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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Am 26. Februar 161V schon -- man sieht, es wurde keine Zeit
verloren -- ward die mehr humoristische als tragische Scene aufgeführt.
Der grobe persönlich verletzende Ton der Urtheilsentenz, die unanständige, für
den angegriffenen Gelehrten sehr schmeichelhafte Hast des ganzen Verfahrens
zeugen deutlich, daß Triebfedern persönlicher Rache mitwirkten. Vermuthlich
hatte der spöttische Griffel des weltgewandter Galilei mehr als einen feiner
theologischen Feinde getroffen. Genug, am 26. Februar 1616 erschien Galilei
vor dem Kardinal Bellarmin, der umgeben war von dem Generalkommissar
des heiligen Offieii und von zwei Zeugen. Der Jukulpat wurde aufge¬
fordert: im Namen des Papstes nud des heiligen Gerichtes feierlich das Ver¬
sprechen abzugeben: er wolle hinfüro nie mehr behaupten, lehren oder ver¬
theidigen den Satz von dem Drehungsgesetz der Erde, weder durch Schrift,
Wort oder irgend ein anderes Mittel; thäte er es dennoch jemals wieder, sei
er dem heiligen Gericht verfallen.

Galilei leistete den Schwur.

Das war in mancher Beziehung auch ganz klug und vernünftig, denn
falls Galilei auch Talent zum Märtyrer gehabt hätte und sich für sein Rota¬
tionsgesetz hätte holdem und braten lassen, es Hütte doch nichts an der Sachlage
geändert. Schon zählten die Anhänger der freien Forschung im Norden Europas
nach vielen Tausenden. Ob also eine Versammlung von Priestern das System
des Kopernikus auf den Index der verbotenen Bücher setzen ließ oder nicht,
und einem einzelnen Gelehrten einen Zwangseid aufnöthigte, das änderte wenig
an der Weltgeschichte. Es ist vergeblich versucht worden, die Authentizität der
hierauf bezüglichen Akten anzuzweifeln: und zwar ist dieser Versuch von einem
treuen Katholiken, Herrn von Gehler, gewiß in bester Absicht unternommen worden
in seiner Schrift: "Galilei und die römische Kurie", Stuttgart, 1876. Selbst¬
verständlich ist der Versuch mit leichter Mühe durch Domenico Berti zurück¬
gewiesen worden. Es ist aber auch gar nicht recht zu begreifen, wie die
römische Kurie hätte anders handeln sollen, als sie gehandelt hat. Man
kann ihr doch keinen Vorwurf aus einem Einschreiten gegen Ansichten machen,
die ihren innersten Prinzipien zuwider waren. Sie mußte gegen Galilei ein¬
schreiten, und sie hat es in rücksichtsvoller Weise gethan. Der Fehler an dem
Vorgehen der Kurie war, daß sie sich zur Richtern: über wissenschaftliche Fragen
auswarf, die sie einfach nicht verstand. Die Akten erwähnen kein Wort von
den vielen gedruckten und ungedruckten Briefen, Vortrügen oder Ansichten
Galileis, in denen, wie in dem oben citirten Briefe an den Pater Castelli, frei¬
denkerische Neuerungen ausgesprochen waren. Auffallenderweise suchte oder fand
man uicht dort das Vergehen des Gelehrten, wo Priester sehr wohl als Sach¬
verständige Hütten entscheiden können. Nein, über eine Frage der reinen Wissen-


Am 26. Februar 161V schon — man sieht, es wurde keine Zeit
verloren — ward die mehr humoristische als tragische Scene aufgeführt.
Der grobe persönlich verletzende Ton der Urtheilsentenz, die unanständige, für
den angegriffenen Gelehrten sehr schmeichelhafte Hast des ganzen Verfahrens
zeugen deutlich, daß Triebfedern persönlicher Rache mitwirkten. Vermuthlich
hatte der spöttische Griffel des weltgewandter Galilei mehr als einen feiner
theologischen Feinde getroffen. Genug, am 26. Februar 1616 erschien Galilei
vor dem Kardinal Bellarmin, der umgeben war von dem Generalkommissar
des heiligen Offieii und von zwei Zeugen. Der Jukulpat wurde aufge¬
fordert: im Namen des Papstes nud des heiligen Gerichtes feierlich das Ver¬
sprechen abzugeben: er wolle hinfüro nie mehr behaupten, lehren oder ver¬
theidigen den Satz von dem Drehungsgesetz der Erde, weder durch Schrift,
Wort oder irgend ein anderes Mittel; thäte er es dennoch jemals wieder, sei
er dem heiligen Gericht verfallen.

Galilei leistete den Schwur.

