Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

dürfen. "Noch wankt mein Herz", sagt Faust, aber Mephistopheles sagt ihm:
"Warum klügelst Du heute? Komm, reich mir die Hand. Wir sind
Freunde. Ich will die Traurigkeit aus Deinem Herzen verbannen. In Wollust
sollst Dn schwimmen, und ganze Ströme Freuden sollst Du hinabtrinken."

Der zweite Aufzug beginnt mit einem Gespräche, in welchem Jthuriel
und Mephistopheles sich gegenseitig Hohn sprechen und jener erklärt, er sei
hier, um dem Teufel eine kostbare Seele zu entreißen, wogegen er ihm den
Leib preisgeben wolle. Mephistopheles entgegnet, das werde sich zeigen, er
zittere noch nicht vor seinem Gegner. Nachdem der Engel gegangen, erscheint
Faust, dem Mephistopheles Vorwürfe wegen seines Umgangs mit jenem macht
und ihm gebietet, den jungen Lasten aus seinen Augen zu verbannen. Faust
fährt auf und erinnert Mephistopheles, daß er noch sein Knecht sei. Dieser
wird ebenfalls zornig und droht, worauf jeuer antwortet: "Du bist entlarvt,
Betrüger! Noch ist der Tag nicht zu Ende. Der Himmel heut mir Gnade an,
und ich ergreife sie mit beiden Händen. Wisse, verruchter Geist, ich habe Deine
Macht nur dazu verwandt, Wohlthaten auszuüben." Mephistopheles erwidert,
nur einen, dem er als seinem Feind Alles geraubt habe, habe er glücklich,
sonst aber lauter Unglückliche gemacht. Faust verlangt die Leute zu sprechen,
und Mephistopheles geht, um sie ihm zu bringen, während jener wieder in
Verzweiflung verfällt. "So hab' ich denn Keinen glücklich gemacht? -- Welch
ein Ungeheuer bin ich! Ich zittere vor mir selbst. -- Welch eine
schauernde Aussicht! -- Nichts als Laster. Ich bebe. Die Hölle gähnt
schon nach mir. Es ist keine Rettung. Jthuriel, mein Freund, auch Du hast mich
getäuscht. Du versprichst mir Gnade; aber ach, süße Hoffnung, die mich in
Schlummer eingewiegt hat, meine Seele fühlt keine Ruhe mehr."

Die folgenden Auftritte führen Faust nun zunächst den einstigen Feind,
den er wider seinen Willen glücklich gemacht hat, dann die, welche durch seiue
Wohlthaten unglücklich geworden sind, vor Augen. Friedrich, einst ein reicher
Mann, jetzt ein Bettler, dankt ihm und ruft den Segen des Himmels auf ihn
herab, weil er durch Verlust seines Vermögens den wahren Reichthum, Be-
dürfnißlosigkeit und ein stilles Herz, gewonnen habe. Dann kommt Silbergeiz,
der aus einem verdorbnen Kaufmann mit Fausts Hülfe ein reicher Wucherer
geworden ist, aber vor Geiz verhungern will und fortwährend in Angst ist, er
könne um fein Geld kommen. Darauf erscheint die Gräfin Schönheitlieb, ehe¬
mals eine tugendhafte Dame, das Glück ihres Mannes und die Zierde des
Adels, aber unschön, jetzt dagegen, seit Faust ihr mit seiner Kunst seltene Reize
gegeben, eine unzufriedene Kokette voll rasender Eroberungssucht und ohne alle
Ruhe der Seele. Sie verflucht gegen Faust, welchen Mephistopheles, um sie offen-
herzig zu machen, in ihr Kammermädchen verwandelt hat, den, welcher sie da-


Grenzboten I. 1877. 57

dürfen. „Noch wankt mein Herz", sagt Faust, aber Mephistopheles sagt ihm:
„Warum klügelst Du heute? Komm, reich mir die Hand. Wir sind
Freunde. Ich will die Traurigkeit aus Deinem Herzen verbannen. In Wollust
sollst Dn schwimmen, und ganze Ströme Freuden sollst Du hinabtrinken."

