaß
und mager, schlich er umher, ohne eignen Willen, jedem fremden Antrieb Folge
leistend, gegen keinen Angriff sich zur Wehr setzend, sondern ihm ausweichend
oder erliegend, bei seinen Altersgenossen weder Liebe noch Achtung, sondern
nur Geringschätzung erregend. Solchen Naturanlagen und Schwächen ver¬
mochte Frau vou Pruski nicht Einhalt zu thun, aber sie scheute keine Kosten,
um die schwachen Geistesgaben ihrer Kinder ausbilden zu lassen, sie hielt
ihnen deutsche Hauslehrer und französische Gouvernanten, dann gab sie die
Knaben auf ein Gymnasium mit rein deutscher Unterrichtssprache und in die
beste Pension, die ihr bekannt war, die Töchter in eine französische Pension
und Unterrichtsanstalt in Berlin. Sie verfuhr dabei, wie man sieht, ohne
nationales Vorurtheil; denn sie war eine welterfahrene, vielbelesene Dame mit
klarem Verstände, sie wußte namentlich die geistige und sittliche Ueberlegenheit
der Deutschen zu würdigem Wenn alle diese kluge Fürsorge nichts nützte,
wenn namentlich von den Söhnen Emilian es mit Mühe und Noth bis zur
Quarta, Benno sogar nur bis Quinta brachte, so erwies sich nur, daß die
schwachen Kopfe nicht weiter zu treiben waren. Durch diese Beschränktheit des
jüngeren Geschlechts wurde ihm die Aussicht versperrt, sich zu höheren Stellungen
in der Gesellschaft zu erheben; doch indem die polnische Prunksucht und die
Neigung zu Schwelgereien in ihm unterdrückt, dagegen der Sinn für Wirt¬
schaftlichkeit und Sparsamkeit geweckt und ausgebildet wurde, war die Mög¬
lichkeit gegeben, daß es sich wenigstens auf gleicher Höhe hielt. Frau von


die Lage seines Vorgängers ans dein Gute, des Obersten von Woyna-Citronski
und seiner Angehörigen bestimmt gewesen sein. Citronski hatte durch seine
Verschwendung und Trunksucht seine Vermögensverhältnisse dermaßen zerrüttet
daß er das Gut an Pruski verkaufen mußte und nur einen Bauernhof im
zugehörigen Dorfe übrig behielt, auf dem der Branntwein seinem Leben bald
ein Ende machte. Ohne sich durch dieses Vorbild abschrecken zu lassen, schlug
Pruski dieselben Wege ein, wie Citronski, und er würde es auch noch ebeu
soweit gebracht haben, wenn ihn nicht noch zu rechter Zeit der Tod von der
Flasche gerissen hätte, als die Schulden den Werth des Gutes noch nicht er¬
reichten. Von dem brutalen Peiniger erlöst, that seine Wittwe alles, was zur
Herstellung der Wohlfahrt der Familie dienen konnte und in ihren Kräften
stand. Was das Laster des Vaters an der Seele ihrer Kinder verbrochen
hatte, das vermochte sie freilich nicht wieder gut zu machen; ihnen fehlte es
durchweg an Verstand — ein Mangel, den man der polnischen Jugend im
Allgemeinen uicht zum Vorwurf machen kann. Der älteste Sohn litt außer¬
dem an einer seltsamen Muskelschlaffheit, die ich auf Schwäche der Nerven
zurückführen möchte, und die sich auch auf seinen Geist übertrug; knickbeinig,
mit gesenktem Nacken und kraftlos herabhangenden Armen und Händen, blaß
und mager, schlich er umher, ohne eignen Willen, jedem fremden Antrieb Folge
leistend, gegen keinen Angriff sich zur Wehr setzend, sondern ihm ausweichend
oder erliegend, bei seinen Altersgenossen weder Liebe noch Achtung, sondern
nur Geringschätzung erregend. Solchen Naturanlagen und Schwächen ver¬
mochte Frau vou Pruski nicht Einhalt zu thun, aber sie scheute keine Kosten,
um die schwachen Geistesgaben ihrer Kinder ausbilden zu lassen, sie hielt
ihnen deutsche Hauslehrer und französische Gouvernanten, dann gab sie die
Knaben auf ein Gymnasium mit rein deutscher Unterrichtssprache und in die
beste Pension, die ihr bekannt war, die Töchter in eine französische Pension
und Unterrichtsanstalt in Berlin. Sie verfuhr dabei, wie man sieht, ohne
nationales Vorurtheil; denn sie war eine welterfahrene, vielbelesene Dame mit
klarem Verstände, sie wußte namentlich die geistige und sittliche Ueberlegenheit
der Deutschen zu würdigem Wenn alle diese kluge Fürsorge nichts nützte,
wenn namentlich von den Söhnen Emilian es mit Mühe und Noth bis zur
Quarta, Benno sogar nur bis Quinta brachte, so erwies sich nur, daß die
schwachen Kopfe nicht weiter zu treiben waren. Durch diese Beschränktheit des
jüngeren Geschlechts wurde ihm die Aussicht versperrt, sich zu höheren Stellungen
in der Gesellschaft zu erheben; doch indem die polnische Prunksucht und die
Neigung zu Schwelgereien in ihm unterdrückt, dagegen der Sinn für Wirt¬
schaftlichkeit und Sparsamkeit geweckt und ausgebildet wurde, war die Mög¬
lichkeit gegeben, daß es sich wenigstens auf gleicher Höhe hielt. Frau von


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/84>, abgerufen am 23.07.2024.