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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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schaft wurde in stupider Anmaßung ein falsches Urtheil gefällt, und da man
Galilei nicht widerlegen konnte, wurde er moralisch geknebelt. Ganz ausdrücklich
nur das kopernikanische System wurde für dumm und ketzerisch erklärt, weil
es dem Bibeltext entgegen sei. Diese unglückliche Position stellte die römische
.Kurie allen Angriffen blos. So unbedingt folgerichtig und kräftig sie ihr
Herrscheramt unter dem gewölbten Dome christlichen Glaubens verwalten mochte,
auf den scharfen, sonnigen Höhen der abstrakten Wissenschaften mußte sie den
Kürzern ziehen. Denn die römische Kurie selbst muß heute die Jugend in
Tausenden von Schulen in demselben Systeme unterrichten, welches sie als
"dumm und ketzerisch" erklärte; sie selbst hegt in ihrem Schoße bedeutende
Astronomen, und sie folgen bei ihren Versuchen, noch weitere Entdeckungen zu
machen, den Spuren Galileis.

Dieser selbst spielt von nun an nach den Akten des Prozesses eine Rolle,
die weder seinem Verstände noch seinem Charakter Ehre macht. Nach unsern
heutigen Begriffen mußte er von nun an sich ruhig verhalten und besonders
in Anbetracht der entschieden glimpflichen Behandlung, die er im Vergleich zu
andern, weit weniger gefährlichen Ketzern erfahren, das gegebene Wort halten,
er hätte es denn standhaft verweigern müssen. Ein so entwickeltes Ehrgefühl,
eine so klare ethische Empfindung dürfen wir aber vernünftiger Weife bei dem
Sohne Italiens im Jahre 1616 nicht voraussetzen. Ein Jeder ist der Sohn
seiner Zeit, und namentlich Galilei besitzt in vollem Maße die Schwächen seiner
Landsleute und Zeitgenossen. Er zeigt sich eitel, hochfahrend, spöttisch, dabei
ohne wahren Muth, kriechend und habgierig. Galilei war an das reichliche
Leben eines fürstlichen Günstlings gewohnt. Er war des Gedankens unfähig,
seiner Heimat zu entsagen und um seiner Ueberzeugung oder Forschungen
willen in Deutschland, Holland, England oder gar Skandinavien das Brod der
Verbannung zu essen, wie Andere vor ihm gethan. Er schien nicht einmal zu
empfinden, daß sein Widerruf ihn einigermaßen kläglich erscheinen lasse. Ruhig
weilte er in Rom noch drei Monate nach der ihm widerfahrenen Behand¬
lung. Die Kurie, im instinktiven Gefühl, hier eine sehr heikle Sache angerührt
zu haben, hielt mit ihrer oft bewiesenen Klugheit Maß; was geschehen war,
hatte geschehen müssen; nnn aber spielte sie die Rolle der zärtlichen Mutter,
die den gestrauchelten Sohn wieder aufrichtet. Es war nur ein kleiner
Familienzwist gewesen. Die Welt brauchte davon Nichts zu erfahren. Da je¬
doch das Gerücht in eben dieser Welt sich verbreitete, der Sohn habe gelinde
Schelte bekommen und Abbitte leisten müssen, so ließ sich Galilei schriftlich
vom Kardinal Bellarmin, dem vortrefflichen Jesuiten, ein Zeugniß geben, daß
so etwas nie vorgekommen sei. Vom heiligen Vater wurde er sogar sehr


schaft wurde in stupider Anmaßung ein falsches Urtheil gefällt, und da man
Galilei nicht widerlegen konnte, wurde er moralisch geknebelt. Ganz ausdrücklich
nur das kopernikanische System wurde für dumm und ketzerisch erklärt, weil
es dem Bibeltext entgegen sei. Diese unglückliche Position stellte die römische
.Kurie allen Angriffen blos. So unbedingt folgerichtig und kräftig sie ihr
Herrscheramt unter dem gewölbten Dome christlichen Glaubens verwalten mochte,
auf den scharfen, sonnigen Höhen der abstrakten Wissenschaften mußte sie den
Kürzern ziehen. Denn die römische Kurie selbst muß heute die Jugend in
Tausenden von Schulen in demselben Systeme unterrichten, welches sie als
„dumm und ketzerisch" erklärte; sie selbst hegt in ihrem Schoße bedeutende
Astronomen, und sie folgen bei ihren Versuchen, noch weitere Entdeckungen zu
machen, den Spuren Galileis.

Dieser selbst spielt von nun an nach den Akten des Prozesses eine Rolle,
die weder seinem Verstände noch seinem Charakter Ehre macht. Nach unsern
heutigen Begriffen mußte er von nun an sich ruhig verhalten und besonders
in Anbetracht der entschieden glimpflichen Behandlung, die er im Vergleich zu
andern, weit weniger gefährlichen Ketzern erfahren, das gegebene Wort halten,
er hätte es denn standhaft verweigern müssen. Ein so entwickeltes Ehrgefühl,
eine so klare ethische Empfindung dürfen wir aber vernünftiger Weife bei dem
Sohne Italiens im Jahre 1616 nicht voraussetzen. Ein Jeder ist der Sohn
seiner Zeit, und namentlich Galilei besitzt in vollem Maße die Schwächen seiner
Landsleute und Zeitgenossen. Er zeigt sich eitel, hochfahrend, spöttisch, dabei
ohne wahren Muth, kriechend und habgierig. Galilei war an das reichliche
Leben eines fürstlichen Günstlings gewohnt. Er war des Gedankens unfähig,
seiner Heimat zu entsagen und um seiner Ueberzeugung oder Forschungen
willen in Deutschland, Holland, England oder gar Skandinavien das Brod der
Verbannung zu essen, wie Andere vor ihm gethan. Er schien nicht einmal zu
empfinden, daß sein Widerruf ihn einigermaßen kläglich erscheinen lasse. Ruhig
weilte er in Rom noch drei Monate nach der ihm widerfahrenen Behand¬
lung. Die Kurie, im instinktiven Gefühl, hier eine sehr heikle Sache angerührt
zu haben, hielt mit ihrer oft bewiesenen Klugheit Maß; was geschehen war,
hatte geschehen müssen; nnn aber spielte sie die Rolle der zärtlichen Mutter,
die den gestrauchelten Sohn wieder aufrichtet. Es war nur ein kleiner
Familienzwist gewesen. Die Welt brauchte davon Nichts zu erfahren. Da je¬
doch das Gerücht in eben dieser Welt sich verbreitete, der Sohn habe gelinde
Schelte bekommen und Abbitte leisten müssen, so ließ sich Galilei schriftlich
vom Kardinal Bellarmin, dem vortrefflichen Jesuiten, ein Zeugniß geben, daß
so etwas nie vorgekommen sei. Vom heiligen Vater wurde er sogar sehr


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/496>, abgerufen am 23.07.2024.