Der zweite Aufzug beginnt mit einem Gespräche, in welchem Jthuriel
und Mephistopheles sich gegenseitig Hohn sprechen und jener erklärt, er sei
hier, um dem Teufel eine kostbare Seele zu entreißen, wogegen er ihm den
Leib preisgeben wolle. Mephistopheles entgegnet, das werde sich zeigen, er
zittere noch nicht vor seinem Gegner. Nachdem der Engel gegangen, erscheint
Faust, dem Mephistopheles Vorwürfe wegen seines Umgangs mit jenem macht
und ihm gebietet, den jungen Lasten aus seinen Augen zu verbannen. Faust
fährt auf und erinnert Mephistopheles, daß er noch sein Knecht sei. Dieser
wird ebenfalls zornig und droht, worauf jeuer antwortet: „Du bist entlarvt,
Betrüger! Noch ist der Tag nicht zu Ende. Der Himmel heut mir Gnade an,
und ich ergreife sie mit beiden Händen. Wisse, verruchter Geist, ich habe Deine
Macht nur dazu verwandt, Wohlthaten auszuüben." Mephistopheles erwidert,
nur einen, dem er als seinem Feind Alles geraubt habe, habe er glücklich,
sonst aber lauter Unglückliche gemacht. Faust verlangt die Leute zu sprechen,
und Mephistopheles geht, um sie ihm zu bringen, während jener wieder in
Verzweiflung verfällt. „So hab' ich denn Keinen glücklich gemacht? — Welch
ein Ungeheuer bin ich! Ich zittere vor mir selbst. — Welch eine
schauernde Aussicht! — Nichts als Laster. Ich bebe. Die Hölle gähnt
schon nach mir. Es ist keine Rettung. Jthuriel, mein Freund, auch Du hast mich
getäuscht. Du versprichst mir Gnade; aber ach, süße Hoffnung, die mich in
Schlummer eingewiegt hat, meine Seele fühlt keine Ruhe mehr."

Die folgenden Auftritte führen Faust nun zunächst den einstigen Feind,
den er wider seinen Willen glücklich gemacht hat, dann die, welche durch seiue
Wohlthaten unglücklich geworden sind, vor Augen. Friedrich, einst ein reicher
Mann, jetzt ein Bettler, dankt ihm und ruft den Segen des Himmels auf ihn
herab, weil er durch Verlust seines Vermögens den wahren Reichthum, Be-
dürfnißlosigkeit und ein stilles Herz, gewonnen habe. Dann kommt Silbergeiz,
der aus einem verdorbnen Kaufmann mit Fausts Hülfe ein reicher Wucherer
geworden ist, aber vor Geiz verhungern will und fortwährend in Angst ist, er
könne um fein Geld kommen. Darauf erscheint die Gräfin Schönheitlieb, ehe¬
mals eine tugendhafte Dame, das Glück ihres Mannes und die Zierde des
Adels, aber unschön, jetzt dagegen, seit Faust ihr mit seiner Kunst seltene Reize
gegeben, eine unzufriedene Kokette voll rasender Eroberungssucht und ohne alle
Ruhe der Seele. Sie verflucht gegen Faust, welchen Mephistopheles, um sie offen-
herzig zu machen, in ihr Kammermädchen verwandelt hat, den, welcher sie da-


