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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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muthlich drollige Abenteuer von der Art begegneten, wie er sie im "Skizzen-
buche" unter den Rubriken: "Zeitungsschreiber in Tennessee" und "Wie ich
ein landwirtschaftliches Blatt redigirte" beschrieben hat; denn der Winkel¬
haken und die journalistische Thätigkeit sind in Amerika weit näher mit ein¬
ander verwandt als bei uns, und es ist bei kleinen Blättern eher die Regel
als eine Ausnahme, daß der Redakteur seine Zeitung nicht blos schreibt,
sondern auch setzt oder doch scheu hilft.

Mit der Zeit indeß fand Clemens mehr Geschmack an der freien Luft
als am Dunst des Setzersaales, und die Folge war, daß er unter die Missis-
sivpilovtsen zu gehen beschloß, zu welchem Zwecke er sich an Bord des alten
Dampfers John I. Noe, der zwischen Se. Louis und Neworleans fuhr, die
erforderliche Kenntniß des Flusses erwarb. Daneben vernachlässigte der neue
Pilot aber auch die Literatur nicht. Im Gegentheil, er wurde eine Art all¬
gemeiner Berichterstatter für den Strom, indem er Dampfboot-Tagebücher und
gelegentlich Schwänke und Anekdoten für den "Se. Louis Repnbliean", das
vornehmste Journal in Missouri, schrieb. Das erste Opfer des Humors unseres
Autors war ein Oberst Tellers, ein geschickter Lootse, der, obwohl ohne alle
Bildung, eine sehr hohe Meinung von seinen geistigen Fähigkeiten hatte. Nach¬
dem Clemens den Artikel, welcher die komischen Seiten des Obersten mit großem
Geschick hervorhob, vollendet hatte, fragte er einen Bekannten, mit welchem
Namen er ihn unterzeichnen solle, als plötzlich einer von den Leuten des
Dampfers, der eben lothete, "NarK ?w.-un" rief, womit er die Tiefe des Wassers
angab, welches man in dem Augenblick passirte. "Richtig, das soll's sein,
Mark Twain will ich heißen", sagte Clemens. Garret, der damalige Redakteur
des "Nepubliean", nahm den mit diesem Namen unterzeichneten Aussatz in
sein Blatt auf, derselbe fand allgemeinen Beifall und wurde vielfach nach-
gedruckt.

Unser Humorist betrieb das Lootseugewerbe und nebenher etwas Zeitnngs-
schriststellerei sieben Jahre lang und gab es nur ans, um mit seinem älteren
Bruder, Orion Clemens, der von der Negierung zum Sekretär des Territoriums
Nevada ernannt worden, nach dein fernen Westen auszuwandern. Die Leser
der "Amerikanischen Humoristen" kennen die lebensvollen und zum Theil Hoch¬
komischeu Schilderungen, die er von seinen Beobachtungen und Erlebnissen
während der Reise nach jenem damals noch halb wilden Silberlande und
während seines Aufenthaltes unter dessen Bewohnern geliefert hat. Andern
Freunden dieses Blattes empfehlen wir sie als zu dem Besten gehörig, was
aus seiner Feder hervorgegangen ist. Er war erst Gehülfe seines Bruders,
in welcher Eigenschaft er nichts zu thun hatte und keinen Gehalt bezog, schweifte
dann in den Bergen und an den schönen Seen des Laudes herum, wurde


Gu'i^lwK'n I. 1877. 63

muthlich drollige Abenteuer von der Art begegneten, wie er sie im „Skizzen-
buche" unter den Rubriken: „Zeitungsschreiber in Tennessee" und „Wie ich
ein landwirtschaftliches Blatt redigirte" beschrieben hat; denn der Winkel¬
haken und die journalistische Thätigkeit sind in Amerika weit näher mit ein¬
ander verwandt als bei uns, und es ist bei kleinen Blättern eher die Regel
als eine Ausnahme, daß der Redakteur seine Zeitung nicht blos schreibt,
sondern auch setzt oder doch scheu hilft.

Mit der Zeit indeß fand Clemens mehr Geschmack an der freien Luft
als am Dunst des Setzersaales, und die Folge war, daß er unter die Missis-
sivpilovtsen zu gehen beschloß, zu welchem Zwecke er sich an Bord des alten
Dampfers John I. Noe, der zwischen Se. Louis und Neworleans fuhr, die
erforderliche Kenntniß des Flusses erwarb. Daneben vernachlässigte der neue
Pilot aber auch die Literatur nicht. Im Gegentheil, er wurde eine Art all¬
gemeiner Berichterstatter für den Strom, indem er Dampfboot-Tagebücher und
gelegentlich Schwänke und Anekdoten für den „Se. Louis Repnbliean", das
vornehmste Journal in Missouri, schrieb. Das erste Opfer des Humors unseres
Autors war ein Oberst Tellers, ein geschickter Lootse, der, obwohl ohne alle
Bildung, eine sehr hohe Meinung von seinen geistigen Fähigkeiten hatte. Nach¬
dem Clemens den Artikel, welcher die komischen Seiten des Obersten mit großem
Geschick hervorhob, vollendet hatte, fragte er einen Bekannten, mit welchem
Namen er ihn unterzeichnen solle, als plötzlich einer von den Leuten des
Dampfers, der eben lothete, „NarK ?w.-un" rief, womit er die Tiefe des Wassers
angab, welches man in dem Augenblick passirte. „Richtig, das soll's sein,
Mark Twain will ich heißen", sagte Clemens. Garret, der damalige Redakteur
des „Nepubliean", nahm den mit diesem Namen unterzeichneten Aussatz in
sein Blatt auf, derselbe fand allgemeinen Beifall und wurde vielfach nach-
gedruckt.

Unser Humorist betrieb das Lootseugewerbe und nebenher etwas Zeitnngs-
schriststellerei sieben Jahre lang und gab es nur ans, um mit seinem älteren
Bruder, Orion Clemens, der von der Negierung zum Sekretär des Territoriums
Nevada ernannt worden, nach dein fernen Westen auszuwandern. Die Leser
der „Amerikanischen Humoristen" kennen die lebensvollen und zum Theil Hoch¬
komischeu Schilderungen, die er von seinen Beobachtungen und Erlebnissen
während der Reise nach jenem damals noch halb wilden Silberlande und
während seines Aufenthaltes unter dessen Bewohnern geliefert hat. Andern
Freunden dieses Blattes empfehlen wir sie als zu dem Besten gehörig, was
aus seiner Feder hervorgegangen ist. Er war erst Gehülfe seines Bruders,
in welcher Eigenschaft er nichts zu thun hatte und keinen Gehalt bezog, schweifte
dann in den Bergen und an den schönen Seen des Laudes herum, wurde


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/505>, abgerufen am 23.07.2024.