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Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

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und phantasirt wird -- dann fühlt man, daß doch der altberühmte Fasching
der Römer noch genug Leben besitzt, und daß es nicht ganz leicht sein wird,
ihm ein Ende zu bereiten.

Doch ich will heute nicht von dem gegenwärtigen, sondern von dein einstigen
Karneval reden, wie ihn das leichtlebige galante vorige Jahrhundert gesehen
hat. Manches ist seitdem anders geworden. Manches aber auch ist sich in
überraschender Weise gleich geblieben. Nicht nur Goethes meisterhafte Schil¬
derung, sondern auch das, was frühere Berichterstatter und Chronisten selbst
aus dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts erzählen, stimmt in so auffälliger
Weise mit deu gegenwärtigen Erscheinungen überein, daß man in der That zu¬
weilen sich verwundert fragt, ob ans dem römischen Corso die Zeit mit ihrem
Einfluß stillgestanden sei.

Die Glanzzeit des Karnevals in Italien war das fünfzehnte und sechzehnte
Jahrhundert. In Venedig strömten die Besucher aus ganz Europa zusammen;
über den florentinischen haben wir farbenreiche Schilderungen von Bottaro,
Berni, Salto, Vnrchi, Buonarotti. Kurze Zeit hindurch hatte auch Neapel
seinen Karneval, der jetzt mit Glanz wieder aufersteht. Einer der prächtigsten
war stets der von Mailand; doch die Palme trug immer Rom davon, das
von den Traditionen der Feste der antiken Welthanptstcidt erfüllt, von ihrem
Nimbus umgeben war. Von den alten einst die ganze Bevölkerung bis zur
Tollheit begeisternden Cirknsspielen war ein Rest übrig geblieben in dem
Pferderennen, das der römische Karneval sich bis heute bewahrt hat, und das
immer ein Festbestandtheil von hervorragender Wichtigkeit und Anziehungs¬
kraft gewesen ist. Was Goethe von der Betheiligung an diesem Rennen, von
dein Verfahren dabei, von der Spannung der Menge, die des momentanen
Genusses sich kaum bewußt werden kann und dennoch fast fieberhaft erregt zu-
schaut, vou der Unmöglichkeit eines wirklichen Wettkampfes in der engen Straße
n. f. w. sagt, stimmt gänzlich mit der Art, in der das Rennen noch heilte vor
sich geht, überein. Manches Andere hat sich seitdem geändert, manches fand
Goethe schon anders, als es vor ihm gewesen. Vor seiner Zeit waren es noch
die reichen und edeln Familien, welche die Pferde stellten und es als eine
große Ehre betrachteten, einen der Siegespreise davonzutragen. Die letzteren
bestanden in sammetnen und seidenen Paillen, welche man den Schutzheiligen
zu weihen oder ex vno in den Privatkapellen aufzuhängen Pflegte. -- Im
Jahre 1727 trugen in sämmtlichen Nennen die Pferde der Colonna den Sieg
davon. 1749 gewann der Herzog von Mondragone ein Pnlliuin. In dem¬
selben Jahre konnte, was die Chronisten als etwas Außergewöhnliches hervor¬
zuheben nicht unterlassen, am ersten Dienstage das Rennen nicht stattfinden,
weil es geschneit hatte. Auch heute würde es nicht verfehlen können,


und phantasirt wird — dann fühlt man, daß doch der altberühmte Fasching
der Römer noch genug Leben besitzt, und daß es nicht ganz leicht sein wird,
ihm ein Ende zu bereiten.

Doch ich will heute nicht von dem gegenwärtigen, sondern von dein einstigen
Karneval reden, wie ihn das leichtlebige galante vorige Jahrhundert gesehen
hat. Manches ist seitdem anders geworden. Manches aber auch ist sich in
überraschender Weise gleich geblieben. Nicht nur Goethes meisterhafte Schil¬
derung, sondern auch das, was frühere Berichterstatter und Chronisten selbst
aus dem Anfang des achtzehnten Jahrhunderts erzählen, stimmt in so auffälliger
Weise mit deu gegenwärtigen Erscheinungen überein, daß man in der That zu¬
weilen sich verwundert fragt, ob ans dem römischen Corso die Zeit mit ihrem
Einfluß stillgestanden sei.

Die Glanzzeit des Karnevals in Italien war das fünfzehnte und sechzehnte
Jahrhundert. In Venedig strömten die Besucher aus ganz Europa zusammen;
über den florentinischen haben wir farbenreiche Schilderungen von Bottaro,
Berni, Salto, Vnrchi, Buonarotti. Kurze Zeit hindurch hatte auch Neapel
seinen Karneval, der jetzt mit Glanz wieder aufersteht. Einer der prächtigsten
war stets der von Mailand; doch die Palme trug immer Rom davon, das
von den Traditionen der Feste der antiken Welthanptstcidt erfüllt, von ihrem
Nimbus umgeben war. Von den alten einst die ganze Bevölkerung bis zur
Tollheit begeisternden Cirknsspielen war ein Rest übrig geblieben in dem
Pferderennen, das der römische Karneval sich bis heute bewahrt hat, und das
immer ein Festbestandtheil von hervorragender Wichtigkeit und Anziehungs¬
kraft gewesen ist. Was Goethe von der Betheiligung an diesem Rennen, von
dein Verfahren dabei, von der Spannung der Menge, die des momentanen
Genusses sich kaum bewußt werden kann und dennoch fast fieberhaft erregt zu-
schaut, vou der Unmöglichkeit eines wirklichen Wettkampfes in der engen Straße
n. f. w. sagt, stimmt gänzlich mit der Art, in der das Rennen noch heilte vor
sich geht, überein. Manches Andere hat sich seitdem geändert, manches fand
Goethe schon anders, als es vor ihm gewesen. Vor seiner Zeit waren es noch
die reichen und edeln Familien, welche die Pferde stellten und es als eine
große Ehre betrachteten, einen der Siegespreise davonzutragen. Die letzteren
bestanden in sammetnen und seidenen Paillen, welche man den Schutzheiligen
zu weihen oder ex vno in den Privatkapellen aufzuhängen Pflegte. — Im
Jahre 1727 trugen in sämmtlichen Nennen die Pferde der Colonna den Sieg
davon. 1749 gewann der Herzog von Mondragone ein Pnlliuin. In dem¬
selben Jahre konnte, was die Chronisten als etwas Außergewöhnliches hervor¬
zuheben nicht unterlassen, am ersten Dienstage das Rennen nicht stattfinden,
weil es geschneit hatte. Auch heute würde es nicht verfehlen können,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/467>, abgerufen am 23.07.2024.