Grenzboten I. 1877. 57
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0457" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/137630"/>
          <p xml:id="ID_1490" prev="#ID_1489"> dürfen. &#x201E;Noch wankt mein Herz", sagt Faust, aber Mephistopheles sagt ihm:<lb/>
&#x201E;Warum klügelst Du heute? Komm, reich mir die Hand. Wir sind<lb/>
Freunde. Ich will die Traurigkeit aus Deinem Herzen verbannen. In Wollust<lb/>
sollst Dn schwimmen, und ganze Ströme Freuden sollst Du hinabtrinken."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1491"> Der zweite Aufzug beginnt mit einem Gespräche, in welchem Jthuriel<lb/>
und Mephistopheles sich gegenseitig Hohn sprechen und jener erklärt, er sei<lb/>
hier, um dem Teufel eine kostbare Seele zu entreißen, wogegen er ihm den<lb/>
Leib preisgeben wolle. Mephistopheles entgegnet, das werde sich zeigen, er<lb/>
zittere noch nicht vor seinem Gegner. Nachdem der Engel gegangen, erscheint<lb/>
Faust, dem Mephistopheles Vorwürfe wegen seines Umgangs mit jenem macht<lb/>
und ihm gebietet, den jungen Lasten aus seinen Augen zu verbannen. Faust<lb/>
fährt auf und erinnert Mephistopheles, daß er noch sein Knecht sei. Dieser<lb/>
wird ebenfalls zornig und droht, worauf jeuer antwortet: &#x201E;Du bist entlarvt,<lb/>
Betrüger! Noch ist der Tag nicht zu Ende. Der Himmel heut mir Gnade an,<lb/>
und ich ergreife sie mit beiden Händen. Wisse, verruchter Geist, ich habe Deine<lb/>
Macht nur dazu verwandt, Wohlthaten auszuüben." Mephistopheles erwidert,<lb/>
nur einen, dem er als seinem Feind Alles geraubt habe, habe er glücklich,<lb/>
sonst aber lauter Unglückliche gemacht. Faust verlangt die Leute zu sprechen,<lb/>
und Mephistopheles geht, um sie ihm zu bringen, während jener wieder in<lb/>
Verzweiflung verfällt. &#x201E;So hab' ich denn Keinen glücklich gemacht? &#x2014; Welch<lb/>
ein Ungeheuer bin ich! Ich zittere vor mir selbst. &#x2014; Welch eine<lb/>
schauernde Aussicht! &#x2014; Nichts als Laster. Ich bebe. Die Hölle gähnt<lb/>
schon nach mir. Es ist keine Rettung. Jthuriel, mein Freund, auch Du hast mich<lb/>
getäuscht. Du versprichst mir Gnade; aber ach, süße Hoffnung, die mich in<lb/>
Schlummer eingewiegt hat, meine Seele fühlt keine Ruhe mehr."</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1492" next="#ID_1493"> Die folgenden Auftritte führen Faust nun zunächst den einstigen Feind,<lb/>
den er wider seinen Willen glücklich gemacht hat, dann die, welche durch seiue<lb/>
Wohlthaten unglücklich geworden sind, vor Augen. Friedrich, einst ein reicher<lb/>
Mann, jetzt ein Bettler, dankt ihm und ruft den Segen des Himmels auf ihn<lb/>
herab, weil er durch Verlust seines Vermögens den wahren Reichthum, Be-<lb/>
dürfnißlosigkeit und ein stilles Herz, gewonnen habe. Dann kommt Silbergeiz,<lb/>
der aus einem verdorbnen Kaufmann mit Fausts Hülfe ein reicher Wucherer<lb/>
geworden ist, aber vor Geiz verhungern will und fortwährend in Angst ist, er<lb/>
könne um fein Geld kommen. Darauf erscheint die Gräfin Schönheitlieb, ehe¬<lb/>
mals eine tugendhafte Dame, das Glück ihres Mannes und die Zierde des<lb/>
Adels, aber unschön, jetzt dagegen, seit Faust ihr mit seiner Kunst seltene Reize<lb/>
gegeben, eine unzufriedene Kokette voll rasender Eroberungssucht und ohne alle<lb/>
Ruhe der Seele. Sie verflucht gegen Faust, welchen Mephistopheles, um sie offen-<lb/>
