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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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gnade. Auch Putat-del wurde bald darauf in der kleinen Befestigung Utsch-
kurgau gefangen genommen.

Nassr-Eddin kehrte als Chan nach Kokan zurück. Ein ganz schwacher
Charakter war er aber bald wieder in den Händen der russenfeiudlichen Parthei.
Ja, er gab sogar dieser das schriftliche Versprechen, so bald wie möglich den
Krieg wieder zu beginnen. Darauf hiu wurde am 8. Februar die Stadt Ko¬
kan besetzt und am 19. Februar erging der Befehl: das neu eroberte Terri¬
torium, das bisherige Chanat Kokan, dem russischen Reiche als das Gebiet
"Fergana" einzuverleiben. In administrativer Hinsicht wurde es nach einem
Allerhöchsten Befehle vom 5. März dem General-Gouverneur von Turkestan
definitiv unterstellt.

Hatte das General-Gouvernement Turkestan bis dahin ein Areal von 19,210
>I> Meilen erreicht, so sind jetzt nach der Aneetirung des Fergana-Oblastj's dem¬
selben wieder über 1300 lH Meilen zugefügt. Ein Gebiet, das wohl 3 mal
fo groß wie unser Königreich Preußen ist, -- das Resultat jener kriegerischen
Arbeit, welche hier zu skizziren versucht wurde.

Was liegt näher als die Frage nach dem Grunde dieser mächtigen Ge¬
bietserweiterung? Bringen diese 20000 in Meilen Rußland vielleicht einen
Nutzen, der mit den auf die Erwerbung verwandten Kosten an Menschen, Geld
und Material nur einigermaaßen im Verhältniß steht? Gewiß nicht. Denn
wenn auch das Russische Turkestan nicht wenig Keime einer größeren Ent¬
wickelung in sich trägt, hindern doch seine ethnographischen Verhältnisse -- das
so große Uebergewicht der Nomaden über die seßhafte Bevölkerung -- deren
wahre Entfaltung gewiß noch Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. Bei einer
Betrachtung des Budgets der turkestanischen Verwaltung kommen wir sogar
zu der Ueberzeugung, daß das neue Gebiet nicht nur nichts einbringt, sondern
im Gegentheil immer neue Opfer des Staates verlangt. In den 5 Jahren
von 1868--1872 beliefen sich die Einnahmen z. B. auf 10,115,428 R., die
Ausgaben dagegen auf 28,967,300 R. Es war also ein Deficit vou 18,851,872 R.
vorhanden. Und damals hatte uoch keine Expedition gegen Chiwa Millionen
verschlungen.




Oesterreich und die türkische Krisis.

Oesterreich und die Oricutfrcige. Wien, Pest, Leipzig, Hartlebcns Verlag, 1876.

"
Das Streben der Großmacht Oesterreich-Ungarn hat sich der gegenwärtigen
Lage der Dinge in der Türkei gegenüber darauf zu richten, daß dem plötz-
'


Grenzboten I. 1877. 8

gnade. Auch Putat-del wurde bald darauf in der kleinen Befestigung Utsch-
kurgau gefangen genommen.

Nassr-Eddin kehrte als Chan nach Kokan zurück. Ein ganz schwacher
Charakter war er aber bald wieder in den Händen der russenfeiudlichen Parthei.
Ja, er gab sogar dieser das schriftliche Versprechen, so bald wie möglich den
Krieg wieder zu beginnen. Darauf hiu wurde am 8. Februar die Stadt Ko¬
kan besetzt und am 19. Februar erging der Befehl: das neu eroberte Terri¬
torium, das bisherige Chanat Kokan, dem russischen Reiche als das Gebiet
„Fergana" einzuverleiben. In administrativer Hinsicht wurde es nach einem
Allerhöchsten Befehle vom 5. März dem General-Gouverneur von Turkestan
definitiv unterstellt.

Hatte das General-Gouvernement Turkestan bis dahin ein Areal von 19,210
>I> Meilen erreicht, so sind jetzt nach der Aneetirung des Fergana-Oblastj's dem¬
selben wieder über 1300 lH Meilen zugefügt. Ein Gebiet, das wohl 3 mal
fo groß wie unser Königreich Preußen ist, — das Resultat jener kriegerischen
Arbeit, welche hier zu skizziren versucht wurde.

