Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Parte, der Mutter des Kaisers, sucht. Im Jahre 1814 wurden die vollständigen
Akten der Privatbibliothek des Königs Ludwig XVIII. einverleibt, wie Graf
Blacas, der dem königlichen Hause vorstand, bezeugt. Vergeblich bat die rö¬
mische Kurie um Herausgabe der Akten bei den verschiedenen Regierungen,
welche in Frankreich einander ablösten. Die französischen Minister aller
Farben mußten diese Papiere für wichtig genug ansehen, um sie eventuell als
Waffe zu benutzen. Erst im Jahre 1846 gelang es dem Grafen Rossi, das
Manuskript von Louis Philippe zu erhalten; was der Graf dafür gegeben, ist
nicht bekannt. Der Bürgerkönig ist ja als guter Haushalter berühmt. Rossi
brachte die Alten persönlich dem jetzigen Papste zurück. Pius IX. endlich be¬
hielt sie in seiner Privatbibliothek bis zum Jahre 1848, wo sie in das geheime
Archiv des Vatikans übersiedelten. Nachdem verschiedene Schriften unter der
Autorisation, aber auch unter der Censur der römischen Kurie erschienen waren*),
erhielt dann im Februar 1870 Domenico Berti die erwähnte Erlaubniß.

Galilei befand sich auf der Höhe seines Ruhmes. Kopernikus, Tycho de
Brahe, Kepler waren seine Zeitgenossen, ans deren Schultern er zum Theil
stand. Sie alle waren dem Arme der römischen Kurie unerreichbar. Gerade
unter der protestantischen Geistlichkeit gab es, wie uoch heute, eine Anzahl
hervorragender Männer, welche im Gegensatze zur festgeschlossenen Priesterschaft
in freier Forschung es verstanden, die unbestreitbaren Wahrheiten der Wissen¬
schaft erträglich zu macheu dem treuen Bibelglauben frommer Gemüther. So
gewaltig war dieser Zug, daß auch die römische Priesterschaft in ganz Deutsch¬
land in ihren edelsten Elementen ihm willig sich hingab. Wir finden Züge
reinster Humanität, edelster Duldung zwischen den verschiedenen Bekenntnissen
der christlichen Lehre etwa bis zum Tode Kaiser Rudolfs II., obwohl schou
unter diesem Herrscher fanatische Unduldsamkeit sich regte. Aber auch unter
ihm wäre ein direktes Vorgehen gegen den Dänen de Brahe, gegen den Deutsch-
Polen Kopernikus, gegen den Deutschen Kepler einfach unmöglich gewesen. Man
hatte versucht, den einen wie den andern zu verfolgen, und nnr neue Triumphe
ihnen bereitet. >

Anders lagen die Dinge in Italien. Die innerlich faulen Zustände der
Renaissance, so glitzernd und gleißend sie nach außen erschienen, boten einer
konsequenten und energischen Macht, wie sie der römische Klerus unter dem
Einfluß der ebenso geschickt als rücksichtslos geführten Leitung der Jesuiten
bildete, ein reiches Feld. Wenn auch der Herzog von Florenz sich gern als
den freisinnigen Beschützer der Wissenschaften feiern ließ, so war er doch keines-



*) Bon Mario Mcirini, einem römischen Geistlichen, Rom toso, und von H. de l'Epi-
nois, Paris 1SK7.

Parte, der Mutter des Kaisers, sucht. Im Jahre 1814 wurden die vollständigen
Akten der Privatbibliothek des Königs Ludwig XVIII. einverleibt, wie Graf
Blacas, der dem königlichen Hause vorstand, bezeugt. Vergeblich bat die rö¬
mische Kurie um Herausgabe der Akten bei den verschiedenen Regierungen,
welche in Frankreich einander ablösten. Die französischen Minister aller
Farben mußten diese Papiere für wichtig genug ansehen, um sie eventuell als
Waffe zu benutzen. Erst im Jahre 1846 gelang es dem Grafen Rossi, das
Manuskript von Louis Philippe zu erhalten; was der Graf dafür gegeben, ist
nicht bekannt. Der Bürgerkönig ist ja als guter Haushalter berühmt. Rossi
brachte die Alten persönlich dem jetzigen Papste zurück. Pius IX. endlich be¬
hielt sie in seiner Privatbibliothek bis zum Jahre 1848, wo sie in das geheime
Archiv des Vatikans übersiedelten. Nachdem verschiedene Schriften unter der
Autorisation, aber auch unter der Censur der römischen Kurie erschienen waren*),
erhielt dann im Februar 1870 Domenico Berti die erwähnte Erlaubniß.

