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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Einsicht in diese Mängel bei den an der Gesetzgebungsarbeit thätigen Kräften
vorhanden gewesen, zeigt der Commissionsbericht über die Strafprozeßordnung,
verfaßt von dem sächsischen Generalstaatsanwalt Dr. v. Schwarze, der in allen
Fachkreisen als ein Meisterwerk anerkannt wird. Abgesehen von den Mängeln
der Grundgestalt, die unüberwindlich waren, zeigt die Strafprozeßordnung in
den Einzelheiten eine Umsicht, die von der reichsten und sorgfältigsten Erfah¬
rung der Redactoren Zeugniß ablegt. --

Dies also ist es, was uns bescheert worden. Und worüber erschallen die
Klagen? Der Reichskanzler hatte am 12. December an den Präsidenten des
Reichstags ein Schreiben gerichtet mit Bezeichnung der Punkte, welche nach
zweiter Lesung der Justizgesetze dem Bundesrath unannehmbar geblieben waren.
Ueber diese Punkte fand nun vertrauliche Verhandlung mit der Reichsregie¬
rung statt, geführt durch drei angesehene Mitglieder der national-liberalen
Partei. Dieselben brachten eine Vereinigung mit der Reichsregierung zu
Stande und brachten die punktirten Vereinbarungen als Anträge bei der
dritten Lesung ein. Und diese Anträge haben die Annahme der Mehrheit
des Reichstags gefunden. Und was ist in diesen Punkten preisgegeben
worden?

Man hatt der Presse das Privilegium der Sitz-Redacteure verweigert. So¬
eben wurde in Berlin ein scandalöser Prozeß verhandelt gegen einen Sitz-
Redakteur, den man gering bestrafte, weil er offenbar nicht der Urheber der
verbrecherischen Schmähartikel war, für die er nnter Anklage stand. -- Man hat
ferner den Preßvergehen, nicht den Preßverbrechen, die Zuständigkeit der Ge¬
schwornen verweigert. Die Geschwornen würden aber auf diesem Gebiet, das
wird ihr größter Freund nicht in Abrede zu stellen vermögen, eine große Un-
gleichmäßigkeit und große Unsicherheit der Rechtsprechung bewirkt haben. Ob
das eine Wohlthat gerade für die Presse gewesen wäre, kann man doch minde¬
stens bezweifeln.

Man hat ferner die Versetzbarkeit der Staatsbeamten vor den ordentlichen
Gerichten an eine Vorentscheidung durch den obersten Verwaltungsgerichtshof,
wo ein solcher besteht, sonst durch das Reichsgericht, in Betreff der Frage ge¬
bunden, ob eine Verletzung der Amtspflicht vorliegt. Ohne eine solche Vor¬
entscheidung könnte jeder beliebige Parteigänger den Reichskanzler und alle
Beamten tagtäglich mit Civil- und Criminalklagen behelligen. Hiergegen wird
durch die getroffene Bestimmung allerdings Schutz gewährt, andrerseits aber
muß die Verfolgung wegen Verletzung der Amtspflicht, wenn eine beschädigte
Privatperson darum Klage erhebt, durch das ordentliche Gericht erfolgen, sie
kann nicht mehr auf den Disciplinarweg gewiesen werden. --


Einsicht in diese Mängel bei den an der Gesetzgebungsarbeit thätigen Kräften
vorhanden gewesen, zeigt der Commissionsbericht über die Strafprozeßordnung,
verfaßt von dem sächsischen Generalstaatsanwalt Dr. v. Schwarze, der in allen
Fachkreisen als ein Meisterwerk anerkannt wird. Abgesehen von den Mängeln
der Grundgestalt, die unüberwindlich waren, zeigt die Strafprozeßordnung in
den Einzelheiten eine Umsicht, die von der reichsten und sorgfältigsten Erfah¬
rung der Redactoren Zeugniß ablegt. —

Dies also ist es, was uns bescheert worden. Und worüber erschallen die
Klagen? Der Reichskanzler hatte am 12. December an den Präsidenten des
Reichstags ein Schreiben gerichtet mit Bezeichnung der Punkte, welche nach
zweiter Lesung der Justizgesetze dem Bundesrath unannehmbar geblieben waren.
Ueber diese Punkte fand nun vertrauliche Verhandlung mit der Reichsregie¬
rung statt, geführt durch drei angesehene Mitglieder der national-liberalen
Partei. Dieselben brachten eine Vereinigung mit der Reichsregierung zu
Stande und brachten die punktirten Vereinbarungen als Anträge bei der
dritten Lesung ein. Und diese Anträge haben die Annahme der Mehrheit
des Reichstags gefunden. Und was ist in diesen Punkten preisgegeben
worden?

Man hatt der Presse das Privilegium der Sitz-Redacteure verweigert. So¬
eben wurde in Berlin ein scandalöser Prozeß verhandelt gegen einen Sitz-
Redakteur, den man gering bestrafte, weil er offenbar nicht der Urheber der
verbrecherischen Schmähartikel war, für die er nnter Anklage stand. — Man hat
ferner den Preßvergehen, nicht den Preßverbrechen, die Zuständigkeit der Ge¬
schwornen verweigert. Die Geschwornen würden aber auf diesem Gebiet, das
wird ihr größter Freund nicht in Abrede zu stellen vermögen, eine große Un-
gleichmäßigkeit und große Unsicherheit der Rechtsprechung bewirkt haben. Ob
das eine Wohlthat gerade für die Presse gewesen wäre, kann man doch minde¬
stens bezweifeln.

Man hat ferner die Versetzbarkeit der Staatsbeamten vor den ordentlichen
Gerichten an eine Vorentscheidung durch den obersten Verwaltungsgerichtshof,
wo ein solcher besteht, sonst durch das Reichsgericht, in Betreff der Frage ge¬
bunden, ob eine Verletzung der Amtspflicht vorliegt. Ohne eine solche Vor¬
entscheidung könnte jeder beliebige Parteigänger den Reichskanzler und alle
Beamten tagtäglich mit Civil- und Criminalklagen behelligen. Hiergegen wird
durch die getroffene Bestimmung allerdings Schutz gewährt, andrerseits aber
muß die Verfolgung wegen Verletzung der Amtspflicht, wenn eine beschädigte
Privatperson darum Klage erhebt, durch das ordentliche Gericht erfolgen, sie
kann nicht mehr auf den Disciplinarweg gewiesen werden. —


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/75>, abgerufen am 23.07.2024.