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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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Die geistlichen Behörden waren immer sehr aufmerksam und argwöhnisch
gegenüber jedem Angriff auf ihre Dignitcit und verstanden darin selbst während
des Karnevals keinen Spaß. Im Jahre 1726 erging das Verbot, geistliche
Masken anzulegen und für den Domino rothe Stoffe zu verwenden, weil
dies die Kardinalsfarbe war! --

1735 erschien n. A. ein Wagen der französischen Akademiker mit Masken
im chinesischen Kostüm mit Sonnenschirmen und Fahnen, sowie "ein Wagen
des Fürsten Rospigliosi mit Dienern alls. polaoea,," 1738 sah man den
letzteren wieder in polnischer Tracht "nebst Masken mit Beilen und Säbeln".
Auch "englische Seeleute mit einem Schiffsmodell" waren da. Die Maskirnug
als Matrose, die man auch heutzutage von beiden Geschlechtern besonders
bevorzugt sieht, ist also sehr alt, jedenfalls wegen der Urform des bei
den Umzügen verwendeten Maskenkarrens, des eg.ri-u8 navalis*), dem
Karneval den Namen gegeben hat.

Eine neue Ausdehnung gewannen die Karnevalsfestlichkeiten gegen die
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts durch großartige Privatfeste in den
Palästen der Aristokratie. 1747 wurde im Hofe des Palazzo Barberiui, alt¬
berühmt durch seine Tourniere und Carroussels, ein von dem Marquis von
Cavalieri geleitetes Tournier veranstaltet. 1748 bildete den Glanzpunkt ein
Aufzug der französischen Akademiker, "die Wallfahrt des Sultans nach Mekka"
darstellend. Er machte solches Aufsehen, daß er gezeichnet, gestochen und zu
Paris in einunddreißig Blättern publizirt wurde. -- Unter den großen Auf¬
zügen der nächsten Jahre seien erwähnt: ein "Triumphzug des Baecchns" 1755,
die "Rückkehr der Diana von der Jagd" 1763, von der Herzogin von
Grcwina dargestellt, und ein "heidnisches Opfer" mit Priestern und Prieste¬
rinnen 1779.

Hauptschauplatz der öffentlichen Aufzüge und des Volkstreibens war immer
und von jeher der Corso, die lange schmale Straße, welche in der Richtung
der alten Via Flaminia vom Fuße des Capitols nordwärts länft und auf der
Piazzo del Popolo endet. Interessant ist es zu sehen, wie eine Beschreibung
des Corsotreibens aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts uoch fast Wort
für Wort auf das heutige paßt. Der in geistlichen Angelegenheiten damals
anwesende französische Präsident De Brosses schreibt darüber: "Ich sehe, daß
wir den Aufenthalt hier bis zum Ende des Karnevals ausdehnen werden.
Man muß alle diese närrischen römischen Ergötzungen sehen, die noch glanz¬
voller sind, als die von Venedig, mögen sie auch erst in deu letzten acht Tagen
in voller Glorie sein. Man sagt, daß in der Corsostraße sehr schöne Masken-



*) Die Etymologie des varnü vale (Fleisch, lebewohl!) ist ohne Zweifel falsch.

Die geistlichen Behörden waren immer sehr aufmerksam und argwöhnisch
gegenüber jedem Angriff auf ihre Dignitcit und verstanden darin selbst während
des Karnevals keinen Spaß. Im Jahre 1726 erging das Verbot, geistliche
Masken anzulegen und für den Domino rothe Stoffe zu verwenden, weil
dies die Kardinalsfarbe war! —

1735 erschien n. A. ein Wagen der französischen Akademiker mit Masken
im chinesischen Kostüm mit Sonnenschirmen und Fahnen, sowie „ein Wagen
des Fürsten Rospigliosi mit Dienern alls. polaoea,," 1738 sah man den
letzteren wieder in polnischer Tracht „nebst Masken mit Beilen und Säbeln".
Auch „englische Seeleute mit einem Schiffsmodell" waren da. Die Maskirnug
als Matrose, die man auch heutzutage von beiden Geschlechtern besonders
bevorzugt sieht, ist also sehr alt, jedenfalls wegen der Urform des bei
den Umzügen verwendeten Maskenkarrens, des eg.ri-u8 navalis*), dem
Karneval den Namen gegeben hat.