Galilei befand sich auf der Höhe seines Ruhmes. Kopernikus, Tycho de
Brahe, Kepler waren seine Zeitgenossen, ans deren Schultern er zum Theil
stand. Sie alle waren dem Arme der römischen Kurie unerreichbar. Gerade
unter der protestantischen Geistlichkeit gab es, wie uoch heute, eine Anzahl
hervorragender Männer, welche im Gegensatze zur festgeschlossenen Priesterschaft
in freier Forschung es verstanden, die unbestreitbaren Wahrheiten der Wissen¬
schaft erträglich zu macheu dem treuen Bibelglauben frommer Gemüther. So
gewaltig war dieser Zug, daß auch die römische Priesterschaft in ganz Deutsch¬
land in ihren edelsten Elementen ihm willig sich hingab. Wir finden Züge
reinster Humanität, edelster Duldung zwischen den verschiedenen Bekenntnissen
der christlichen Lehre etwa bis zum Tode Kaiser Rudolfs II., obwohl schou
unter diesem Herrscher fanatische Unduldsamkeit sich regte. Aber auch unter
ihm wäre ein direktes Vorgehen gegen den Dänen de Brahe, gegen den Deutsch-
Polen Kopernikus, gegen den Deutschen Kepler einfach unmöglich gewesen. Man
hatte versucht, den einen wie den andern zu verfolgen, und nnr neue Triumphe
ihnen bereitet. >

Anders lagen die Dinge in Italien. Die innerlich faulen Zustände der
Renaissance, so glitzernd und gleißend sie nach außen erschienen, boten einer
konsequenten und energischen Macht, wie sie der römische Klerus unter dem
Einfluß der ebenso geschickt als rücksichtslos geführten Leitung der Jesuiten
bildete, ein reiches Feld. Wenn auch der Herzog von Florenz sich gern als
den freisinnigen Beschützer der Wissenschaften feiern ließ, so war er doch keines-



