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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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auf dem Pcipier abgespielt, um die Zeitgenossen Galileis einzuschüchtern, in das
Gebiet der wohlwollenden Hypothesen gehört. Die Akten ergeben vielmehr,
daß der Papst sehr ernstlich befohlen hatte, dem Angeklagten nicht nur wegen
seiner Ansichten, sondern auch wegen seiner Thathandlungen den Prozeß zu
machen und nöthigenfalls die Folter anzuwenden, wenn er sie aushalten
könnte, ohne zu sterben. So sind wohl ohne Zweifel die Worte: "g.e si
kmstinnsrit." zu übersetzen. Die andere Version, welche sagen will- "wenn er
sie aufrecht erhielte" (se. die Ketzereien) schreibt denn doch dem heiligen Vater
ein so gewaltsames Klvsterlatein zu, wie es der elegante und feingebildete Ka¬
valier aus dem Hause Barberiui wohl kaum geschrieben haben kaun.
Das vom 16. Juni datirte Schriftstück bedroht deu Angeklagten ganz so, wie
Tausende anderer um ihrer Ueberzeugung willen und in in^oren voi gloii^in
verbrannter Ketzer und Hexen mit der Tortur und beliebig zu verlängernder
Gefängnißstrafe, wenn er nicht widerriefe.

Am 21. Juni 1633 fand ein letztes Verhör statt, und Galilei ant¬
wortete, als er befragt wurde, ob er jemals behauptet habe und noch behaupte,
daß die Erde um die Sonne laufe, daß er seit dem Jahre 1616 durchaus
nur das ptolemäische Weltsystem für ganz und gar richtig gehalten habe. Da
diese Antwort nnn ganz unverfänglich immer noch nicht erschien, so eröffnete
der Vorsitzende des Gerichts Galilei, wenn er nicht klare und unumwundene
Antwort ertheilte, werde man zur peinlichen Frage schreiten. Der in den
Akten angewendete Ausdruck: sxlunczn iiMrosum läßt hierüber gar keinen
Zweifel zu. -- "Ich bin hier um zu gehorchen", war die Antwort Galileis
-- "aber nicht etwa ans geänderter Ueberzeugung", setzt der aufmerksame
Leser unwillkürlich hinzu.

Zur Folter selbst kam es indessen nicht, man begnügte sich mit dem er¬
haltenen feierlichen Widerruf und dein von Galilei gleichfalls gegebenen Ver¬
sprechen, auf Verlangen die Theilnehmer und Gesinnungsgenossen seiner
Ketzereien zu nennen. Man wollte so auch seinen Anhängern den Mund
schließen. Wenn eine Folterung stattgefunden hätte, so würde deren in den
Akten Erwähnung geschehen sein. Bei einer derartigen Rechtshandlung war
vor allem die Gegenwart des vereideten Gerichtsschreibers nöthig. Derselbe
protokollirte jedes Wort, jeden Schmerzensruf, jeden Seufzer des Gepeinigten,
ja selbst die Anzahl und Art der Todeszuckungen, wenn der verdrießliche Fall
eintrat, daß der Delinquent verstockter Weise starb, ehe die Richter befriedigt
waren. Es müßte also in den Akten hierüber etwas zu finden sein, oder es
müßte sich an dieser Stelle der Prozeßhandlnng eine Lücke befinden; wollte
man schließlich nicht annehmen, daß eine große Aktenfälschnng im Jahre 1633


auf dem Pcipier abgespielt, um die Zeitgenossen Galileis einzuschüchtern, in das
Gebiet der wohlwollenden Hypothesen gehört. Die Akten ergeben vielmehr,
daß der Papst sehr ernstlich befohlen hatte, dem Angeklagten nicht nur wegen
seiner Ansichten, sondern auch wegen seiner Thathandlungen den Prozeß zu
machen und nöthigenfalls die Folter anzuwenden, wenn er sie aushalten
könnte, ohne zu sterben. So sind wohl ohne Zweifel die Worte: „g.e si
kmstinnsrit." zu übersetzen. Die andere Version, welche sagen will- „wenn er
sie aufrecht erhielte" (se. die Ketzereien) schreibt denn doch dem heiligen Vater
ein so gewaltsames Klvsterlatein zu, wie es der elegante und feingebildete Ka¬
valier aus dem Hause Barberiui wohl kaum geschrieben haben kaun.
Das vom 16. Juni datirte Schriftstück bedroht deu Angeklagten ganz so, wie
Tausende anderer um ihrer Ueberzeugung willen und in in^oren voi gloii^in
verbrannter Ketzer und Hexen mit der Tortur und beliebig zu verlängernder
Gefängnißstrafe, wenn er nicht widerriefe.

Am 21. Juni 1633 fand ein letztes Verhör statt, und Galilei ant¬
wortete, als er befragt wurde, ob er jemals behauptet habe und noch behaupte,
daß die Erde um die Sonne laufe, daß er seit dem Jahre 1616 durchaus
nur das ptolemäische Weltsystem für ganz und gar richtig gehalten habe. Da
diese Antwort nnn ganz unverfänglich immer noch nicht erschien, so eröffnete
der Vorsitzende des Gerichts Galilei, wenn er nicht klare und unumwundene
Antwort ertheilte, werde man zur peinlichen Frage schreiten. Der in den
Akten angewendete Ausdruck: sxlunczn iiMrosum läßt hierüber gar keinen
Zweifel zu. — „Ich bin hier um zu gehorchen", war die Antwort Galileis
— „aber nicht etwa ans geänderter Ueberzeugung", setzt der aufmerksame
Leser unwillkürlich hinzu.

Zur Folter selbst kam es indessen nicht, man begnügte sich mit dem er¬
haltenen feierlichen Widerruf und dein von Galilei gleichfalls gegebenen Ver¬
sprechen, auf Verlangen die Theilnehmer und Gesinnungsgenossen seiner
Ketzereien zu nennen. Man wollte so auch seinen Anhängern den Mund
schließen. Wenn eine Folterung stattgefunden hätte, so würde deren in den
Akten Erwähnung geschehen sein. Bei einer derartigen Rechtshandlung war
vor allem die Gegenwart des vereideten Gerichtsschreibers nöthig. Derselbe
protokollirte jedes Wort, jeden Schmerzensruf, jeden Seufzer des Gepeinigten,
ja selbst die Anzahl und Art der Todeszuckungen, wenn der verdrießliche Fall
eintrat, daß der Delinquent verstockter Weise starb, ehe die Richter befriedigt
waren. Es müßte also in den Akten hierüber etwas zu finden sein, oder es
müßte sich an dieser Stelle der Prozeßhandlnng eine Lücke befinden; wollte
man schließlich nicht annehmen, daß eine große Aktenfälschnng im Jahre 1633


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/502>, abgerufen am 03.07.2024.