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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Man hat weiter die Ziehung der Grenze des öffentlichen Rechts, wie es
bereits die Beschlüsse der zweiten Lesung gethan, den Competenzhöfen für die
Zuständigkeit der Verwaltung belassen. Man hat nur in der dritten Lesung
bestimmt, daß die reichsgesetzlich gegebenen Vorschriften über die Bildung dieser
Competenzhöfe durch landesherrliche Verordnung eingeführt werden können, also
uicht von der Vereinbarung mit der Landesvertretung abhängig sein müssen.
Es war dies der einzige Weg, jenen Vorschriften überhaupt Geltung zu
verschaffen. --

Man hat weiter das Bruchstück einer Anwaltsordnung fallen lassen, weil
der Bundesrath die Vorlage einer vollständigen Anwaltsordnung schon in der
nächsten Legislatur zugesagt. --

Man hat endlich den ersten Oktober 1879 als Einführnngstermin der
Jnstizgesetze festgehalten, man hat nur die Bedingung zugelassen, daß gleichzeitig
eine Gebührenordnung in Kraft treten muß. Ist dies etwa eine Bedingung
die unerfüllbar oder auch nur schwierig wäre? Unentbehrlich ist sie, aber
nicht im Mindesten schwierig. --

Dies sind also die Punkte, durch deren Annahme das Vaterland und die
Freiheit verrathen worden! Und wer ist im Stande, dergleichen zu behaupten?
Es können nur solche sein, die auf einen Conflikt zwischen dem Reichskanzler
und der national-liberalen Partei schon längst speculiren und den ersehnten
Moment gekommen glaubten. Der Moment ist wieder vorübergegangen, ohne
die Hoffnungen zu erfüllen, die in der That nur starke Gier und Verblendung
ans ihn setzen konnten.

June illae 1g,er^ing.e!

Am wenigsten epochemachend von den vier Justizgesetzen ist das Gerichts-
verfassuugsgesetz, und dennoch kann die einschneidende Bedeutung auch dieses
Gesetzes nicht verkannt werden, welche in der geschaffenen Einheitlichkeit der
Gerichtsverfassung liegt. Dagegegen ist hier das wenigste Neue geboten in
Bezug auf werthvollen Inhalt. Die Hauptwerthe sind die Institution der
Amtsrichter als ständiger Einzelrichter, so zu sagen am Fuße der Gerichts¬
verfassung, und sodann das Reichsgericht als Spitze des einheitlichen Orga¬
nismus. Dagegen sind der Gerichtsstnfen noch viel zu viele, des Jnstanzen-
znges noch viel zu viel. Amtsgerichte, Landesgerichte, Schwurgerichte, Ober¬
landesgerichte, Reichsgericht, das sind die fünf Stufen, die kleinere Hälfte wäre
gut. Aber das wird kommen, wenn die deutsche Nation im Stande ist, im
Vorwärtsgange, im gesunden, stetigen Vorwürtsgange zu bleiben. Heute war
es noch nicht zu verlangen, wo die meisten Juristen und Laien vor dem Bild
der wahren Gerichtsverfassung noch geschaudert Hütten.


Man hat weiter die Ziehung der Grenze des öffentlichen Rechts, wie es
bereits die Beschlüsse der zweiten Lesung gethan, den Competenzhöfen für die
Zuständigkeit der Verwaltung belassen. Man hat nur in der dritten Lesung
bestimmt, daß die reichsgesetzlich gegebenen Vorschriften über die Bildung dieser
Competenzhöfe durch landesherrliche Verordnung eingeführt werden können, also
uicht von der Vereinbarung mit der Landesvertretung abhängig sein müssen.
Es war dies der einzige Weg, jenen Vorschriften überhaupt Geltung zu
verschaffen. —

Man hat weiter das Bruchstück einer Anwaltsordnung fallen lassen, weil
der Bundesrath die Vorlage einer vollständigen Anwaltsordnung schon in der
nächsten Legislatur zugesagt. —

Man hat endlich den ersten Oktober 1879 als Einführnngstermin der
Jnstizgesetze festgehalten, man hat nur die Bedingung zugelassen, daß gleichzeitig
eine Gebührenordnung in Kraft treten muß. Ist dies etwa eine Bedingung
die unerfüllbar oder auch nur schwierig wäre? Unentbehrlich ist sie, aber
nicht im Mindesten schwierig. —

Dies sind also die Punkte, durch deren Annahme das Vaterland und die
Freiheit verrathen worden! Und wer ist im Stande, dergleichen zu behaupten?
Es können nur solche sein, die auf einen Conflikt zwischen dem Reichskanzler
und der national-liberalen Partei schon längst speculiren und den ersehnten
Moment gekommen glaubten. Der Moment ist wieder vorübergegangen, ohne
die Hoffnungen zu erfüllen, die in der That nur starke Gier und Verblendung
ans ihn setzen konnten.

June illae 1g,er^ing.e!

Am wenigsten epochemachend von den vier Justizgesetzen ist das Gerichts-
verfassuugsgesetz, und dennoch kann die einschneidende Bedeutung auch dieses
Gesetzes nicht verkannt werden, welche in der geschaffenen Einheitlichkeit der
Gerichtsverfassung liegt. Dagegegen ist hier das wenigste Neue geboten in
Bezug auf werthvollen Inhalt. Die Hauptwerthe sind die Institution der
Amtsrichter als ständiger Einzelrichter, so zu sagen am Fuße der Gerichts¬
verfassung, und sodann das Reichsgericht als Spitze des einheitlichen Orga¬
nismus. Dagegen sind der Gerichtsstnfen noch viel zu viele, des Jnstanzen-
znges noch viel zu viel. Amtsgerichte, Landesgerichte, Schwurgerichte, Ober¬
landesgerichte, Reichsgericht, das sind die fünf Stufen, die kleinere Hälfte wäre
gut. Aber das wird kommen, wenn die deutsche Nation im Stande ist, im
Vorwärtsgange, im gesunden, stetigen Vorwürtsgange zu bleiben. Heute war
es noch nicht zu verlangen, wo die meisten Juristen und Laien vor dem Bild
der wahren Gerichtsverfassung noch geschaudert Hütten.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/76>, abgerufen am 23.07.2024.