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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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werde ihr zugleich der Mund mit einem honigsüßen Wesen befeuchtet, von
welchem sie frische Kräfte bekomme und erhalte.

Ja auch banalen noch als ich sie besuchte, sagte sie, daß gemeiniglich
ihr Mund mit einer süßen Feuchtigkeit benetzet werde. Anno 1602, am 11.
Oktober, als sie morgens um 7 Uhr, wie sie dann fromm und eifrig ist, in
den Garten hinab, ihr Gebet zu verrichten gegangen, habe sie unterschiedene
Erscheinungen gehabt, welches ich sowohl vou Herrn Feldhusio, als aus einem
Schreiben des Herrn Johann Weinsiper, seligen Gedächtniß, Pfarrer zu Moers,
vernommen.

Sonsten ist das Mägdelein mit einer sonderbaren Frömmigkeit begabt,
stellet sich gemeiniglich bei dem Gottesdienst ein; ist mittelmäßiger Große, bleich
von Farb, schamhaftig mit niedergeschlagenen Augenliedern; doch nicht so
fleischig wie die Apollonia, sondern mager; der Leib ist gegen das Rückgrat
gezogen, als ich sie gesehen, jedoch ohne Erhärtung der innern Glieder. Ohren
und Nasen waren ihr ziemlich feucht, und gemeiniglich hat sie geweinet; doch
hat sie nie geharnet, ist auch nie zu Stuhl gegangen, noch viel weniger hat
sie den weiblichen Fluß gehabt, wie auch keinen Schweiß. Die Wärme der
äußern Theile war mäßig; der Puls langsam, dunkel, schier gar keiner; bis¬
weilen ordentlich. Sie gehet zwar unter die Leut, aber an einem Stecken.
Ich habe ferner von ihr erforscht, ob zur Sommerszeit sie Mucken und Flöhe
belästigen; darauf hat sie geantwortet: gar sehr! Auch fühlte sie, wenn die
Lust warm oder kalt war. Bei der Apollonia hab ichs anders wahrgenommen,
als ich sie im Jahre 1607 mit Herrn Lentnlo besuchte. Denn obschon die
Mücken, (deren in der Stube, darin die Apollonia gelegen, eine solche Menge
waren, daß sie uns allen lästig wurden) ihr um das Gesicht und andere ent¬
blößte Theile des Körpers flogen, hat sie doch beständig betheuert, sie empfinde
nichts von denselbigen; ja die Kälte in der Winterszeit verletze sie auch nicht
sonderlich.

Das Mägdlein ist zwar nicht listig, sie redet jedoch fromm von Glaubens¬
sachen und verständig, sowohl vom Hans- als allgemeinem Wesen, mit schwacher
Stimme; indessen ist das Athemholen frei. Es hat mir ferner Herr Feldhusins
erzählt, daß er sie 12 Tage laug in sein Haus aufgenommen habe und mit
höchstem Fleiß so viel möglich in Acht genommen, ob kein Betrug mit unter¬
laufe. Aber er hat heilig versichert, er habe nichts dergleichen spüren können.
Da ihre Eltern viele Jahre bevor sie in diese sonderbare Krankheit gefallen, mit
Tode abgegangen sind, und sie ihr Heimwesen bei frommen und redlichen
Leuten gehabt hat, welche anßer allem Verdacht find, so sehe ich kein Hinder¬
niß, diese Geschichte in das fünfte Hundert meiner Beobachtungen auf¬
zunehmen."


werde ihr zugleich der Mund mit einem honigsüßen Wesen befeuchtet, von
welchem sie frische Kräfte bekomme und erhalte.

Ja auch banalen noch als ich sie besuchte, sagte sie, daß gemeiniglich
ihr Mund mit einer süßen Feuchtigkeit benetzet werde. Anno 1602, am 11.
Oktober, als sie morgens um 7 Uhr, wie sie dann fromm und eifrig ist, in
den Garten hinab, ihr Gebet zu verrichten gegangen, habe sie unterschiedene
Erscheinungen gehabt, welches ich sowohl vou Herrn Feldhusio, als aus einem
Schreiben des Herrn Johann Weinsiper, seligen Gedächtniß, Pfarrer zu Moers,
vernommen.

Sonsten ist das Mägdelein mit einer sonderbaren Frömmigkeit begabt,
stellet sich gemeiniglich bei dem Gottesdienst ein; ist mittelmäßiger Große, bleich
von Farb, schamhaftig mit niedergeschlagenen Augenliedern; doch nicht so
fleischig wie die Apollonia, sondern mager; der Leib ist gegen das Rückgrat
gezogen, als ich sie gesehen, jedoch ohne Erhärtung der innern Glieder. Ohren
und Nasen waren ihr ziemlich feucht, und gemeiniglich hat sie geweinet; doch
hat sie nie geharnet, ist auch nie zu Stuhl gegangen, noch viel weniger hat
sie den weiblichen Fluß gehabt, wie auch keinen Schweiß. Die Wärme der
äußern Theile war mäßig; der Puls langsam, dunkel, schier gar keiner; bis¬
weilen ordentlich. Sie gehet zwar unter die Leut, aber an einem Stecken.
Ich habe ferner von ihr erforscht, ob zur Sommerszeit sie Mucken und Flöhe
belästigen; darauf hat sie geantwortet: gar sehr! Auch fühlte sie, wenn die
Lust warm oder kalt war. Bei der Apollonia hab ichs anders wahrgenommen,
als ich sie im Jahre 1607 mit Herrn Lentnlo besuchte. Denn obschon die
Mücken, (deren in der Stube, darin die Apollonia gelegen, eine solche Menge
waren, daß sie uns allen lästig wurden) ihr um das Gesicht und andere ent¬
blößte Theile des Körpers flogen, hat sie doch beständig betheuert, sie empfinde
nichts von denselbigen; ja die Kälte in der Winterszeit verletze sie auch nicht
sonderlich.

Das Mägdlein ist zwar nicht listig, sie redet jedoch fromm von Glaubens¬
sachen und verständig, sowohl vom Hans- als allgemeinem Wesen, mit schwacher
Stimme; indessen ist das Athemholen frei. Es hat mir ferner Herr Feldhusins
erzählt, daß er sie 12 Tage laug in sein Haus aufgenommen habe und mit
höchstem Fleiß so viel möglich in Acht genommen, ob kein Betrug mit unter¬
laufe. Aber er hat heilig versichert, er habe nichts dergleichen spüren können.
Da ihre Eltern viele Jahre bevor sie in diese sonderbare Krankheit gefallen, mit
Tode abgegangen sind, und sie ihr Heimwesen bei frommen und redlichen
Leuten gehabt hat, welche anßer allem Verdacht find, so sehe ich kein Hinder¬
niß, diese Geschichte in das fünfte Hundert meiner Beobachtungen auf¬
zunehmen."


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/80>, abgerufen am 23.07.2024.