Das war in mancher Beziehung auch ganz klug und vernünftig, denn
falls Galilei auch Talent zum Märtyrer gehabt hätte und sich für sein Rota¬
tionsgesetz hätte holdem und braten lassen, es Hütte doch nichts an der Sachlage
geändert. Schon zählten die Anhänger der freien Forschung im Norden Europas
nach vielen Tausenden. Ob also eine Versammlung von Priestern das System
des Kopernikus auf den Index der verbotenen Bücher setzen ließ oder nicht,
und einem einzelnen Gelehrten einen Zwangseid aufnöthigte, das änderte wenig
an der Weltgeschichte. Es ist vergeblich versucht worden, die Authentizität der
hierauf bezüglichen Akten anzuzweifeln: und zwar ist dieser Versuch von einem
treuen Katholiken, Herrn von Gehler, gewiß in bester Absicht unternommen worden
in seiner Schrift: „Galilei und die römische Kurie", Stuttgart, 1876. Selbst¬
verständlich ist der Versuch mit leichter Mühe durch Domenico Berti zurück¬
gewiesen worden. Es ist aber auch gar nicht recht zu begreifen, wie die
römische Kurie hätte anders handeln sollen, als sie gehandelt hat. Man
kann ihr doch keinen Vorwurf aus einem Einschreiten gegen Ansichten machen,
die ihren innersten Prinzipien zuwider waren. Sie mußte gegen Galilei ein¬
schreiten, und sie hat es in rücksichtsvoller Weise gethan. Der Fehler an dem
Vorgehen der Kurie war, daß sie sich zur Richtern: über wissenschaftliche Fragen
auswarf, die sie einfach nicht verstand. Die Akten erwähnen kein Wort von
den vielen gedruckten und ungedruckten Briefen, Vortrügen oder Ansichten
Galileis, in denen, wie in dem oben citirten Briefe an den Pater Castelli, frei¬
denkerische Neuerungen ausgesprochen waren. Auffallenderweise suchte oder fand
man uicht dort das Vergehen des Gelehrten, wo Priester sehr wohl als Sach¬
verständige Hütten entscheiden können. Nein, über eine Frage der reinen Wissen-


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[0495] Am 26. Februar 161V schon — man sieht, es wurde keine Zeit verloren — ward die mehr humoristische als tragische Scene aufgeführt. Der grobe persönlich verletzende Ton der Urtheilsentenz, die unanständige, für den angegriffenen Gelehrten sehr schmeichelhafte Hast des ganzen Verfahrens zeugen deutlich, daß Triebfedern persönlicher Rache mitwirkten. Vermuthlich hatte der spöttische Griffel des weltgewandter Galilei mehr als einen feiner theologischen Feinde getroffen. Genug, am 26. Februar 1616 erschien Galilei vor dem Kardinal Bellarmin, der umgeben war von dem Generalkommissar des heiligen Offieii und von zwei Zeugen. Der Jukulpat wurde aufge¬ fordert: im Namen des Papstes nud des heiligen Gerichtes feierlich das Ver¬ sprechen abzugeben: er wolle hinfüro nie mehr behaupten, lehren oder ver¬ theidigen den Satz von dem Drehungsgesetz der Erde, weder durch Schrift, Wort oder irgend ein anderes Mittel; thäte er es dennoch jemals wieder, sei er dem heiligen Gericht verfallen. Galilei leistete den Schwur. Das war in mancher Beziehung auch ganz klug und vernünftig, denn falls Galilei auch Talent zum Märtyrer gehabt hätte und sich für sein Rota¬ tionsgesetz hätte holdem und braten lassen, es Hütte doch nichts an der Sachlage geändert. Schon zählten die Anhänger der freien Forschung im Norden Europas nach vielen Tausenden. Ob also eine Versammlung von Priestern das System des Kopernikus auf den Index der verbotenen Bücher setzen ließ oder nicht, und einem einzelnen Gelehrten einen Zwangseid aufnöthigte, das änderte wenig an der Weltgeschichte. Es ist vergeblich versucht worden, die Authentizität der hierauf bezüglichen Akten anzuzweifeln: und zwar ist dieser Versuch von einem treuen Katholiken, Herrn von Gehler, gewiß in bester Absicht unternommen worden in seiner Schrift: „Galilei und die römische Kurie", Stuttgart, 1876. Selbst¬ verständlich ist der Versuch mit leichter Mühe durch Domenico Berti zurück¬ gewiesen worden. Es ist aber auch gar nicht recht zu begreifen, wie die römische Kurie hätte anders handeln sollen, als sie gehandelt hat. Man kann ihr doch keinen Vorwurf aus einem Einschreiten gegen Ansichten machen, die ihren innersten Prinzipien zuwider waren. Sie mußte gegen Galilei ein¬ schreiten, und sie hat es in rücksichtsvoller Weise gethan. Der Fehler an dem Vorgehen der Kurie war, daß sie sich zur Richtern: über wissenschaftliche Fragen auswarf, die sie einfach nicht verstand. Die Akten erwähnen kein Wort von den vielen gedruckten und ungedruckten Briefen, Vortrügen oder Ansichten Galileis, in denen, wie in dem oben citirten Briefe an den Pater Castelli, frei¬ denkerische Neuerungen ausgesprochen waren. Auffallenderweise suchte oder fand man uicht dort das Vergehen des Gelehrten, wo Priester sehr wohl als Sach¬ verständige Hütten entscheiden können. Nein, über eine Frage der reinen Wissen-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/495>, abgerufen am 23.07.2024.