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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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von Buffalo zutelegraphirt wurde, telegraphirte er zurück, er habe Plötzlich den
Beruf empfunden, die Kindermuhme zu spielen, und dies besage ihm viel besser
als das Berichterstatter. Von diesem selben Kinde erzählen seine Freunde
folgendes Geschichtchen: Man fand Mark eines Tages in seiner Studirstube, wie
er allem Anschein nach voll väterlicher Zärtlichkeit den jungen Twain -- der
"noch so jung war, daß er noch nicht aufrecht gehen und Geschäfte machen
konnte" -- auf den Knieen schaukelte. Frau Twain, die den Bestich in sein
Allerheiligstes führte und den Gemahl in dieser Weise beschäftigt sah, fragte:
"Nun Mark, uicht wahr, Du hast das Kindchen recht lieb?" -- "Na", er¬
widerte Mark in langsamem, stockendem Tone, "ich kann's eigentlich -- nicht so
recht sagen -- daß -- ich -- es lieb hätte; aber -- ich -- achte es."

Während der Saison kommen die "Lecturer" einander oft ins Gehege.
Bei einer Gelegenheit traf Mark mit dem "dicken Mitarbeiter" LontiiKuwr)
zusammen, einem wohlbeleibten Herrn, der in Newyork ein Witzblatt heraus¬
gibt und Vorträge hält, die er humoristisch nennt. Der "dicke Mitarbeiter"
wohnte diesen Abend dem Vortrage Twains bei, und am Morgen zogen beide,
nachdem sie einige Artigkeiten ausgetauscht, ihre Straße. An einem der nächsten
Abende glaubte Mark zu bemerken, daß sein Vortrag mit geringerem Interesse
verfolgt werde als sonst, und nachdem er denselben noch an einigen Orten
wiederholt, wurde sein Verdacht bestätigt, ja es kam ihm vor, als entdecke er
aus den Gesichtern seiner Zuhörer ein gewisses Erstaunen statt des Gelächters,
mit dem er bisher begrüßt worden war. Er wunderte sich ganz außerordent¬
lich über diese Veränderung. Was konnte mir die Ursache sein? War ihm
sein Humor ausgegangen? Wußten die Leute Humor nicht mehr zu schützen?
Verstand er dem, was er als Scherz empfand, nicht mehr die Form zu geben,
in der es auch auf Andere komisch wirkte? Hatte er seinen Verstand verloren?
Er wußte sich auf diese Fragen keine Antwort zu gebe", und so entschloß er
sich, deu Vorstand der Gesellschaft, in deren Lokal er gesprochen, offen um
Auskunft anzugehen. "Sagen Sie mir doch nur einmal", fragte er, "warum
wirken meine Witze, mein Humor, auf die guten Leute hiesigen Orts nicht
wie anderwärts?" -- "Je nnn, sehen Sie", erwiderte der Mann, "da hatten
wir gestern Abend den dicken Mann hier, und Sie können von unsern Leuten
doch kaum erwarten, daß sie zwei Abende hinter einander über dieselben Spaße
lachen." Die Sache war die, daß der fette Schlingel die wirksamsten Scherze
Marks sorgfältig ausgeschrieben, sich den Weg, den dieser zu nehmen beabsich¬
tigt, in den Ankündigungen angesehen und sich mit seiner Rundreise so einge¬
richtet hatte, daß er seinem Rivalen stets einen Tag voraus war und seine
Aufzeichnungen ungehindert verwerthen konnte.


von Buffalo zutelegraphirt wurde, telegraphirte er zurück, er habe Plötzlich den
Beruf empfunden, die Kindermuhme zu spielen, und dies besage ihm viel besser
als das Berichterstatter. Von diesem selben Kinde erzählen seine Freunde
folgendes Geschichtchen: Man fand Mark eines Tages in seiner Studirstube, wie
er allem Anschein nach voll väterlicher Zärtlichkeit den jungen Twain — der
„noch so jung war, daß er noch nicht aufrecht gehen und Geschäfte machen
konnte" — auf den Knieen schaukelte. Frau Twain, die den Bestich in sein
Allerheiligstes führte und den Gemahl in dieser Weise beschäftigt sah, fragte:
„Nun Mark, uicht wahr, Du hast das Kindchen recht lieb?" — „Na", er¬
widerte Mark in langsamem, stockendem Tone, „ich kann's eigentlich — nicht so
recht sagen — daß — ich — es lieb hätte; aber — ich — achte es."

Während der Saison kommen die „Lecturer" einander oft ins Gehege.
Bei einer Gelegenheit traf Mark mit dem „dicken Mitarbeiter" LontiiKuwr)
zusammen, einem wohlbeleibten Herrn, der in Newyork ein Witzblatt heraus¬
gibt und Vorträge hält, die er humoristisch nennt. Der „dicke Mitarbeiter"
wohnte diesen Abend dem Vortrage Twains bei, und am Morgen zogen beide,
nachdem sie einige Artigkeiten ausgetauscht, ihre Straße. An einem der nächsten
Abende glaubte Mark zu bemerken, daß sein Vortrag mit geringerem Interesse
verfolgt werde als sonst, und nachdem er denselben noch an einigen Orten
wiederholt, wurde sein Verdacht bestätigt, ja es kam ihm vor, als entdecke er
aus den Gesichtern seiner Zuhörer ein gewisses Erstaunen statt des Gelächters,
mit dem er bisher begrüßt worden war. Er wunderte sich ganz außerordent¬
lich über diese Veränderung. Was konnte mir die Ursache sein? War ihm
sein Humor ausgegangen? Wußten die Leute Humor nicht mehr zu schützen?
Verstand er dem, was er als Scherz empfand, nicht mehr die Form zu geben,
in der es auch auf Andere komisch wirkte? Hatte er seinen Verstand verloren?
Er wußte sich auf diese Fragen keine Antwort zu gebe», und so entschloß er
sich, deu Vorstand der Gesellschaft, in deren Lokal er gesprochen, offen um
Auskunft anzugehen. „Sagen Sie mir doch nur einmal", fragte er, „warum
wirken meine Witze, mein Humor, auf die guten Leute hiesigen Orts nicht
wie anderwärts?" — „Je nnn, sehen Sie", erwiderte der Mann, „da hatten
wir gestern Abend den dicken Mann hier, und Sie können von unsern Leuten
doch kaum erwarten, daß sie zwei Abende hinter einander über dieselben Spaße
lachen." Die Sache war die, daß der fette Schlingel die wirksamsten Scherze
Marks sorgfältig ausgeschrieben, sich den Weg, den dieser zu nehmen beabsich¬
tigt, in den Ankündigungen angesehen und sich mit seiner Rundreise so einge¬
richtet hatte, daß er seinem Rivalen stets einen Tag voraus war und seine
Aufzeichnungen ungehindert verwerthen konnte.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/514>, abgerufen am 23.07.2024.