*) Bon Mario Mcirini, einem römischen Geistlichen, Rom toso, und von H. de l'Epi-
nois, Paris 1SK7.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0490" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137663"/>
          <p xml:id="ID_1568" prev="#ID_1567"> Parte, der Mutter des Kaisers, sucht. Im Jahre 1814 wurden die vollständigen<lb/>
Akten der Privatbibliothek des Königs Ludwig XVIII. einverleibt, wie Graf<lb/>
Blacas, der dem königlichen Hause vorstand, bezeugt. Vergeblich bat die rö¬<lb/>
mische Kurie um Herausgabe der Akten bei den verschiedenen Regierungen,<lb/>
welche in Frankreich einander ablösten. Die französischen Minister aller<lb/>
Farben mußten diese Papiere für wichtig genug ansehen, um sie eventuell als<lb/>
Waffe zu benutzen. Erst im Jahre 1846 gelang es dem Grafen Rossi, das<lb/>
Manuskript von Louis Philippe zu erhalten; was der Graf dafür gegeben, ist<lb/>
nicht bekannt. Der Bürgerkönig ist ja als guter Haushalter berühmt. Rossi<lb/>
brachte die Alten persönlich dem jetzigen Papste zurück. Pius IX. endlich be¬<lb/>
hielt sie in seiner Privatbibliothek bis zum Jahre 1848, wo sie in das geheime<lb/>
Archiv des Vatikans übersiedelten. Nachdem verschiedene Schriften unter der<lb/>
Autorisation, aber auch unter der Censur der römischen Kurie erschienen waren*),<lb/>
erhielt dann im Februar 1870 Domenico Berti die erwähnte Erlaubniß.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1569"> Galilei befand sich auf der Höhe seines Ruhmes. Kopernikus, Tycho de<lb/>
Brahe, Kepler waren seine Zeitgenossen, ans deren Schultern er zum Theil<lb/>
stand. Sie alle waren dem Arme der römischen Kurie unerreichbar. Gerade<lb/>
unter der protestantischen Geistlichkeit gab es, wie uoch heute, eine Anzahl<lb/>
hervorragender Männer, welche im Gegensatze zur festgeschlossenen Priesterschaft<lb/>
in freier Forschung es verstanden, die unbestreitbaren Wahrheiten der Wissen¬<lb/>
schaft erträglich zu macheu dem treuen Bibelglauben frommer Gemüther. So<lb/>
gewaltig war dieser Zug, daß auch die römische Priesterschaft in ganz Deutsch¬<lb/>
land in ihren edelsten Elementen ihm willig sich hingab. Wir finden Züge<lb/>
reinster Humanität, edelster Duldung zwischen den verschiedenen Bekenntnissen<lb/>
der christlichen Lehre etwa bis zum Tode Kaiser Rudolfs II., obwohl schou<lb/>
unter diesem Herrscher fanatische Unduldsamkeit sich regte. Aber auch unter<lb/>
ihm wäre ein direktes Vorgehen gegen den Dänen de Brahe, gegen den Deutsch-<lb/>
Polen Kopernikus, gegen den Deutschen Kepler einfach unmöglich gewesen. Man<lb/>
hatte versucht, den einen wie den andern zu verfolgen, und nnr neue Triumphe<lb/>
ihnen bereitet. &gt;</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1570" next="#ID_1571"> Anders lagen die Dinge in Italien. Die innerlich faulen Zustände der<lb/>
Renaissance, so glitzernd und gleißend sie nach außen erschienen, boten einer<lb/>
konsequenten und energischen Macht, wie sie der römische Klerus unter dem<lb/>
Einfluß der ebenso geschickt als rücksichtslos geführten Leitung der Jesuiten<lb/>
bildete, ein reiches Feld. Wenn auch der Herzog von Florenz sich gern als<lb/>
den freisinnigen Beschützer der Wissenschaften feiern ließ, so war er doch keines-</p><lb/>
          <note xml:id="FID_74" place="foot"> *) Bon Mario Mcirini, einem römischen Geistlichen, Rom toso, und von H. de l'Epi-<lb/>
nois, Paris 1SK7.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0490] Parte, der Mutter des Kaisers, sucht. Im Jahre 1814 wurden die vollständigen Akten der Privatbibliothek des Königs Ludwig XVIII. einverleibt, wie Graf Blacas, der dem königlichen Hause vorstand, bezeugt. Vergeblich bat die rö¬ mische Kurie um Herausgabe der Akten bei den verschiedenen Regierungen, welche in Frankreich einander ablösten. Die französischen Minister aller Farben mußten diese Papiere für wichtig genug ansehen, um sie eventuell als Waffe zu benutzen. Erst im Jahre 1846 gelang es dem Grafen Rossi, das Manuskript von Louis Philippe zu erhalten; was der Graf dafür gegeben, ist nicht bekannt. Der Bürgerkönig ist ja als guter Haushalter berühmt. Rossi brachte die Alten persönlich dem jetzigen Papste zurück. Pius IX. endlich be¬ hielt sie in seiner Privatbibliothek bis zum Jahre 1848, wo sie in das geheime Archiv des Vatikans übersiedelten. Nachdem verschiedene Schriften unter der Autorisation, aber auch unter der Censur der römischen Kurie erschienen waren*), erhielt dann im Februar 1870 Domenico Berti die erwähnte Erlaubniß. Galilei befand sich auf der Höhe seines Ruhmes. Kopernikus, Tycho de Brahe, Kepler waren seine Zeitgenossen, ans deren Schultern er zum Theil stand. Sie alle waren dem Arme der römischen Kurie unerreichbar. Gerade unter der protestantischen Geistlichkeit gab es, wie uoch heute, eine Anzahl hervorragender Männer, welche im Gegensatze zur festgeschlossenen Priesterschaft in freier Forschung es verstanden, die unbestreitbaren Wahrheiten der Wissen¬ schaft erträglich zu macheu dem treuen Bibelglauben frommer Gemüther. So gewaltig war dieser Zug, daß auch die römische Priesterschaft in ganz Deutsch¬ land in ihren edelsten Elementen ihm willig sich hingab. Wir finden Züge reinster Humanität, edelster Duldung zwischen den verschiedenen Bekenntnissen der christlichen Lehre etwa bis zum Tode Kaiser Rudolfs II., obwohl schou unter diesem Herrscher fanatische Unduldsamkeit sich regte. Aber auch unter ihm wäre ein direktes Vorgehen gegen den Dänen de Brahe, gegen den Deutsch- Polen Kopernikus, gegen den Deutschen Kepler einfach unmöglich gewesen. Man hatte versucht, den einen wie den andern zu verfolgen, und nnr neue Triumphe ihnen bereitet. > Anders lagen die Dinge in Italien. Die innerlich faulen Zustände der Renaissance, so glitzernd und gleißend sie nach außen erschienen, boten einer konsequenten und energischen Macht, wie sie der römische Klerus unter dem Einfluß der ebenso geschickt als rücksichtslos geführten Leitung der Jesuiten bildete, ein reiches Feld. Wenn auch der Herzog von Florenz sich gern als den freisinnigen Beschützer der Wissenschaften feiern ließ, so war er doch keines- *) Bon Mario Mcirini, einem römischen Geistlichen, Rom toso, und von H. de l'Epi- nois, Paris 1SK7.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/490
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/490>, abgerufen am 23.07.2024.