Was liegt näher als die Frage nach dem Grunde dieser mächtigen Ge¬
bietserweiterung? Bringen diese 20000 in Meilen Rußland vielleicht einen
Nutzen, der mit den auf die Erwerbung verwandten Kosten an Menschen, Geld
und Material nur einigermaaßen im Verhältniß steht? Gewiß nicht. Denn
wenn auch das Russische Turkestan nicht wenig Keime einer größeren Ent¬
wickelung in sich trägt, hindern doch seine ethnographischen Verhältnisse — das
so große Uebergewicht der Nomaden über die seßhafte Bevölkerung — deren
wahre Entfaltung gewiß noch Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. Bei einer
Betrachtung des Budgets der turkestanischen Verwaltung kommen wir sogar
zu der Ueberzeugung, daß das neue Gebiet nicht nur nichts einbringt, sondern
im Gegentheil immer neue Opfer des Staates verlangt. In den 5 Jahren
von 1868—1872 beliefen sich die Einnahmen z. B. auf 10,115,428 R., die
Ausgaben dagegen auf 28,967,300 R. Es war also ein Deficit vou 18,851,872 R.
vorhanden. Und damals hatte uoch keine Expedition gegen Chiwa Millionen
verschlungen.




Oesterreich und die türkische Krisis.

Oesterreich und die Oricutfrcige. Wien, Pest, Leipzig, Hartlebcns Verlag, 1876.

»
Das Streben der Großmacht Oesterreich-Ungarn hat sich der gegenwärtigen
Lage der Dinge in der Türkei gegenüber darauf zu richten, daß dem plötz-
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Grenzboten I. 1877. 8
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[0065] gnade. Auch Putat-del wurde bald darauf in der kleinen Befestigung Utsch- kurgau gefangen genommen. Nassr-Eddin kehrte als Chan nach Kokan zurück. Ein ganz schwacher Charakter war er aber bald wieder in den Händen der russenfeiudlichen Parthei. Ja, er gab sogar dieser das schriftliche Versprechen, so bald wie möglich den Krieg wieder zu beginnen. Darauf hiu wurde am 8. Februar die Stadt Ko¬ kan besetzt und am 19. Februar erging der Befehl: das neu eroberte Terri¬ torium, das bisherige Chanat Kokan, dem russischen Reiche als das Gebiet „Fergana" einzuverleiben. In administrativer Hinsicht wurde es nach einem Allerhöchsten Befehle vom 5. März dem General-Gouverneur von Turkestan definitiv unterstellt. Hatte das General-Gouvernement Turkestan bis dahin ein Areal von 19,210 >I> Meilen erreicht, so sind jetzt nach der Aneetirung des Fergana-Oblastj's dem¬ selben wieder über 1300 lH Meilen zugefügt. Ein Gebiet, das wohl 3 mal fo groß wie unser Königreich Preußen ist, — das Resultat jener kriegerischen Arbeit, welche hier zu skizziren versucht wurde. Was liegt näher als die Frage nach dem Grunde dieser mächtigen Ge¬ bietserweiterung? Bringen diese 20000 in Meilen Rußland vielleicht einen Nutzen, der mit den auf die Erwerbung verwandten Kosten an Menschen, Geld und Material nur einigermaaßen im Verhältniß steht? Gewiß nicht. Denn wenn auch das Russische Turkestan nicht wenig Keime einer größeren Ent¬ wickelung in sich trägt, hindern doch seine ethnographischen Verhältnisse — das so große Uebergewicht der Nomaden über die seßhafte Bevölkerung — deren wahre Entfaltung gewiß noch Jahrzehnte, wenn nicht Jahrhunderte. Bei einer Betrachtung des Budgets der turkestanischen Verwaltung kommen wir sogar zu der Ueberzeugung, daß das neue Gebiet nicht nur nichts einbringt, sondern im Gegentheil immer neue Opfer des Staates verlangt. In den 5 Jahren von 1868—1872 beliefen sich die Einnahmen z. B. auf 10,115,428 R., die Ausgaben dagegen auf 28,967,300 R. Es war also ein Deficit vou 18,851,872 R. vorhanden. Und damals hatte uoch keine Expedition gegen Chiwa Millionen verschlungen. Oesterreich und die türkische Krisis. Oesterreich und die Oricutfrcige. Wien, Pest, Leipzig, Hartlebcns Verlag, 1876. » Das Streben der Großmacht Oesterreich-Ungarn hat sich der gegenwärtigen Lage der Dinge in der Türkei gegenüber darauf zu richten, daß dem plötz- ' Grenzboten I. 1877. 8

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/65>, abgerufen am 03.07.2024.