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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Silbergrnbe, die ihn nach Newyork abholen sollten. Da brach das Unglück
doppelt über ihn herein. Die Papiere, die er noch besaß, fingen plötzlich an,
im Werthe zu sinken, er zögerte mit dem Verkauf, und ehe er sich's versah,
waren sie so tief gefallen, daß er nach Bezahlung seiner Schulden nur noch,
etwa funfzig Dollars sein nennen konnte und, um nicht zu verhungern, wieder
Reporter werden mußte. Als solcher kam er einmal zwei Tage nicht ans seine
Redaktion, und so geschah es, daß die Verkäufer des Silberbergwerks ihn, als
sie kamen, um ihn abzuholen, nicht antrafen und ohne ihn abreisten. Er ver¬
sank darauf in so trübe Stimmung, daß er nicht einmal recht mehr zum Be¬
richterstatter taugte und ersucht wurde, zurückzutreten, worauf er in die tiefste
Noth gerieth. Er schrieb jetzt allerlei Kleinigkeiten für das Blatt "The golden
Era", dann für den "Califvrnian", den Bret Harte redigirte; aber dieses
Unternehmen hatte keinen Erfolg, und nachdem Mark Twain sich einige Wochen
fast ohne Geld in der traurigsten Lage befunden, zog er mit einem alten Berg¬
mann in die Region der Goldgruben, um dort sein Glück zu suchen. Er fand
es auch hier nicht, und nach einigen Monaten, in denen er u. A. anch in
Calaveras County, dem Schauplatz der "Argvnautengeschichten" Bret Hartes,
eine Zeit lang gelebt, kehrte er nach San Francisco zurück. Er war jetzt
nicht mehr so niedergeschlagen als vor diesen: Ausfluge; denn er hatte sich in¬
zwischen an die Armuth gewöhnt. Aber er hatte alle Energie und zugleich seinen
Humor verloren, er war "faul geworden" und lebte einige Wochen lediglich
vom Schuldenmachen.

Da lächelte ihm das Glück noch einmal. Sein alter Freund, der Her¬
ausgeber der "Enterprise" in Virginia City, übertrug ihm die Korrespondenz
ans San Francisco für sein Blatt, und als er mit dem Honorar seine Schulden
bezahlt, nahm er das Anerbieten der "Sacramento Union" an, für diese
Zeitung nach den Sandwichsinseln zu reisen und über dieselben zu berichten,
namentlich aber in Betreff der Zuckeriuteressen Beobachtungen anzustellen und
Mittheilungen zu machen. Er erfüllte diesen Auftrag, durchstreifte jene Inseln
nach den verschiedensten Richtungen, lieferte vortreffliche Berichte über die
dortigen Zustände und Verhältnisse, in denen sein alter Humor wieder glänzte,
war aber, als er nach etlichen Monaten von da nach Californien zurückkam,
so arm wie zuvor. Da fiel ihm ein, es mit Vorlesungen über seine letzten
Erlebnisse zu versuchen. Er war damals noch wenig bekannt im Goldlande,
auch hatte er niemals Vorträge gehalten, und so war er schou im Begriffe,
den Plau aufzugeben, als ein befreundeter Redakteur ihm zeigte, wie er's an¬
zufangen habe. Sem Rath erwies sich als praktisch, Mark Twain hatte ein
volles Haus, nach Schluß der Vorlesungen eine wohlgefüllte Kasse, und am
andern Tage sah er sich in allen Zeitungen der Stadt gerühmt.


Silbergrnbe, die ihn nach Newyork abholen sollten. Da brach das Unglück
doppelt über ihn herein. Die Papiere, die er noch besaß, fingen plötzlich an,
im Werthe zu sinken, er zögerte mit dem Verkauf, und ehe er sich's versah,
waren sie so tief gefallen, daß er nach Bezahlung seiner Schulden nur noch,
etwa funfzig Dollars sein nennen konnte und, um nicht zu verhungern, wieder
Reporter werden mußte. Als solcher kam er einmal zwei Tage nicht ans seine
Redaktion, und so geschah es, daß die Verkäufer des Silberbergwerks ihn, als
sie kamen, um ihn abzuholen, nicht antrafen und ohne ihn abreisten. Er ver¬
sank darauf in so trübe Stimmung, daß er nicht einmal recht mehr zum Be¬
richterstatter taugte und ersucht wurde, zurückzutreten, worauf er in die tiefste
Noth gerieth. Er schrieb jetzt allerlei Kleinigkeiten für das Blatt „The golden
Era", dann für den „Califvrnian", den Bret Harte redigirte; aber dieses
Unternehmen hatte keinen Erfolg, und nachdem Mark Twain sich einige Wochen
fast ohne Geld in der traurigsten Lage befunden, zog er mit einem alten Berg¬
mann in die Region der Goldgruben, um dort sein Glück zu suchen. Er fand
es auch hier nicht, und nach einigen Monaten, in denen er u. A. anch in
Calaveras County, dem Schauplatz der „Argvnautengeschichten" Bret Hartes,
eine Zeit lang gelebt, kehrte er nach San Francisco zurück. Er war jetzt
nicht mehr so niedergeschlagen als vor diesen: Ausfluge; denn er hatte sich in¬
zwischen an die Armuth gewöhnt. Aber er hatte alle Energie und zugleich seinen
Humor verloren, er war „faul geworden" und lebte einige Wochen lediglich
vom Schuldenmachen.