herzig zu machen, in ihr Kammermädchen verwandelt hat, den, welcher sie da-</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I. 1877. 57</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0457] dürfen. „Noch wankt mein Herz", sagt Faust, aber Mephistopheles sagt ihm: „Warum klügelst Du heute? Komm, reich mir die Hand. Wir sind Freunde. Ich will die Traurigkeit aus Deinem Herzen verbannen. In Wollust sollst Dn schwimmen, und ganze Ströme Freuden sollst Du hinabtrinken." Der zweite Aufzug beginnt mit einem Gespräche, in welchem Jthuriel und Mephistopheles sich gegenseitig Hohn sprechen und jener erklärt, er sei hier, um dem Teufel eine kostbare Seele zu entreißen, wogegen er ihm den Leib preisgeben wolle. Mephistopheles entgegnet, das werde sich zeigen, er zittere noch nicht vor seinem Gegner. Nachdem der Engel gegangen, erscheint Faust, dem Mephistopheles Vorwürfe wegen seines Umgangs mit jenem macht und ihm gebietet, den jungen Lasten aus seinen Augen zu verbannen. Faust fährt auf und erinnert Mephistopheles, daß er noch sein Knecht sei. Dieser wird ebenfalls zornig und droht, worauf jeuer antwortet: „Du bist entlarvt, Betrüger! Noch ist der Tag nicht zu Ende. Der Himmel heut mir Gnade an, und ich ergreife sie mit beiden Händen. Wisse, verruchter Geist, ich habe Deine Macht nur dazu verwandt, Wohlthaten auszuüben." Mephistopheles erwidert, nur einen, dem er als seinem Feind Alles geraubt habe, habe er glücklich, sonst aber lauter Unglückliche gemacht. Faust verlangt die Leute zu sprechen, und Mephistopheles geht, um sie ihm zu bringen, während jener wieder in Verzweiflung verfällt. „So hab' ich denn Keinen glücklich gemacht? — Welch ein Ungeheuer bin ich! Ich zittere vor mir selbst. — Welch eine schauernde Aussicht! — Nichts als Laster. Ich bebe. Die Hölle gähnt schon nach mir. Es ist keine Rettung. Jthuriel, mein Freund, auch Du hast mich getäuscht. Du versprichst mir Gnade; aber ach, süße Hoffnung, die mich in Schlummer eingewiegt hat, meine Seele fühlt keine Ruhe mehr." Die folgenden Auftritte führen Faust nun zunächst den einstigen Feind, den er wider seinen Willen glücklich gemacht hat, dann die, welche durch seiue Wohlthaten unglücklich geworden sind, vor Augen. Friedrich, einst ein reicher Mann, jetzt ein Bettler, dankt ihm und ruft den Segen des Himmels auf ihn herab, weil er durch Verlust seines Vermögens den wahren Reichthum, Be- dürfnißlosigkeit und ein stilles Herz, gewonnen habe. Dann kommt Silbergeiz, der aus einem verdorbnen Kaufmann mit Fausts Hülfe ein reicher Wucherer geworden ist, aber vor Geiz verhungern will und fortwährend in Angst ist, er könne um fein Geld kommen. Darauf erscheint die Gräfin Schönheitlieb, ehe¬ mals eine tugendhafte Dame, das Glück ihres Mannes und die Zierde des Adels, aber unschön, jetzt dagegen, seit Faust ihr mit seiner Kunst seltene Reize gegeben, eine unzufriedene Kokette voll rasender Eroberungssucht und ohne alle Ruhe der Seele. Sie verflucht gegen Faust, welchen Mephistopheles, um sie offen- herzig zu machen, in ihr Kammermädchen verwandelt hat, den, welcher sie da- Grenzboten I. 1877. 57

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/457
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 36, 1877, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341825_157640/457>, abgerufen am 23.07.2024.