Eine neue Ausdehnung gewannen die Karnevalsfestlichkeiten gegen die
Mitte des achtzehnten Jahrhunderts durch großartige Privatfeste in den
Palästen der Aristokratie. 1747 wurde im Hofe des Palazzo Barberiui, alt¬
berühmt durch seine Tourniere und Carroussels, ein von dem Marquis von
Cavalieri geleitetes Tournier veranstaltet. 1748 bildete den Glanzpunkt ein
Aufzug der französischen Akademiker, „die Wallfahrt des Sultans nach Mekka"
darstellend. Er machte solches Aufsehen, daß er gezeichnet, gestochen und zu
Paris in einunddreißig Blättern publizirt wurde. — Unter den großen Auf¬
zügen der nächsten Jahre seien erwähnt: ein „Triumphzug des Baecchns" 1755,
die „Rückkehr der Diana von der Jagd" 1763, von der Herzogin von
Grcwina dargestellt, und ein „heidnisches Opfer" mit Priestern und Prieste¬
rinnen 1779.

Hauptschauplatz der öffentlichen Aufzüge und des Volkstreibens war immer
und von jeher der Corso, die lange schmale Straße, welche in der Richtung
der alten Via Flaminia vom Fuße des Capitols nordwärts länft und auf der
Piazzo del Popolo endet. Interessant ist es zu sehen, wie eine Beschreibung
des Corsotreibens aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts uoch fast Wort
für Wort auf das heutige paßt. Der in geistlichen Angelegenheiten damals
anwesende französische Präsident De Brosses schreibt darüber: „Ich sehe, daß
wir den Aufenthalt hier bis zum Ende des Karnevals ausdehnen werden.
Man muß alle diese närrischen römischen Ergötzungen sehen, die noch glanz¬
voller sind, als die von Venedig, mögen sie auch erst in deu letzten acht Tagen
in voller Glorie sein. Man sagt, daß in der Corsostraße sehr schöne Masken-



*) Die Etymologie des varnü vale (Fleisch, lebewohl!) ist ohne Zweifel falsch.
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[0471] Die geistlichen Behörden waren immer sehr aufmerksam und argwöhnisch gegenüber jedem Angriff auf ihre Dignitcit und verstanden darin selbst während des Karnevals keinen Spaß. Im Jahre 1726 erging das Verbot, geistliche Masken anzulegen und für den Domino rothe Stoffe zu verwenden, weil dies die Kardinalsfarbe war! — 1735 erschien n. A. ein Wagen der französischen Akademiker mit Masken im chinesischen Kostüm mit Sonnenschirmen und Fahnen, sowie „ein Wagen des Fürsten Rospigliosi mit Dienern alls. polaoea,," 1738 sah man den letzteren wieder in polnischer Tracht „nebst Masken mit Beilen und Säbeln". Auch „englische Seeleute mit einem Schiffsmodell" waren da. Die Maskirnug als Matrose, die man auch heutzutage von beiden Geschlechtern besonders bevorzugt sieht, ist also sehr alt, jedenfalls wegen der Urform des bei den Umzügen verwendeten Maskenkarrens, des eg.ri-u8 navalis*), dem Karneval den Namen gegeben hat. Eine neue Ausdehnung gewannen die Karnevalsfestlichkeiten gegen die Mitte des achtzehnten Jahrhunderts durch großartige Privatfeste in den Palästen der Aristokratie. 1747 wurde im Hofe des Palazzo Barberiui, alt¬ berühmt durch seine Tourniere und Carroussels, ein von dem Marquis von Cavalieri geleitetes Tournier veranstaltet. 1748 bildete den Glanzpunkt ein Aufzug der französischen Akademiker, „die Wallfahrt des Sultans nach Mekka" darstellend. Er machte solches Aufsehen, daß er gezeichnet, gestochen und zu Paris in einunddreißig Blättern publizirt wurde. — Unter den großen Auf¬ zügen der nächsten Jahre seien erwähnt: ein „Triumphzug des Baecchns" 1755, die „Rückkehr der Diana von der Jagd" 1763, von der Herzogin von Grcwina dargestellt, und ein „heidnisches Opfer" mit Priestern und Prieste¬ rinnen 1779. Hauptschauplatz der öffentlichen Aufzüge und des Volkstreibens war immer und von jeher der Corso, die lange schmale Straße, welche in der Richtung der alten Via Flaminia vom Fuße des Capitols nordwärts länft und auf der Piazzo del Popolo endet. Interessant ist es zu sehen, wie eine Beschreibung des Corsotreibens aus der Mitte des vorigen Jahrhunderts uoch fast Wort für Wort auf das heutige paßt. Der in geistlichen Angelegenheiten damals anwesende französische Präsident De Brosses schreibt darüber: „Ich sehe, daß wir den Aufenthalt hier bis zum Ende des Karnevals ausdehnen werden. Man muß alle diese närrischen römischen Ergötzungen sehen, die noch glanz¬ voller sind, als die von Venedig, mögen sie auch erst in deu letzten acht Tagen in voller Glorie sein. Man sagt, daß in der Corsostraße sehr schöne Masken- *) Die Etymologie des varnü vale (Fleisch, lebewohl!) ist ohne Zweifel falsch.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/471>, abgerufen am 23.07.2024.