Da lächelte ihm das Glück noch einmal. Sein alter Freund, der Her¬
ausgeber der „Enterprise" in Virginia City, übertrug ihm die Korrespondenz
ans San Francisco für sein Blatt, und als er mit dem Honorar seine Schulden
bezahlt, nahm er das Anerbieten der „Sacramento Union" an, für diese
Zeitung nach den Sandwichsinseln zu reisen und über dieselben zu berichten,
namentlich aber in Betreff der Zuckeriuteressen Beobachtungen anzustellen und
Mittheilungen zu machen. Er erfüllte diesen Auftrag, durchstreifte jene Inseln
nach den verschiedensten Richtungen, lieferte vortreffliche Berichte über die
dortigen Zustände und Verhältnisse, in denen sein alter Humor wieder glänzte,
war aber, als er nach etlichen Monaten von da nach Californien zurückkam,
so arm wie zuvor. Da fiel ihm ein, es mit Vorlesungen über seine letzten
Erlebnisse zu versuchen. Er war damals noch wenig bekannt im Goldlande,
auch hatte er niemals Vorträge gehalten, und so war er schou im Begriffe,
den Plau aufzugeben, als ein befreundeter Redakteur ihm zeigte, wie er's an¬
zufangen habe. Sem Rath erwies sich als praktisch, Mark Twain hatte ein
volles Haus, nach Schluß der Vorlesungen eine wohlgefüllte Kasse, und am
andern Tage sah er sich in allen Zeitungen der Stadt gerühmt.


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[0508] Silbergrnbe, die ihn nach Newyork abholen sollten. Da brach das Unglück doppelt über ihn herein. Die Papiere, die er noch besaß, fingen plötzlich an, im Werthe zu sinken, er zögerte mit dem Verkauf, und ehe er sich's versah, waren sie so tief gefallen, daß er nach Bezahlung seiner Schulden nur noch, etwa funfzig Dollars sein nennen konnte und, um nicht zu verhungern, wieder Reporter werden mußte. Als solcher kam er einmal zwei Tage nicht ans seine Redaktion, und so geschah es, daß die Verkäufer des Silberbergwerks ihn, als sie kamen, um ihn abzuholen, nicht antrafen und ohne ihn abreisten. Er ver¬ sank darauf in so trübe Stimmung, daß er nicht einmal recht mehr zum Be¬ richterstatter taugte und ersucht wurde, zurückzutreten, worauf er in die tiefste Noth gerieth. Er schrieb jetzt allerlei Kleinigkeiten für das Blatt „The golden Era", dann für den „Califvrnian", den Bret Harte redigirte; aber dieses Unternehmen hatte keinen Erfolg, und nachdem Mark Twain sich einige Wochen fast ohne Geld in der traurigsten Lage befunden, zog er mit einem alten Berg¬ mann in die Region der Goldgruben, um dort sein Glück zu suchen. Er fand es auch hier nicht, und nach einigen Monaten, in denen er u. A. anch in Calaveras County, dem Schauplatz der „Argvnautengeschichten" Bret Hartes, eine Zeit lang gelebt, kehrte er nach San Francisco zurück. Er war jetzt nicht mehr so niedergeschlagen als vor diesen: Ausfluge; denn er hatte sich in¬ zwischen an die Armuth gewöhnt. Aber er hatte alle Energie und zugleich seinen Humor verloren, er war „faul geworden" und lebte einige Wochen lediglich vom Schuldenmachen. Da lächelte ihm das Glück noch einmal. Sein alter Freund, der Her¬ ausgeber der „Enterprise" in Virginia City, übertrug ihm die Korrespondenz ans San Francisco für sein Blatt, und als er mit dem Honorar seine Schulden bezahlt, nahm er das Anerbieten der „Sacramento Union" an, für diese Zeitung nach den Sandwichsinseln zu reisen und über dieselben zu berichten, namentlich aber in Betreff der Zuckeriuteressen Beobachtungen anzustellen und Mittheilungen zu machen. Er erfüllte diesen Auftrag, durchstreifte jene Inseln nach den verschiedensten Richtungen, lieferte vortreffliche Berichte über die dortigen Zustände und Verhältnisse, in denen sein alter Humor wieder glänzte, war aber, als er nach etlichen Monaten von da nach Californien zurückkam, so arm wie zuvor. Da fiel ihm ein, es mit Vorlesungen über seine letzten Erlebnisse zu versuchen. Er war damals noch wenig bekannt im Goldlande, auch hatte er niemals Vorträge gehalten, und so war er schou im Begriffe, den Plau aufzugeben, als ein befreundeter Redakteur ihm zeigte, wie er's an¬ zufangen habe. Sem Rath erwies sich als praktisch, Mark Twain hatte ein volles Haus, nach Schluß der Vorlesungen eine wohlgefüllte Kasse, und am andern Tage sah er sich in allen Zeitungen der Stadt gerühmt.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/508>, abgerufen am 23.07.2024.